Als Chinas Wirtschaft noch boomte, war das Riesenland in den Worten der Internationalen Energieagentur (IEA) «der Eckpfeiler des Wachstums der globalen Ölnachfrage in diesem Jahrhundert». Damit stützte es in aller Welt die Benzinpreise, auch an Schweizer Zapfsäulen. Doch das ändert sich nun, weil China gleich eine dreifache Wende durchmacht. Der Eckpfeiler bricht weg.
In Chinas Boom-Zeiten habe es sich «zeitweise angefühlt, als würde sein Ölverbrauch unaufhaltsam immer weiter ansteigen», schreibt die IEA. China brauchte mehr Öl für seine Fabriken, mehr für den Aufbau seiner Infrastruktur, mehr für den steigenden Wohlstand seiner über einer Milliarde Menschen. Immer mehr.
«Eckpfeiler der globalen Ölnachfrage» war China auch noch im letzten Jahrzehnt. Vom gesamten durchschnittlichen Anstieg war das Land für mehr als 60 Prozent verantwortlich. Von jeden 10 Ölfässern, welche die Welt zusätzlich brauchte, gingen also 6 nach China.
Nach der Corona-Pandemie schien es lange, als bliebe China dieser Eckpfeiler bestehen. Ausserhalb von China erholte sich die Öl-Nachfrage lange nicht, sie blieb tiefer als vor Corona. In China hingegen lag sie 2023 um mehr als 15 Prozent höher. China schien weiterhin unaufhaltsam immer mehr Öl zu verbrauchen – dann war plötzlich alles anders.
Chinas Ölnachfrage ging 2024 zeitweise gar nicht mehr in die Höhe, sondern deutlich zurück. Im Juli war sie um 1,7 Prozent tiefer als im Vorjahr. Für das gesamte Jahr 2024 erwartet die IEA zwar noch eine Zunahme, aber lediglich von etwa 1 Prozent. Das ist bedeutend weniger als 2023, als es noch beinahe 10 Prozent waren. Die IEA bewertet es als «abrupte Verlangsamung».
Und abrupt verlangsamt dürfte es weitergehen. Denn die Trends, welche Chinas Ölverbrauch nun bremsen, verschwinden nicht so schnell wieder.
Ein solcher Trend ist Chinas demografische Wende, die von einem US-Wirtschaftsinstitut als «Kollaps» beschrieben wird. Die Geburtenrate sei ab 2016 geradezu eingebrochen, sodass die Bevölkerung im Jahr 2022 abnahm – erstmals seit 60 Jahren. Seither ging es so weiter und der Trend wirke «unumkehrbar».
Dagegen dürfte auch die Kampagne der chinesischen Regierung wenig ausrichten können, von welcher die «Financial Times» berichtet. Zum Beispiel rufen lokale Behörden ungebeten verheiratete Frauen an, um sie nach ihren Kinderplänen zu fragen. Universitäten wurden aufgefordert, für alleinstehende Studierende sogenannte «Liebeskurse» anzubieten.
Eine Wende erlebte China auch am Immobilienmarkt, ungefähr im Jahr 2021. Zuvor gingen die Preise jahrelang nur aufwärts, zum Beispiel ab 2005 beinahe um 100 Prozent, wie Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigen. Seither sind sie um 11 Prozent gefallen.
Dennoch kriegen die Immobilienentwickler ihre Häuser noch immer nicht weg, berichtet die «Financial Times». Die Zahl der unverkauften Häuser entspreche laut einer Schätzung der US-Bank Goldman Sachs ungefähr dem 10-fachen dessen, was sie 2023 losgeworden sind. Somit müssten sie nun 10 Jahre lang eigentlich gar keine neuen Häuser mehr bauen – oder den Verkauf mit noch viel tieferen Preisen anschieben.
Diese historische Immobilienkrise schwächt Chinas Ölverbrauch weiter, wie die IEA schreibt. Es braucht etwa weniger Gasöl für die Baumaschinen und den Materialtransport. Dabei wird es kaum bleiben. Fallen die Häuserpreise, taumeln meist die Banken. Weil diese weniger Kredite vergeben, kriseln Immobilienmärkte selten allein und kurz, sondern die ganze Wirtschaft mit ihnen und dies viele Jahre lang.
Und noch ein dritter Trend bedeutet, dass China lange wegfallen dürfte als Eckpfeiler der globalen Ölnachfrage. Es ist kein Kollaps, keine Krise: Auf Chinas Strassen scheint die Umstellung von Verbrennern zu Elektrovehikeln schnell zu gelingen. Im Juli und im August machten sie schon mehr als die Hälfte aller Autoverkäufe aus. Damit bricht eine weitere Ölnachfrage aus China weg.
Wie geht es nun weiter? Das fragt sich auch die Internationale Energieagentur. China sei so «zentral» gewesen für die Ölnachfrage, dass sein «drastischer» Wachstumsrückgang erhebliche Fragen aufwerfe. Die westlichen Länder würden seine Rolle nicht übernehmen. Ihre Nachfrage stagniere seit einem Jahrzehnt und werde wohl bald sinken. Andere asiatische Länder kämen nicht infrage, in Indien beispielsweise sei die Industrie dafür zu klein.
Also erlebt die Welt vielleicht gerade eine historische Wende am Ölmarkt, so die IEA. Die Nachfrage nehme zwar noch zu, aber immer langsamer und langsamer, bis sie gegen Ende des Jahrzehnts zu einem Stillstand komme.
Es kann zwar immer Krisen und Schocks geben, die die Ölproduktion plötzlich schwächen. Aber auch diese Krisen schlagen weniger stark auf die Preise von Öl und Benzin durch, wenn die globale Nachfrage schwächer ist. So oder so ist hierzulande das Tanken billiger, als es dies sonst wäre, ohne Chinas Immobilienkrise, ohne die Wende in seiner Demografie und auf seinen Strassen.