«Beste Form meines Lebens»: Lindsey Vonn startet in St. Moritz ihre letzte Mission
Einmal, wirklich nur noch einmal. Mit einer kindlichen Unersättlichkeit bestreitet Lindsey Vonn auch in diesem Winter Skirennen auf höchstem Niveau. Es soll ihre allerletzte Saison sein, heisst es. Mittlerweile ist sie 41 Jahre alt. Neunmal wurde sie operiert, im Knie hat sie eine Teilprothese. Sie fühle sich wie der Terminator, sagte sie jüngst. Wenn sie durch den Metalldetektor am Flughafen gehe, würde es manchmal piepsen.
Und dieser Terminator strebt nach olympischem Ruhm. Vonn will im kommenden Februar bei den Winterspielen in Cortina eine Medaille gewinnen. «Der Fokus liegt voll und ganz auf Olympia», sagt sie am in St. Moritz. Cortina hat eine besondere Bedeutung für sie. Dort fuhr sie zum ersten Mal in ihrer Karriere auf ein Weltcup-Podium. Das war vor knapp 22 Jahren.
Das Comeback von Lindsey Vonn könnte einen besonderen Platz in der Sportgeschichte einnehmen. In den USA hat man für solche Erzählungen durchaus etwas übrig. Das weltberühmte «Time Magazine» widmete Vonn im Oktober die Titelseite. In grossen Lettern stand geschrieben «Her Comeback». Vonn vergoss angeblich Tränen, als sie das Cover erstmals sah. Sie wurde auch von Star-Komiker Jimmy Fallon in dessen Late-Night-Show eingeladen. Normalerweise nehmen dort Oscar-Gewinnerinnen und Rapstars Platz. Vonn kam im schwarzen Kleid und redete unter anderem über ihren neuen Hund.
Die Unsicherheit ist verflogen
Im Vorfeld des Ski-Weltcups von St. Moritz lässt sich unschwer erkennen, dass die US-Amerikanerin in einer eigenen Kategorie operiert. Auch wenn «Weltcup in St. Moritz» eigentlich kosmopolitisch und nobel klingt, ist dieser Anlass in vielen Bereichen bodenständig. Es gibt Athletinnen wie Michelle Gisin, wie Jasmine Flury, wie Delia Durrer. Menschen wie wir, die lediglich besser skifahren als wir. Während die Schweizerinnen am Mittwoch in einem kleineren Hotel in St. Moritz auf Medienschaffende treffen, bereitet Lindsey Vonn im Fünfsternehaus Kempinski, in einem ikonischen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, ihren Auftritt vor.
Im gepflegten Hotelsaal erscheint Vonn schliesslich am Mittwochabend. Und wer ihr zuhört, merkt, dass momentan vieles «great» und «amazing» ist in ihrem Leben. Die körperliche Verfassung etwa, oder das Skifahren – «great» und «amazing». Irgendwann geht sie noch etwas weiter und sagt, sie habe aktuell die beste Form ihres Lebens. «Und zwar körperlich und auf der Piste.» So habe sie etwa sechs Kilogramm Muskelmasse im Sommer zugelegt.
St. Moritz ist speziell für Vonn. Vor einem Jahr kehrte sie hier zurück in den Ski-Zirkus, nachdem sie knapp fünf Jahre im Ruhestand war. Sie sagt: «Im letzten Jahr war ich unsicher. Jetzt habe ich eine bessere Energie und viel mehr Selbstvertrauen.» Es gab damals kritische Töne. Frühere Grössen des Skirennsports äusserten Vorbehalte – und entschuldigten sich dann wieder. Vonn reagierte in den sozialen Medien. Jetzt sieht sie die Sache entspannter: «Solche Dinge motivieren mich zusätzlich.» Time-Cover und Late-Night-Show hin oder her: Was im Alpenraum über sie geschrieben und gesagt wird, entgeht ihr nicht.
Mit Svindal hat sie einen kongenialen Partner
Der erste Teil dieses Comebacks fand in der vergangenen Saison statt. Sie tastete sich heran. Die WM in Saalbach verlief noch enttäuschend, doch beim Saisonfinale in Sun Valley gelang ihr ein Podestplatz, Platz 2 im Super-G. Es folgte ein Sommer, in dem sie noch mehr Trainingskilometer absolvieren konnte als zuvor. Ausserdem verstärkte sie ihr Team substanziell. Seit vergangenem Frühling gehört auch Aksel Svindal zu ihrer Entourage. Der frühere norwegische Weltklasse-Abfahrer steht ihr als Coach zur Seite. Vonn sagt: «Unser Austausch ist perfekt. Wir denken genau gleich.»
Svindal sitzt neben ihr beim Termin in St. Moritz. Und er scheint mehr als nur ein bisschen angetan zu sein von diesem Projekt. Er sagt: «Es macht grossen Spass mit Lindsey. Es ist eine coole Mission. Ich geniesse es, bei diesem Projekt dabei zu sein.» Svindal schwärmt von Vonn, insbesondere von ihren skifahrerischen Qualitäten. Sie sei entgegen ihrem Image nicht nur stark in Gleitpassagen. «Je schwieriger der Kurs ist, desto schneller ist sie.»
Die Ansprüche an diese letzte Saison sind enorm hoch. Es gibt Experten, die überzeugt sind, Vonn würde in jedem Speedrennen vorne mitfahren. In St. Moritz bestreitet sie nun von Freitag bis Sonntag die erste Etappe dieses Winters. Am Mittwoch stellte sie im ersten Abfahrtstraining die klare Bestzeit auf, mit 59 Hundertstel Reserve auf die zweitplatzierte Norwegerin Kajsa Lie. Beste Schweizerin war Michelle Gisin auf Platz 13, mit 1,19 Sekunden Rückstand.
Vonn sagt, sie wisse nicht, ob sie zufrieden wäre, wenn sie bei Olympia keine Medaille gewinnen würde. Svindal sagt: «Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es macht ‹Boom›. Und dann ist Olympia.» (aargauerzeitung.ch)
Samstag, 10.45 Uhr: Abfahrt
Sonntag, 10.45 Uhr: Super-G
