Der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers hat im Herbst 2008 eine Krise ausgelöst, die beinahe das globale Finanzsystem zum Einsturz gebracht hätte. Kein Wunder also, dass in der Folge alles unternommen wurde, um ein solches Ereignis künftig zu verhindern. Unter der Leitung des Senators Chris Dodd und des Abgeordneten Barney Frank wurde ein entsprechendes Gesetz ausgearbeitet und 2010 von Präsident Barack Obama verabschiedet.
Präsident Donald Trump hasst bekanntlich alles, was sein Vorgänger geleistet hat, vor allem von ihm unterzeichnete Gesetze. Auf Druck der Wall Street weichte er deshalb 2018 den Dodd-Frank-Act auf und ermöglichte so, dass die Banken wieder vermehrt spekulative Aktivitäten entfalten konnten. Eine Bank, die davon profitieren konnte, war die Silicon Valley Bank (SVB). Ihr CEO Greg Becker soll sich damals persönlich dafür eingesetzt haben, dass die Auflagen für seine Bank gelockert wurden.
Das Aufweichen des Dodd-Frank-Acts wird als ein möglicher Grund für den Kollaps der SVB angeführt. So erklärt Saule Omarova, Rechtsprofessorin an der Cornell University, gegenüber der «Financial Times», die Abschwächung des Gesetzes «reduzierte definitiv den Puffer, den Banken brauchen, um Verluste verkraften zu können».
Weiter führt Omarova aus: «Wäre dies nicht geschehen, dann hätte die SVB einen grösseren Puffer gehabt. (…) Die Wahrscheinlichkeit eines Bank Runs wäre deutlich kleiner gewesen und wäre es trotzdem dazu gekommen, dann müssten heute deutlich weniger Bankkunden um ihr Geld bangen.»
So gesehen scheint der Fall klar zu sein: Trump hat der Gier der Banken nachgegeben und ein Gesetz verwässert, das sie zu grösserer Vorsicht gezwungen hätte. Ergo ist der Ex-Präsident der Schuldige am aktuellen Bankenkollaps, oder nicht? Nicht ganz.
Diese Argumentation hat einen Schwachpunkt. Trump konnte den Dodd-Frank-Act nur mit Zustimmung des Senats verwässern. Das wiederum konnte er nur, wenn auch demokratische Senatoren mit von der Partie waren – und 17 von ihnen waren es auch, darunter der in Finanzfragen sehr einflussreiche Senator Mark Warner. Deshalb kann der SVB-Fall, wenn überhaupt, höchstens teilweise Trump in die Schuhe geschoben werden.
Auch die Konservativen setzten alle Hebel in Bewegung, um aus dem Banken-Kollaps politische Vorteile zu ziehen. SVB sei ein typisches Beispiel von Woke-Kapitalismus, argumentieren sie. Im «Wall Street Journal» weist der Kolumnist Andy Kessler darauf hin, dass die SVB betone, dass 45 Prozent des Verwaltungsrates weiblich sei und dass es auch einen Schwarzen, ein LGBTQ+ und zwei Veteranen darunter habe. Hämisch kommentiert Kessler. «Ich sage nicht, dass zwölf weisse Männer diese Sauerei verhindert hätten, aber es könnte sein, dass das Unternehmen von Diversitätsfragen abgelenkt war.»
Die Woke-Kapitalismus-Hymne wird selbstverständlich auch bei Fox News rauf und runter gejodelt. Gleichzeitig hoffen die Rechten, die goldenen Zeiten der Tea Party wiederbeleben zu können. Diese rechts bis rechtsextreme Bewegung entstand als Folge davon, dass die Banken beim Crash von 2008 von der Regierung gerettet wurde, während gleichzeitig viele kleine Hausbesitzer alles verloren. Die Wut der Tea Party führte dazu, dass die Demokraten bei den Wahlen 2010 eine gewaltige Niederlage erlitten.
Ebenfalls auf der Meinungsseite des «Wall Street Journal» versucht Vivel Ramaswamy diese Wut neu zu entfachen. Es handelt sich dabei um einen libertären Hedge-Fund-Manager und aussichtslosen republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Die Biden-Regierung wolle die SVB bloss deswegen retten, weil es sich um eine Bank handle, die Start-ups finanziere, welche sich hauptsächlich auf den Green New Deal verlegt hätten, frotzelt Ramaswamy und fordert: «Der Steuerzahler darf diese politische Anmassung nicht belohnen.»
Die Angst vor einer neuen Tea Party steckt auch der Regierung in den Knochen. Am Sonntag erklärte Janet Yellen, dass alle Bankkunden ihr Geld zurückerhalten werden, auch diejenigen, deren Guthaben die vom Staat versicherten 250’000 Dollar übersteigen. Gleichzeitig betont die Finanzministerin jedoch ausdrücklich, dass kein Cent an Steuergeldern für diese Rettung verwendet würde.
Die Regierung will zudem nicht nur der SVB aus der Patsche helfen, sondern auch der Signature Bank. Diese in New York ansässige Bank ist ebenfalls am Wochenende aus ähnlichen Gründen wie die SVB kollabiert. Sie ist hauptsächlich im Krypto-Geschäft tätig, und ihre Kundschaft ist alles andere als woke, gehören doch unter anderem die Trump Company und Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, dazu.
Die Regierung und die Notenbank haben gar keine andere Wahl, als die in Not geratenen Banken zu retten. Obwohl der Begriff «Bailout» krampfhaft vermieden wird, ist es letztlich genau das. Anat Admati, Finanzprofessor an der Stanford University, erklärt denn auch in der «Financial Times»: «Wenn es einmal so weit gekommen ist, befinden sie sich in Geiselhaft. Sie können gar nicht anders.»
Mit dem Bailout, das nicht Bailout genannt werden darf, sollte es gelingen, die wirtschaftliche Situation zu beruhigen. Die politischen Wellen werden kaum so schnell zu glätten sein, zumal hässliche Details bekannt geworden sind, beispielsweise, dass SVB-CEO Becker noch letzte Woche seine Aktien verkauft haben soll. Dabei dürfte er der Hauptschuldige am Debakel sein. Er hat eine Grundregel des Bankings missachtet, die lautet: Man muss zuerst und unter allen Umständen kurz- und langfristige Risiken ausbalancieren.
Immerhin sollte Becker mit seiner persönlichen Gewinnoptimierung nicht durchkommen. Präsident Joe Biden hat bereits angekündigt, dass die Schuldigen diesmal zur Rechenschaft gezogen werden. Und Ro Khanna, ein einflussreicher demokratischer Abgeordneter aus dem Silicon Valley, fordert in der «Washington Post»: «Wir müssen dieses Geld zurückfordern und es den Bankkunden zurückgeben.»
Kein Gesetz in der Welt hält diese Bande zurück.