«Was, Simon war auch hier?» Die Reaktion von Skisprung-Nationaltrainer Ronny Hornschuh am Abgabetag von Swiss-Ski auf die Nachricht, der vierfache Olympiasieger habe zu früher Stunde sein Material für die anstehende Saison in Empfang genommen, ist bezeichnend für den aktuellen Status der Schweizer Sportlegende.
Nach dem vergangenen Winter nahm der 41-Jährige eine Auszeit von unbefristeter Dauer. Eine Art Sabbatical zum 25-Jahr-Jubiläum im Weltcup. In dieser Zeit sei er weit weg gewesen von seriösem Training, wie der Toggenburger dem Schweizer Fernsehen im Interview verriet. Da Ammann andererseits erneut in den Kaderlisten für die kommende Saison auftauchte, konnte diese Karenz nicht als Rücktritt gedeutet werden.
Andererseits hatte Simon Ammann bei den lang andauernden Fragen zum Rücktritt Bewunderung für den Weg gezeigt, den sein langjähriger österreichischer Rivale Gregor Schlierenzauer einschlug. Dieser gab im vergangenen Herbst mitten in der Saisonvorbereitung das Ende der Karriere bekannt. So etwas würde ihm auch gefallen. «Ich bin einfach eines Tages nicht mehr da», sinnierte Simon Ammann damals.
Da war Ammann in den vergangenen Monaten tatsächlich nie. Auf der Schanze liess er sich seit dem letzten Weltcup-Springen nie mehr blicken und über seinen Trainingszustand wissen nicht einmal die Trainer Bescheid. Ebenso wenig haben sie eine Antwort darauf, ob «Simi» am übernächsten Wochenende an de Schweizer Meisterschaft teilnehmen wird - für Kaderathleten eigentlich ein Muss.
Auch beim Material fassen in Dübendorf war der doppelte Doppelolympiasieger von 2002 und 2010 bereits wieder weg, als seine Teamkollegen und Betreuer eintrafen. Schliesslich warteten wichtige Verpflichtungen wie Hausbau und Studium auf den 41-Jährigen. Sein Abgang mit dem über die schmalen Schultern gelegten blauen Skisprunganzug geschah nicht, ohne zuvor die am Tag zuvor vermeldete Weiterführung der Karriere zu relativieren. Bereits im Schweizer Fernsehen hatte er gesagt, es bestehe manchmal ein schmaler Grat zwischen Fliegen und Träumen.
Von weiteren Wettkampfsprüngen träumt er definitiv. Allerdings beendet er erst in diesen Tagen den selbst orchestrierten Umbau des zukünftigen Wohnhauses seiner Familie im Toggenburg. Und im Januar stehen im BWL-Studium in St.?Gallen wichtige Zwischenprüfungen an. «Früher drehte sich die Planung zu hundert Prozent rund um den Sport, heute muss ich das Programm um mein Studium herum gestalten», sagte Ammann gegenüber SRF.
So richtig den Kopf frei fürs Skispringen hat der Held des Schweizer Sports also erst in der zweiten Saisonhälfte. Der Heimauftritt in Engelberg und die Vierschanzentournee seien keine realistischen Ziele. Frühst möglicher Einstieg in den Wettkampf scheint der Weltcup am 20. Januar in Sapporo. Japan gehörte stets zu den Lieblingsdestinationen des Toggenburgers. Dort war er 1998 bei den Winterspielen von Nagano als 16-jähriges Greenhorn von Olympia und vom Fliegen gleichwohl fasziniert wie überwältigt worden.
Die WM von Ende Februar 2023 in Planica soll dann das nächste grosse Ziel sein. Ob es realistisch ist, kann nicht einmal Simon Ammann im eigenen Kosmos definitiv beurteilen. «Es kann sein, dass ich es nicht ganz schaffe in diesem Winter», sagt er. Dann halt im nächsten Winter. (aargauerzeitung.ch)