Eine alte Hollywood-Regel besagt: Niemand liest das Buch, alle wollen den Film sehen. Das gilt nicht nur für Wälzer der Literaturgeschichte, das gilt auch für das brisanteste Sachbuch der Gegenwart: den Mueller-Report.
Nur eine verschwindend kleine Minderheit der Amerikaner haben sich durch den 480-Seiten-Report gekämpft. Der grösste Teil hat ein bruchstückhaftes oder gar kein Wissen darüber, was Mueller über den Präsidenten herausgefunden hat.
Wie gross dieses Unwissen ist, hat eine Episode vor ein paar Tagen gezeigt. Der Abgeordnete Justin Amash – der einzige Republikaner, der ein Impeachment fordert, und wohl der einzige, der den Report gelesen hat – führte seine Gründe an einem Meeting vor seinen Wählern im Bundesstaat Michigan aus.
Daraufhin erklärte eine treue Trump-Wählerin und Fox-News-Zuschauerin völlig verblüfft: Sie habe gar nicht gewusst, dass irgendwas Negatives über den Präsidenten im Report stehe.
Die perfide Taktik von Justizminister William Barr ist voll aufgegangen. Seine groteske Umdeutung des Mueller-Reports hat dazu geführt, dass das No-Collusion-No-Obstruction-Geblöke von Trump tatsächlich für bare Münze genommen wird. Doch nun muss der Präsident einen schweren Rückschlag verkraften. Der Sonderermittler hat zwar noch keinen Film, aber immerhin einen Trailer für einen möglichen Film veröffentlicht.
In seiner rund zehnminütigen Pressekonferenz hat Mueller folgende Kernaussagen gemacht: Die Russen haben massiv in den US-Wahlkampf eingegriffen, und zwar zugunsten von Trump. Es handelt sich dabei um eine sehr ernst zu nehmende Bedrohung.
Die Untersuchung war damit weder ein «schlechter Witz» noch eine «Hexenjagd», wie Trump immer wieder betont. Sie war gerechtfertigt, und sie wurde von einem hervorragenden Team korrekt durchgeführt.
Noch deutlicher wurde Mueller in der Frage der Behinderung der Justiz: Hätte er herausgefunden, dass der Präsident unschuldig sei, dann hätte er dies auch gesagt. Eine Richtlinie des Justizministeriums schreibe jedoch vor, dass ein regierender Präsident nicht angeklagt werden dürfe. Daher könne er auch keinen Schuldspruch fällen. Dafür seien andere Gremien zuständig.
Man muss weder Quantenphysik studiert haben noch Daniel Huber heissen, um den Sinn von Muellers Botschaft zu entziffern. Sie lautet: Der Präsident hat kriminell gehandelt und der Kongress muss ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.
Muellers Trailer zeigt Wirkung. Mehr als 50 demokratische Abgeordnete und fast alle Präsidentschaftskandidaten verlangen nun ein Impeachment. Sie argumentieren dabei wie folgt: Die Verfassung schreibe vor, dass der Kongress die Arbeit der Regierung überwache und wenn nötig auch eingreife.
Dieser Fall sei mit dem Mueller-Report nun eingetreten. Wenn das Abgeordnetenhaus kein Impeachment-Verfahren einleitet, dann vernachlässige es seine Pflicht. Dass der von Republikanern beherrschte, korrupte Senat danach den Präsidenten nicht verurteilen werde, sei kein Hinderungsgrund. Zudem würde ein Impeachment es erleichtern, die totale Blockade des Weissen Hauses gegen Vorladungen zu durchbrechen.
Die Mehrheit der Demokraten, allen voran Nancy Pelosi, die Mehrheitsführerin im Abgeordnetenhaus, wollen aber immer noch nichts von einem Impeachment wissen. Die Impeachment-Gegner argumentieren dabei wie folgt:
Trump sei demokratisch gewählt worden. Seine Wählerinnen und Wähler hätten dabei sehr wohl um seinen Charakter gewusst. Ein Impeachment würde daher als hinterlistiger Angriff seiner Gegner interpretiert werden.
Zudem werde der Senat niemals einen Schuldspruch gegen den Präsidenten aussprechen. Trump würde dies als Freispruch interpretieren und in den kommenden Wahlen gebührlich ausschlachten. Ein Impeachment würde daher das wichtigste Ziel der Demokraten gefährden: Trump im November 2020 aus dem Amt zu jagen.
Pelosi & Co. fordern daher eine Art Impeachment, das jedoch nicht Impeachment genannt wird. Will heissen: Sie wollen, dass die bereits laufenden Verfahren gegen Trump – es sind mehr als 20 – intensiviert werden. Das bedeutet: Hearings vor laufenden Kameras, damit die Amerikaner endlich von den Straftaten ihres Präsidenten erfahren.
Robert Mueller selbst will sich daran nicht beteiligen. Er hat ausdrücklich erklärt, dass die Pressekonferenz sein einziger und letzter Auftritt vor der Öffentlichkeit sei. Damit wird er nicht durchkommen. Er muss sich der perfiden Taktik von Justizminister Barr stellen und endlich Klartext sprechen.
Bisher hat Mueller darauf gepocht, dass sein Report für sich selbst spreche. Das mag stimmen, ist jedoch im Twitter-Zeitalter völlig verfehlt. «Mueller ist mit einem Dolch zu einem Duell erschienen, Trump und Barr hingegen mit Pistolen», beschreibt der Historiker Jon Meacham die Lage des Sonderermittlers.
Um diese einseitige Ausgangslage zu korrigieren, muss Mueller daher vor dem Kongress aussagen. Ein Trailer hat nicht gereicht. Die Amerikaner haben ein Anrecht auf den ganzen Film. Erst dann können sie entscheiden, ob ein Impeachment gerechtfertigt ist oder nicht.