Am 4. April wird die Nato in Washington hochoffiziell ihren 70. Geburtstag begehen. Sie hat Grund zum Feiern: Der Kalte Krieg wurde gewonnen und ein langer Frieden gesichert. Das primäre Ziel ist damit erreicht worden. Der britische Lord Ismay hat es einst salopp wie folgt definiert: «Die Russen draussen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu behalten.»
Trotzdem wird man sich in Washington kaum gegenseitig auf die Schultern klopfen. Zu gross sind die Probleme, die auf die Nato zukommen. Das zeigt ein Dossier, das der «Economist» in seiner neuesten Ausgabe erstellt hat. Hier die wichtigsten Brennpunkte:
Der Kollaps der UdSSR hat den Hauptgegner ausgeschaltet, aber nur für kurze Zeit. Spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim vor fünf Jahren ist Russland wieder zu einer Bedrohung geworden. Die Nato nimmt diese Herausforderung ernst. Sie hat in den baltischen Staaten und Polen eine rasche Eingreiftruppe stationiert, die innert Tagen kampfbereit ist.
Im letzten Herbst führte die Nato in Norwegen das grösste Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges durch. In Norfolk (US-Bundesstaat Virginia) und in der deutschen Stadt Ulm werden zudem zwei neue Kommandozentralen eingerichtet, welche die Truppenbewegungen koordinieren.
Vor ein paar Wochen hat Präsident Trump den Vertrag über die nuklearen Mittelstreckenraketen INF gekündigt. Als Begründung führte er an, die Russen würden sich schon lange nicht mehr an diese Vereinbarung halten. Zudem seien die Chinesen nicht daran gebunden. Allgemein wird nun ein neues nukleares Wettrüsten befürchtet.
Solange es nur darum ging, die Russen draussen zu behalten, gab es wenige Differenzen innerhalb des Bündnisses (Okay, die Franzosen machten gelegentlich Schwierigkeiten). Doch in den letzten Jahren sind die Interessen stark auseinander gedriftet.
Die Zukunft von Grossbritannien, bisher ein sehr verlässlicher Partner, ist mit dem Brexit unsicher geworden. Sollte gar Jeremy Corbyn Premierminister werden, könnte das dramatische Folgen haben. Der Labour-Chef lehnt die Nato ab und will die britische Atomstreitmacht abrüsten.
In Europa spitzt sich der Konflikt zwischen den Staaten des Ostens – vor allem Ungarn und Polen – mit dem Westen zu. Der türkische Präsident Recep Erdogan flirtet derweil immer heftiger mit Wladimir Putin und will gar russische Waffensysteme kaufen.
Die Spannungen zwischen den beiden Nato-Partnern Türkei und Griechenland können jederzeit wieder aufbrechen. Frankreich will vor allem die Lage in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien im Griff haben, die Italiener die Flüchtlinge abwehren, die über das Mittelmeer kommen. Die Deutschen sorgen sich um die Stabilität des Militärbündnisses.
«Um die diversen Interessen unter einen Hut zu bringen, haben die Alliierten einen 360-Grad-Sicherheitsansatz gewählt», schreibt der «Economist». «Er sieht vor, dass nicht nur die Gefahren aus Russland im Auge behalten werden, sondern auch aus Afrika und dem Nahen Osten, den Quellen des Terrorismus.»
Mit Donald Trump als Präsident ist es nicht mehr selbstverständlich, dass die Amerikaner drin bleiben, wie sich das Lord Ismay gewünscht hat. Trump hat nicht nur die Nato mehrfach öffentlich kritisiert, er soll auch im privaten Kreis immer wieder mit einem Austritt der USA aus dem Militärbündnis gedroht haben. Trump hasst multilaterale Abkommen und ist überzeugt, dass die Amerikaner in der Nato über den Tisch gezogen werden.
Allerdings dürfte selbst Trump Schwierigkeiten haben, die Nato platzen zu lassen. Im US-Kongress sind die Sympathien für das Militärbündnis bei beiden Parteien nach wie vor sehr gross. So hat der Senat im vergangenen Juli sich mit 92 zu 2 Stimmen für eine Unterstützung der Nato ausgesprochen. Dasselbe gilt auch für die amerikanische Bevölkerung. 64 Prozent haben kürzlich in einer Umfrage des Pew Research Center ihre Zustimmung für das Militärbündnis kundgetan.
Trump bemängelt immer wieder, die Europäer würden ihrer Finanzierungspflicht nur ungenügend nachkommen. Hauptsächlich Deutschland sei weit davon entfernt, die Abmachung einzuhalten, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für das Militär einzusetzen. Diese Kritik ist grundsätzlich berechtigt und ist bereits von Trumps Vorgängern vorgebracht worden. Deutschland hat inzwischen versprochen, seine Militärausgaben zu erhöhen.
Trumps heftige Kritik hat jedoch eine Gegenreaktion ausgelöst. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat die Bildung einer europäischen Armee in die Diskussion gebracht. Auch Angela Merkel hat mehrfach betont, dass Europa im Zeitalter von Trump vermehrt auf eigenen Füssen stehen müsse.
Eine europäische Armee als Alternative zur Nato ist jedoch vorläufig bloss ein feuchter Traum. «Eine Allianz aus EU-Staaten wäre ein Schatten der Nato», hält der «Economist» nüchtern fest. «Nach einem Brexit werden die Nicht-EU-Staaten 80 Prozent der Nato-Ausgaben bestreiten.»
Künftige Kriege werden vielleicht nicht mehr mit herkömmlichen Waffen geführt, sondern im Cyberspace. Will heissen: Der Verkehr, die Elektrizitäts- und die Wasserversorgung werden lahmgelegt, das Finanzsystem gehackt, etc. Um diesen Bedrohungen zu begegnen, hat Trump bereits eine «space force» ins Leben gerufen. Was er darunter versteht, ist allerdings rätselhaft.
Auch die Nato nimmt den Cyberwar ernst. In der belgischen Stadt Mons befindet sich das Hauptquartier von Allied Command Transformation (ACT). Diese Stelle soll die Cyberaktivitäten der einzelnen Nato-Mitglieder unter einen Hut bringen.
Allerdings ist ACT vorläufig noch eine Baustelle. «Ende 2019 sollte die Nato erstmals in der Lage sein, koordinierte Cyber-Operationen durchzuführen», so der «Economist». «Selbst dann jedoch bleibt der Cyberspace eine gewaltige Aufgabe, welche die Alliierten eben erst begonnen haben, in Angriff zu nehmen.»
Die UdSSR war einst im Fadenkreuz der Nato, heute ist es immer mehr China. Das Reich der Mitte will immer offensichtlicher eine Supermacht werden, auch militärisch. Auch für diese Aufgabe ist die Nato nur mangelhaft gerüstet.
«Die Allianz ist nicht für diesen Zweck gebildet worden», so der «Economist». «Sie hat keine Strategie, um damit umzugehen. In den kommenden Jahren werden die USA ihre Aufmerksamkeit und ihre Mittel immer stärker China zuwenden. China könnte deshalb die Ziele der Allianz tiefgreifend verändern.»