Die Diagnose der NZZ ist vernichtend: «Die Credit Suisse hat die Deutsche Bank auf dem Bankenplatz als Skandalproduzentin Nummer eins abgelöst.» Tatsächlich haben sich bei der Schweizer Grossbank die Affären in letzter Zeit regelrecht aufgetürmt. Allein dieses Jahr geriet sie zweimal mit riskanten Geschäften und hohen Verlusten in die Schlagzeilen.
Anfang März musste die vom Australier Lex Greensill gegründete Finanzgesellschaft Insolvenz anmelden. Der Versicherer Tokio Marine war nicht mehr bereit, das vermeintlich todsichere Geschäftsmodell zur Finanzierung von Lieferketten abzudecken. Die CS musste Greensill-Fonds im Umfang von rund zehn Milliarden Dollar auflösen.
Kurz darauf folgte die nächste Pleite: Der Kollaps des US-Hedgefonds Archegos Capital bescherte der CS einen Verlust von rund fünf Milliarden Franken. Sie hatte sich intensiver und länger als jede andere Bank an dem Fonds beteiligt, obwohl er ein hochriskantes Geschäftsmodell betrieb und Gründer Bill Hwang wegen Insiderhandels vorbestraft war.
Das Archegos-Debakel verhagelte der Credit Suisse die beiden ersten Quartale des laufenden Geschäftsjahres. Hinzu kam ein beträchtlicher Imageschaden, denn offenkundig hatte die Bank ihr Risikomanagement nicht im Griff. Verantwortlich dafür war ausgerechnet das Investmentbanking, das die CS nach der Finanzkrise von 2008 zurückfahren wollte.
CS-Risikochefin Lara Warner wurde gefeuert. Eine vom Finanzinstitut in Auftrag gegebene Untersuchung stellte eine «ungenügende Erfüllung der Aufsichtspflichten» fest. Den grössten Teil des Archegos-Investments muss die Credit Suisse abschreiben. Und nun wurde sie von zwei weiteren Skandale aus der jüngeren Vergangenheit eingeholt.
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma kam in ihrer Untersuchung zur Affäre um die Beschattung des früheren CS-«Starbankers» Iqbal Khan zu einem verheerenden Befund, wie sie am Dienstag mitteilte. Die verantwortlichen Führungskräfte um den damaligen CEO Tidjane Thiam hatten gegen so ziemlich alle Regeln verstossen.
Konkret ging es um den geplanten Wechsel von Iqbal Khan zur Konkurrentin UBS. Die Credit Suisse liess ihn von einem Detektivbüro observieren, das sich derart dilettantisch anstellte, dass es im Zentrum von Zürich zu einem Gerangel zwischen Khan und seinen Beschattern kam. Der Banker erstattete Anzeige und die Beschattung flog auf.
Eine tragische Wendung nahm die Affäre, als der Mittelsmann zwischen dem CS-Sicherheitsdienst und der Detektei sich das Leben nahm. Er fürchtete offenbar, als Sündenbock hinhalten zu müssen. Die Finma-Untersuchung zeigt nun, dass das Ausmass grösser war als bislang angenommen. Insgesamt wurden sieben Personen beschattet.
Der Skandal kostete Tidjane Thiam den Job, doch ausgestanden ist er kaum. So stellte die Finma fest, dass die Observationen und ihre Kosten verschleiert wurden, etwa durch den Einsatz von «externen Kommunikationsmitteln» wie Whatsapp. In Zukunft will die Finma der CS auf die Finger schauen und sicherstellen, dass solches nicht mehr möglich ist.
Ebenfalls am Dienstag veröffentlichte die Finma ihre Schlussfolgerungen zu einer besonders unappetitlichen Affäre. Die Londoner Filiale der Credit Suisse hatte 2013 zwei Staatsfirmen in Mosambik Kredite von einer Milliarde Dollar vermittelt. Damit sollten Küstenwachschiffe und eine Thunfischfangflotte in dem armen ostafrikanischen Land finanziert werden.
In Wirklichkeit floss ein Teil des Geldes in dunkle Kanäle. Die drei verantwortlichen Londoner CS-Mitarbeiter langten ebenfalls zu und bereicherten sich offenbar mit Kickbacks in der Höhe von 50 Millionen Dollar. Auch Geldwäscherei war im Spiel, doch die Credit Suisse unterliess eine Meldung trotz Hinweisen auf die korrupten Machenschaften.
Erst 2019 kam sie gemäss dem Finma-Bericht ihrer Meldepflicht nach, nachdem das US-Justizministerium Anklage gegen die drei CS-Mitarbeiter erhoben hatte. Die Bank selbst stimmte laut einer Mitteilung vom Dienstag einem Vergleich in der Höhe von 547 Millionen Dollar zu. Ausserdem muss sie Mosambik Schulden von 200 Millionen Dollar erlassen.
Die Deals hätten das Land letztlich in die Schuldenfalle getrieben, schreibt die NZZ. «Wer mag sich da noch wundern, wenn die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer für eine Konzernverantwortungsinitiative stimmen? Mit solchem Verhalten erweist die Credit Suisse dem gesamten Wirtschaftsstandort einen Bärendienst», meint die FDP-nahe Zeitung.
Angesichts des Skandalsumpfs drängen sich für die NZZ mehrere Fragen auf:
Die Verantwortlichen für die Skandale arbeiten nicht mehr am Paradeplatz. Der frühere Verwaltungsratspräsident Urs Rohner hat sein Amt im April an den Portugiesen António Horta-Osório übergeben. Der «Quereinsteiger» von der britischen Lloyds-Gruppe hat eine strategische Neuausrichtung mit Fokus auf das Risikomanagement angekündigt.
Es gibt viel zu tun, denn zumindest in der Greensill-Affäre sind die «Aufräumarbeiten» noch in Gang. Die Finma hat ein Verfahren eingeleitet. Ende September durchsuchte die Polizei Büros der Bank und beschlagnahmte Unterlagen. Noch wird die CS nicht direkt beschuldigt, aber weitere unerfreuliche Enthüllungen sind fast schon programmiert.