Es ist erst ein paar Wochen her, da hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko seinen grossen Auftritt auf internationalem Parkett. Er hielt in der Schweiz eine viel beachtete Rede, im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos. «Ich bin Präsident des Friedens, nicht Präsident des Krieges», sagte er, und die Zuhörer spendeten ihm dafür Applaus. Eine militärische Lösung des Konfliktes in der Ostukraine könne es nicht geben, fügte er hinzu.
Heute tritt Poroschenko anders vor die Kameras, zuletzt häufiger in Militärkluft: Mal war es eine schwarze Uniform, mal Tarnfleck, so wie nach dem Fall der strategisch wichtigen Stadt Debalzewe. Poroschenko eilte an die Frontlinie, lobte die «tapferen Verteidiger» und behauptete, Kiews Truppen hätten den von Russland unterstützten und aufgerüsteten Rebellen empfindliche Schläge «auf die Zähne» versetzt.
Er wirkte dabei kaum weniger abgekämpft als seine Soldaten. Die Ukrainer verliessen Debalzewe geschlagen und demoralisiert, mindestens 90 gerieten in Gefangenschaft, Dutzende werden vermisst. Die genaue Zahl der Toten ist noch immer unbekannt. Die Rebellen hissten in der Stadt triumphierend ihre Flagge. Der ukrainische Präsident sprach dennoch verharmlosend von einem «geordneten Abzug», er sei «vorgeplant» gewesen.
Der Präsident gibt eine unglückliche Figur ab in diesen Tagen. Poroschenko hatte seinen Bürgern einen schnellen Sieg versprochen. Eine «Anti-Terror-Operation» (ATO) im Osten solle sich nicht über Monate hinziehen. Sie «soll und wird Stunden dauern», kündigte er an. Das war im Mai letzten Jahres.
Reformen bleiben aus
Innenpolitisch wird der Druck grösser auf den Staatschef. Am Donnerstag ging der Kommandeur eines ukrainischen Freiwilligen-Bataillons das Präsidenten-Lager scharf an. Poroschenkos Vertraute würden ihn bewusst falsch informieren, schrieb Semjon Sementschenko auf Facebook. Er hat sich im Krieg als Chef des «Bataillons Donbass» einen Namen gemacht. Sementschenko sprach von «speziellen Fake-Meldungen, eigens für den Präsidenten». Die tatsächliche Lage an der Front sei dramatisch.
Sementschenko sitzt inzwischen für die «Selbsthilfe»-Partei im Parlament. Eigentlich ist das Poroschenkos Koalitionspartner. Andere Politiker gehen noch weiter. Oleg Ljaschko, Chef der «Radikalen Partei» und ebenfalls offiziell Mitglied des Regierungslagers, rückte Poroschenko in die Nähe eines Landesverräters. «Wer hat Ihnen das Recht gegeben, mit der ukrainischen Verfassung Handel zu treiben?», fuhr Ljaschko den Präsidenten im Parlament an. Ljaschko bezog sich dabei auf das Abkommen von Minsk. Dort ist unter anderem von einer Reform der Verfassung die Rede. Sie soll den Osten des Landes besänftigen. Ljaschko gilt in der Ukraine als Maulheld. Seine Partei ist aber immerhin drittstärkste Kraft im Parlament.
Der Osten ist nicht die einzige Front, die Poroschenko zu schaffen macht. Der Präsident hatte entschlossene Reformen versprochen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Doch die Lage wird immer schwieriger. Im Dezember verschärfte sich die Rezession, die Wirtschaft stürzte um mehr als 15 Prozent ab. Die Währung Hrywna verlor binnen weniger Tage mehr als 30 Prozent ihres Werts. Viele Ukrainer haben den Kauf von Wohnungen mit Euro- und Dollar-Krediten finanziert. Jetzt können sie die Raten nicht mehr zahlen.
Der Premier hegt Ambitionen
Poroschenkos Premierminister Arsenij Jazenjuk hat dafür immer die gleiche Erklärung parat: Den von Russland entfachten Krieg. «Die Wirtschaft befindet sich im Kriegszustand», so der Ministerpräsident. Das ist zugleich richtig, aber auch falsch. Zwar bündelt der bewaffnete Konflikt im Osten viele Kräfte. Er taugt aber kaum als Erklärung, warum die Maidan-Regierung in längst überwundene Muster zurückfällt: Sie schützt die Interessen mächtiger Oligarchen.
Im Januar schmetterte das Parlament einen Gesetzentwurf ab, der die Kontrolle des Milliardärs Ihor Kolomoysky über den Ölkonzern Ukrneft hätte beschneiden sollen. Kolomoysky ist Gouverneur in der Grossstadt Dnipropetrowsk und gilt als einer der Geldgeber der «Volksfront» von Premier Jazenjuk. Die Befürworter des Gesetzes beschimpften den Ministerpräsidenten daraufhin, er sei ein «Agent» des Oligarchen.
Jazenjuk hat zuletzt mit martialischer Rhetorik gegen Russland bei den Ukrainern gepunktet. Seine Partei hatte bei den Wahlen im Oktober fast so viele Stimmen bekommen wie der «Block Petro Poroschenko». Dem Premier werden seitdem Ambitionen nachgesagt, er wolle selbst gern Präsident werden.
Zudem streifte Poroschenko selbst sein Oligarchen-Image bislang nicht ab. Der Präsident hat als Geschäftsmann ein Vermögen in der Ukraine gemacht, unter anderem mit seiner Pralinen-Marke. Sie heisst Roschen, der Name leitet sich vom Namen des Eigentümers ab: Po-roschen-ko. Poroschenko hatte versprochen, seine Firmen nach der Wahl zu verkaufen. Das ist bislang nicht geschehen. Im Umfeld des Präsidenten wird auf das «schwierige Marktumfeld» mitten in der Krise verwiesen.