Zu Beginn der Karriere war es gar nicht sicher, ob Hanni Wenzel für das Ländle fahren würde. Geboren wurde sie nämlich in Straubing (D) und hatte einen deutschen Pass. Aufgewachsen ist sie aber in Liechtenstein. Als sie als 15-Jährige bereits mit Spitzenresultaten glänzte, versuchten die deutschen Funktionäre, sie von einem Start für Deutschland zu überzeugen.
Das junge Skitalent liess sich aber nicht zum Nationenwechsel drängen und bekam kurz darauf den liechtensteinischen Pass angeboten. Der Liechtensteiner Ski-Tross trainierte schon damals in einer Trainingsgemeinschaft mit dem Schweizer Team.
Bei den Olympischen Spielen in Lake Placid stand die Abfahrt als erstes auf dem Programm der Damen. Es war ein Duell zwischen den beiden stärksten Abfahrtspezialistinnen der damaligen Zeit, der Schweizerin Marie-Theres Nadig und Annemarie Moser aus Österreich, erwartet worden.
Im Abfahrts-Training verlor Hanni Wenzel jeweils drei Sekunden auf die Besten und gehörte somit in der Abfahrt sicher nicht in den Favoritenkreis. Doch beim Ernstkampf musste sich Wenzel nur Moser geschlagen geben, Nadig erreichte nur Platz drei.
Danach flossen bei Hanni Wenzel zum ersten Mal die Tränen. Doch überraschender Weise waren diese vor allem Mitleidstränen für die Schweizerin Nadig:
Am Mittwoch war dann ihr Bruder Andreas Wenzel in den Schlagzeilen. Im Riesenslalom musste er sich nur dem überlegenen Sieger Ingemar Stenmark geschlagen geben. Damit war die zweite Silbermedaille für die Familie Wenzel sichergestellt. Und es kam sogar noch besser.
Am Freitag war dann wieder die Schwester an der Reihe. Diesmal nur noch reine Freudentränen beim souveränen Riesenslalom-Sieg. Die Liechtensteinerin fassungslos. «Ich kann es nicht begreifen. Heute nicht – und vielleicht morgen auch nicht.»
Am Sonntag schliesslich noch ihr Meisterstück. Im Slalom feierte sie den Sieg und deklassierte ihre Gegnerinnen zu Statisten. Da es zur damaligen Zeit noch keinen Super-G gab, holte sie also in allen Rennen eine Medaille.
Zusammen sind die Geschwister Wenzel eine alpine Grossmacht geworden. Zu zweit gewannen sie vier der insgesamt 18 olympischen Ski-Medaillen.
Früh nahm Vater Hubert – einst selbst Sportler – die Geschwister auf die Piste. Aber nicht etwa mit Skilehrer: die zwei Kinder mussten dem Vater folgen. Und dieser fuhr nicht extra langsam, sondern im zügigen Tempo.
So entstand zwischen den beiden Geschwister (Hanni ist älter als Andreas) ein immerwährender Wettstreit um die Spitzenposition hinter dem Vater. Andreas erinnert sich:
Im Frühjahr 184 gab Hanni Wenzel ihren Abschied aus dem alpinen Zirkus bekannt. Zwei Jahre später heiratete sie den österreichischen Skirennläufer Harti Weirather. Es ist anzunehemen, dass sie bei den Skilektionen ihrer drei Kinder die gleichen unorthodoxen Methoden ihres Vaters übernommen hat. Denn Tochter Christina «Tina» Weirather, im Mai 1989 zur Welt gekommen, hat offensichtlich das Talent ihrer Eltern geerbt.
Diesen Winter gewann die inzwischen 24-Jährige ihre ersten Weltcup-Rennen. Dreimal war sie erfolgreich (in Garmisch-Partenkirchen, St. Moritz und Val d'Isère), zweimal im Super-G und einmal im Riesenslalom. Wie ihre Mutter ist sie also als Allrounderin unterwegs.
Leider sind für die Tochter Weirather die Olympischen Spiele in Sotschi keine Feier, sondern eine grosse, bittere Enttäuschung geworden. Wegen einer Verletzung am rechten Bein musste sie für alle Rennen Forfait erklären. Umso bitterer aufgrund der Tatsache, dass sie in Riesenslalom, Super-G und Abfahrt mit reellen Medaillenchancen angetreten wäre.
Aber wer die Familiengeschichte der Weirathers und Wenzels kennt, darf sicher sein, dass das letzte Kapitel bei Olympischen Spielen noch nicht geschrieben ist.