Nur noch ein paar Höhenmeter und es ist geschafft. Denke ich unten in Tavanasa, gleich beim Vorderrhein. Obersaxen kann ja nicht so eine grosse Geschichte sein. Doch ich täusche mich. Auf der herrlichen Terrasse in der Surselva liegen 28 Höfe weit verstreut. Es gibt Affeier und Axastei. Bellaua und Canterdun. Chlinga, Chriegli, Egga, Friggahüs, Giraniga, Hanschahüs, Janggahüs, Markal, Meierhof, Mira, Miraniga, Misanenga, Pilavarda, Platenga, Platta, Pradamaz, Runggli, St.Josef, St.Martin, Tobel, Tomahüs, Tschappina, Tusa, Valata und Zarzana. Puh! Primarschüler im Geographie-Unterricht will man hier nicht unbedingt sein.
Während ich mich noch über Twitter beschwere und frage, ob jemand eine noch weitläufigere Gemeinde kennt, lassen die watson-User nicht lange mit Beispielen warten: Scuol – übrigens die grösste Gemeinde der Schweiz – und Glarus Süd fallen schnell. Okay, ihr habt gewonnen. Aber ehrlich: Obersaxen fühlt sich soooo gross an nach einem langen Tag im Sattel.
Und für mich geht es dann von Platenga nochmals 300 Höhenmeter hinauf zum Berggasthaus Bündner Rigi. Das gehört zwar schon zu Mundaun, aber touristisch nach Obersaxen orientiert (ab 2016 eine Gemeinde). Im Winter kann man hier die Skis auf der Terrasse anschnallen und man ist im Skigebiet. Im Sommer locken beispielsweise Wanderungen auf den Piz Mundaun. Es ist wie so oft: Die Extra-Anstrengung wird belohnt – mit einer fast unschlagbaren Aussicht auf die untere Surselva mit der Rheinschlucht.
Dass hier oben überhaupt ein Hotel steht, ist die Schuld des eidgenössischen Turnfests und Wilhelm-Tell-Aufführungen, damals ca. 1850. Denn ein Stück weiter hinten liegt eine grosse, für Surselva-Verhältnisse topfebene Wiese, wo diese Anlässe mal stattfanden.
Die Leute mussten dafür alle hoch wandern und am Abend wieder runter. Da kam die Idee, man solle hier ein Hotel bauen. 1862 war es soweit. Das erste in der Surselva.
Das Haus stand 40 Jahre und befand sich etwa 100 Meter weiter vorne, als das aktuelle Gebäude. Historiker sind sich nicht sicher, warum es abgebrochen wurde. Eine Lawine? Ein Brand? Oder ging das Wasser aus? Auf jeden Fall wurde 1902 das neue Hotel Bündner Rigi am aktuellen Standort gebaut.
Bündner Rigi heisst es hier übrigens seit 1860. Damals fand ein schweizweiter Wettbewerb statt, wo sich der schönste Aussichtspunkt befindet. Am 1. August wurden als «Masseinheit» die Höhenfeuer gezählt. Die Luzerner Rigi siegte. Der Piz Mundaun wurde Zweiter. Der Übername war geboren.
Von 1902 bis 1912 hiess das Gebäude allerdings Hotel Buonos Ayres, weil Besitzer Rest Monsch aus dem Örtchen Flond, gleich um die Ecke, einen besonderen Bezug zu Südamerika hatte. Mit Monschs Tod kam der Name Bündner Rigi zurück. Auch internationale Skirennen wurden in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts hier ausgetragen. Knapp oberhalb des Gebäudes war der Start, in Ilanz das Ziel. Alte Semester in der Gegend können sich noch erinnern, wie sie früher hier die Piste mit «hochträtlä» präparieren mussten.
Es gibt aber noch eine gute Anekdote zum heutigen Ausflugsziel. Das Hotel war früher eines der ersten in der Gegend mit Plattenspieler. So traf man sich hier zum Tanz. Leute aus den katholischen Surcuolm und Morissen und auch welche aus dem reformierten Luven. Dass sich die zwei Konfessionen mixten, war damals ganz unerhört. So soll der katholische Pfarrer jeweils vom Kirchturm hinunter gespäht haben, um zu sehen, wer da mit wem unterwegs war – und konnte die Missetäter bei einer nächsten Gelegenheit zurechtweisen.