In knapp drei Wochen wird Xherdan Shaqiri eine Premiere erleben, auf die er wohl gut und gerne hätte verzichten können. Wenn am 31. Mai im Giuseppe-Meazza-Stadion für Inter Mailand der letzte Schlusspfiff der Saison ertönt, dann steht der 23-jährige Schweizer erstmals in seiner Karriere ohne Trophäe da.
Es ist das Ende einer bemerkenswerten Serie, die europaweit wohl einmalig gewesen ist. Seit seinem Debüt als Profi vor sechs Jahren durfte sich Shaqiri jede Saison «Meister» nennen – dreimal mit dem FC Basel, zweimal mit Bayern München.
Während Juventus in Verona dann seinen 31. Scudetto bejubelt, wird Shaqiri in der Inter-Kabine vielleicht kurz innehalten und sich an seine eigenen Meisterfeiern erinnern. Damals, auf dem Sommercasino-Balkon in der Heimat – oder im Lederhosen-Exil auf dem Marienplatz.
Denn schöne Erinnerungen sind so ziemlich alles, was Xherdan Shaqiri nach seinem ersten Halbjahr auf dem Stiefel bleibt. Dass seine aussergewöhnliche Meisterserie reissen würde, war bereits zum Zeitpunkt des Wechsels nach Mailand abzusehen. Doch dass er sich auch in Italien so bald auf dem Abstellgleis wiederfinden würde, das hätte sich der vielleicht spektakulärste aktive Spieler mit Schweizer Pass wohl kaum erträumen lassen.
Noch am 8. Januar schrien sich anlässlich seines Empfangs am Mailänder Flughafen 2000 ekstatische Tifosi die Seele aus dem Leib. «Ich bin zuversichtlich, dass ich Inter wieder dort hinführen kann, wo der Klub hingehört», liess sich Shaqiri selbstbewusst zitieren. Er wollte nach zweieinhalb titelreichen Jahren als Ergänzungsspieler im Starensemble der Bayern endlich auch im Klub ein Leader werden.
Doch mittlerweile ist der vermeintliche Messias in Mailand zum 15-Millionen-Euro-Problemfall geworden. In 18 Liga-Spielen stand er nur sieben Mal in der Startelf, zuletzt vor fünf Wochen. Und auch die statistische Ausbeute von einem Penaltytor und zwei Assists ist für einen Mann seiner Klasse schlicht unterirdisch.
Ironischerweise ist die schweiz-italienische Liebesbeziehung just nach Shaqiris jüngster Gala-Leistung im Dress der Nati abgekühlt. Seit seiner Rückkehr vom Assist-Triple im EM-Quali-Spiel gegen Estland durfte er bei Inter nur noch einmal von Beginn weg ran. In der Folge sass er dreimal ohne Einsatz auf der Bank und wurde dreimal erst in der Schlussphase eingewechselt.
Statt Shaqiri fliegen die Herzen nun dem brasilianischen WM-Fahrer Hernanes zu. Seit Trainer Roberto Mancini konsequent auf ein 4-3-1-2 mit einem defensiven Dreierriegel setzt, gibt es bei Inter nur noch einen Platz im offensiven Mittelfeld – und der ist fix für Shaqiris 29-jährigen Konkurrenten reserviert.
Im nächsten Spiel gegen Juventus ist der Brasilianer gelbgesperrt. Die Chance für Shaqiri? Es bräuchte wohl schon einen bärenstarken Match, denn sonst droht danach sofort wieder die Bank. Hernanes ist in einer bestechenden Form: Den für den Kampf um die Europa League so wichtigen 2:1-Sieg gegen den Tabellendritten Lazio hat er gestern mit einer Doublette quasi im Alleingang klargemacht.
Das Problem ist nicht nur Shaqiris mangelnde Einsatzzeit – wenn er denn endlich einmal für 11, 14 oder 26 Minuten eingewechselt wird, dann spielt er derzeit auch schlicht uninspiriert. «Eine Enttäuschung» und «überschätzt» lautet das gnadenlose Verdikt der italienischen Gazetten dann.
Dennoch stärkt ihm sein Trainer, bald als Einziger, öffentlich den Rücken: «Shaqiri ist ein sehr guter Spieler, der deutlich mehr leisten wird, sobald er seine Anpassungsprobleme hundertprozentig überwunden hat.» Nur nützen solche Worte herzlich wenig, wenn Roberto Mancini ihn danach doch wieder auf der Bank versauern lässt.
