Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat die Investoren lange kaum interessiert. «Schlussendlich wird man sich einigen», lautete die Devise an der Wall Street. Die kurzfristigen Einbrüche nach den sporadischen Wallungen des Präsidenten wurden daher nicht als Gefahr, sondern als Schnäppchen-Gelegenheit genutzt.
Bisher ist die Rechnung aufgegangen. Dank flotten Unternehmensgewinnen und tiefer Arbeitslosigkeit erholten sich die Kurse nach Schwächephasen regelmässig wieder und eilten von Rekord zu Rekord.
Nun aber hat der Wind gedreht. Gestern ist der Aktienindex Dow Jones erneut um 1.5 Prozent eingebrochen. Im August sind es mittlerweile mehr als 3 Prozent.
«Kein Grund zur Aufregung», könnte man einwenden. Schliesslich sind die Aktien seit Beginn des Jahres immer noch deutlich im Plus. Doch das könnte sich als schwacher Trost erweisen, denn die Psychologie der Investoren hat sich gedreht. «Diesmal ist alles anders», lautet das neue Motto.
Den Stimmungswandel hat Trump höchstpersönlich ausgelöst. Ende Juni hatte er mit Chinas Präsident Xi Jinping einen Waffenstillstand geschlossen und damit die Märkte beruhigt. Vergangene Woche jedoch hat er völlig überraschend neue Strafzölle gegen das Reich der Mitte angekündigt.
Nebst den bereits beschlossenen Massnahmen will er zusätzlich zehn Prozent auf chinesische Importe in der Höhe von 300 Milliarden Dollar packen.
Trumps jüngste Strafzoll-Wallungen haben die Hoffnung zerstört, dass sich die USA und China zu einem Deal durchringen können. Die Investoren glauben nicht mehr daran, dass sich die Streithähne noch bis zu den Wahlen im November 2020 einigen können und richten sich auf einen längeren Konflikt ein.
Die Tatsache, dass sich der Handelskrieg mittlerweile auch zu einem Währungskrieg ausgeweitet hat, trägt ebenfalls nicht wirklich dazu bei, die Nerven zu beruhigen.
Nicht nur die Psychologie der Investoren, auch die Realität der Konsumenten, Gewerbler und Farmer wird sich bald ändern. Sollten die angedrohten Strafzölle Anfang September tatsächlich in Kraft treten, hat dies konkrete Auswirkungen: Die Konsumenten werden tiefer in die Tasche greifen müssen. Rund 700 Dollar jährlich soll die Belastung für den Durchschnittskonsumenten gemäss Berechnungen der Beratungsfirma Trade Partnership Worldwide betragen.
Die Unternehmen – und vor allem die KMU – können derweil die Strafzölle nicht mehr wie bisher mit anderen Kosteneinsparungen auffangen. Die Farmer schliesslich leiden darunter, dass China Vergeltungsmassnahmen verkündet und die bereits vereinbarten Lieferungen von Sojabohnen wieder storniert hat.
Während Ökonomen die Torheit eines Handelskrieges beklagen, fragen sich Politexperten: Warum tut sich Trump dies an? Er schiesst sich dabei doch selbst ins Knie. Eine boomende Wirtschaft ist für US-Präsidenten so etwas wie ein Freilos für eine Wiederwahl. Genau dies setzt der Präsident mit seiner wirren Handelspolitik aufs Spiel.
Gemäss seriösen Schätzungen hat der Handelskrieg bereits jetzt rund 300’000 Jobs gekostet. Mit den jüngsten Strafzöllen riskiert Trump, dass er die US-Wirtschaft nächstes Jahr in eine Rezession stürzt. Die Ökonomen von Goldman Sachs beziffern dieses Risiko nun auf 30 Prozent.
Eine Rezession würde die Wiederwahls-Chancen Trumps gegen Null tendieren lassen. Derzeit sieht es wie folgt aus: 35 Prozent der Wählerinnen und Wähler werden Trump wählen, was immer auch passiert; 45 Prozent auf keinen Fall. Entscheidend werden somit die 20 Prozent Unentschlossenen sein, die Trump auf keinen Fall mit einer einbrechenden Wirtschaft vergraulen darf.
Pessimisten sehen nicht nur die US-Wirtschaft in Gefahr, sie sprechen von einem weltweiten Abschwung. So fürchtet Rana Foroohar in der «Financial Times», dass die Zentralbanker die Weltwirtschaft nicht mehr lange mit billigem Geld werden über Wasser halten können.
Foroohar spricht von einem «Sommer der Angst» und glaubt, dass auch die Zentralbanker am Ende ihres Lateins angekommen sind: «Sie können kein reales Wachstum erzeugen», stellt sie fest. «Sie können nur Geld herumschieben.»
Und ich frage zurück: Wäre Journalismus nicht dazu da, um Fragen zu beantworten statt zu stellen?
Seit der letzten Krise liegt der Patient auf der Intensivstation und wird künstlich am Leben gehalten. Die Hoffnung auf eine Wunderheilung wird vergebens sein ...