«Gott sei Dank ging der rein»: YB kann plötzlich wieder vom Weiterkommen träumen
Die Defensive ist in der laufenden Saison das Sorgenkind der Young Boys. 29 Gegentore kassierten die Berner bisher in der Super League, das sind 1,8 pro Partie. Einzig die letzten vier der aktuellen Tabelle mussten den Ball öfter aus ihrem Goal fischen. In der Europa League sind es nach sechs Spieltagen gar zwölf Gegentore.
Umso mehr sticht am Donnerstagabend nach dem Sieg über Lille also das Resultat heraus: 1:0. Ein Zu-null-Sieg. Das gelang den Bernern seit September wettbewerbsübergreifend nur zweimal: gegen das Tabellenschlusslicht Winterthur in der Meisterschaft und gegen Bukarest in der Europa League.
Verständlich also, dass sowohl Trainer Gerardo Seoane als auch verschiedene Spieler genau das nach der Partie besonders hervorheben.
Die Mentalität war eine andere
Verteidiger Gregory Wüthrich sagt: «Die Defensive war unter der Woche ein grosses Thema. Wir wussten, dass es eine Steigerung braucht.» Man habe gesehen, dass jeder für jeden gekämpft habe.
Noch am Wochenende bot sich den Zuschauenden der Super League nämlich ein anderes Bild. So schickte Sion die Berner mit einer 0:2-Niederlage im Gepäck nach Hause, YB schien überfordert und agierte defensiv ungenügend. Seoane selbst hatte einen Tag vor der Europa-League-Partie gesagt, dass er bei seiner Mannschaft zuletzt wieder kleinere Rückschritte beobachtet habe.
Etwas mehr als 24 Stunden später klang er dann zurecht um einiges positiver. «Rückschläge müssen einkalkuliert werden. Die Bereitschaft, jeden Tag zu lernen, ist wichtig. Ich glaube, wir können noch besser Fussball spielen.»
Doch woher kommt die plötzliche Leistungssteigerung in der Defensive? Verändert hat sich in der Mannschaft vor allem eines: die Mentalität. Seoane beobachtete: «Die Stimmung in der Kabine, die Energie auf dem Platz, das war ganz anders als noch am Wochenende.» Den Sieg habe man vor allem dank Willensstärke über die Runden gebracht.
Auch Wüthrich ist das aufgefallen. «Gegen Sion war es von der Mentalität her einfach zu wenig, solche Spiele darf es nicht geben.» Umso stolzer sei er nun deswegen über den Sieg ohne Gegentor. Das sei ohne Frage eine Mentalitätssache gewesen.
«Gott sei Dank»
Doch auch wenn die Spieler positiv gestimmt sind, Seoane von einem «grossartigen» Sieg spricht, den man der Mannschaft «nicht hoch genug anrechnen kann». Ohne etwas Hilfe von Lille wäre der Exploit gegen den aktuell Vierten der Ligue 1 wohl nicht möglich gewesen.
Eine Rote Karte nach 30. Minuten kippte das Momentum von Seiten der Gäste auf die der Young Boys. «Der Platzverweis nahm sicher Einfluss auf das Spiel», gibt auch Seoane zu.
Eine Stunde in Überzahl ermöglichte es seiner Mannschaft, mehr und mehr das Spieldiktat zu übernehmen und Chancen zu kreieren, nachdem diese in den ersten 20 Minuten noch Mangelware darstellten.
«Mit einem Mann mehr ist es nicht immer einfacher. Man weiss, jetzt sollte man noch zwingender gewinnen», wirft Torschütze Darian Males nach der Partie ein. Er sei stolz, wie die Mannschaft Ruhe bewahrt habe, und nicht in Hektik verfallen sei, als länger keine Tore fielen. «Beim Tor habe ich dann einfach richtig spekuliert. Gott sei Dank ging der rein. Und eben, ansonsten haben wir sauber verteidigt», schliesst er ab.
Noch alles ist möglich
Der Sieg bringt YB in der Tabelle nun, zumindest zwischenzeitlich, auf den 21. Platz – und steigert damit die Chancen auf ein Erreichen der Playoffs, für die sich die besten 24 Teams qualifizieren, erheblich.
Gegen Lyon zuhause und gegen den VfB Stuttgart auswärts, braucht es zwar nochmals Punkte. Doch die Spieler sind sich einig. Ein solcher Sieg verleiht Aufschwung – Motivation, die man unbedingt in das neue Jahr für die letzten beiden Spieltage der Ligaphase mitnehmen möchte. «Wir können Grosses erreichen», so Alan Virginius, der den Assist zum 1:0 lieferte. «Wir bleiben dran», versicherte derweil Wüthrich.
Es ist den Spielern anzumerken, dass mit dem Sieg eine Last von ihnen gefallen ist. «Wir wollen unbedingt gegen Lyon gewinnen», so Males, während Wüthrich vorausschauend sagt: «Wir haben gezeigt, dass wir gerade zuhause auch gegen grosse Gegner bestehen können.» (riz/sda)