Unerwarteten Trost bekommt Shaqiri in dieser tristen Situation aus seiner alten Heimat. In München, wo nach dem DFB-Pokal-Aus gegen Dortmund und der Champions-League-Klatsche in Barcelona plötzlich alle Felle davonzuschwimmen drohen, hat Lichtgestalt Franz Beckenbauer kürzlich seinem Ärger Luft gemacht: «Ich habe nie verstanden, warum man Höjbjerg und Shaqiri in der Winterpause hat gehen lassen. Das waren hervorragende Ergänzungsspieler, die haben hinterher gefehlt.»
Tatsächlich wäre Shaqiri angesichts der unendlichen Verletzungsmisere von Franck Ribéry und Arjen Robben bei den Bayern in diesem Frühjahr wohl eine so bedeutende Rolle zugekommen wie nie zuvor. Zudem hätte sich auch seine Meisterserie um ein weiteres Kapitel verlängert. Doch rückblickend ist man eben immer schlauer – und die mageren Einsatzzeiten in Shaqiris letzter Bundesliga-Hinrunde vor dem Wechsel nach Italien liessen diese Entwicklung nun wirklich nicht erahnen.
Die Frage ist nun, wie sich der bisher wohl talentierteste Schweizer Spieler des neuen Jahrtausends aus der aktuellen Misere befreien kann. Angesichts seiner zahlreichen Erfolge geht rasch unter, dass Xherdan Shaqiri erst 23-jährig ist. Mit etwas Glück stehen ihm noch zehn Saisons auf der grossen Fussballbühne bevor. Bloss zeigt der Blick auf die Statistik, dass er seit drei Jahren stagniert. Bereits als Bundesliga-Frischling hatte er in der Bayern-Triple-Mannschaft von 2012/13 fast so viel Einsatzzeit wie heute bei Inter.
Sein gutdotierter Vertrag in Mailand soll Shaqiri rund drei Millionen Euro netto jährlich garantieren und läuft bis 2019. Wenn sich die aktuelle Entwicklung fortsetzt, dürfte er ihn aber kaum erfüllen. Denkbar wäre etwa eine Flucht nach England. Eine Wahl, zu dem ihm mancher Experte bereits vor dem Wechsel nach Italien geraten hat. Der körperbetonte und offensivere Spielstil der Premier League scheint einfach besser zu einem Spektakel-Akteur wie Shaqiri zu passen als das defensive Rasenschach der Serie A. Zwar bestreitet Berater Erdin Shaqiri derzeit noch jegliche Wechselgedanken. Doch ewig wird sein Bruder und Klient die Nebenrolle bei Inter nicht klaglos akzeptieren.
Denn Xherdan Shaqiri weiss, dass er ein grandioser Fussballer ist und er bestätigt dies auch regelmässig mit Top-Leistungen in der Nationalmannschaft. 19 Tore schoss die Schweiz in den letzten zehn Spielen. Mit sechs Treffern und fünf Assists hatte der Zauberwürfel bei elf davon seine Füsse im Spiel. Unvergessen bleibt etwa die Weltklasse-Leistung und die drei Tore gegen Honduras im entscheidenden dritten WM-Gruppenspiel. Danach wurde Shaqiri bereits als legitimer Erbe von Wilhelm Tell gehandelt.
Bloss geht bei ihm mit solcher Klasse auch ein mindestens so grosser Anspruch einher. Und wenn es im Klub nicht läuft, dann ist Shaqiri auf einmal auch nicht mehr der Strahlemann, den man in jedem fünften Werbespot zu sehen bekommt. Seit rund einem Jahr wirkt er im Kreis der Nationalmannschaft oft genervt und müde. Man stellt sich die Frage, ob er zu jung zu erfolgreich und satt geworden ist, um sich in schwierigen Situationen durchzubeissen, Verantwortung zu übernehmen und während seiner ganzen Karriere ein Top-Spieler zu sein.
Baldige Besserung wäre ihm und der Nationalmannschaft zu wünschen. Denn ein Xherdan Shaqiri in Topform ist ein Naturspektakel – bloss braucht er dazu wohl endlich wieder den richtigen Klub.
In der PL würde es ihm übrigens vielleicht noch schlechter laufen als jetzt. Bei den Top 6 Vereinen hätte er auch nicht mehr Spielzeit und bei den kleineren Teams müsste er wie ein wilder fighten (siehe aktuell Leicester City oder Sunderland) . Doch Xherdan bleibt lieber vorne stehen und verwirft die Hände wenn der Pass nicht genau ankommt!
Einen ähnlich langen Bericht würde ich mir mal zu Stephan Lichtsteiner wünschen. Der wahre "Star" unserer Nati.