Technischer Fortschritt und «made in USA» gelten als Synonyme. Silicon Valley, «die grossen Fünf» (Apple, Amazon, Google, Facebook und Microsoft), aber auch Biotech, Elite-Universitäten wie Harvard und Stanford haben den Ruf der Vereinigten Staaten als technologische Supermacht begründet und gefestigt. Ernsthafte Konkurrenz mussten die Amerikaner bisher nicht befürchten.
Das könnte sich bald ändern. Das Reich der Mitte will nicht länger als Werkhalle der Welt den Westen mit billigen Spielzeugen und T-Shirts beliefern. Bereits heute sind es vor allem Smartphones und Laptops und bald sollen es selbstgelenkte Autos und Roboter sein.
Chinas erklärtes Ziel ist es, die führende Nation auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) zu werden. Das Thema wird auch eine bedeutende Rolle spielen, wenn sich die 2300 Delegierten der Kommunistischen Partei von China in den kommenden Tagen zum wichtigen Fünf-Jahres-Kongress treffen.
Wie Donald Trump ist der chinesische Präsident Xi Jinping fest entschlossen, sein Land wieder gross und den Schmach der Kolonialzeit vergessen zu machen. KI soll dabei eine entscheidende Rolle spielen. Die Voraussetzungen sind vorhanden: Mit Baidu, Alibaba und Tencent haben die Chinesen IT-Giganten, die sich auf Augenhöhe mit Google und Amazon befinden. Dazu kommt eine IT-Infrastruktur, die der amerikanischen deutlich überlegen ist.
Ein weiterer Vorteil ist die Tatsache, dass die Chinesen Technik lieben. Bereits heute sind 730 Millionen von ihnen online, mehr als doppelt so viele wie in den USA. Sie sind an autoritäre Regimes gewöhnt und haben wenig Bedenken bezüglich der Privatsphäre. In China ist daher in den letzten Jahren ein ideales KI-Versuchslabor entstanden. «Die Chinesen haben einen riesigen Sandkasten, viele Spielzeuge und sehr gut ausgebildetes Personal», sagt James Lewis vom Center for Strategic and International Studies in der «Financial Times».
Schon 2030 soll die chinesische KI-Industrie mindestens 150 Milliarden Dollar umsetzen. Die Regierung scheut keine Kosten, dieses Ziel zu erreichen. «Die Chinesen investieren Milliarden, wir Millionen», so Lewis. «Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie man mithalten kann, wenn der Gegner 1000 Mal mehr Mittel zur Verfügung hat.»
Nicht nur Ehrgeiz, sondern auch Leidensdruck treibt die Chinesen an. Nirgends ist die Umwelt mehr gefährdet als in ihrem Land. Die Luft in den Städten ist verpestet, die Flüsse vergiftet und es zeichnet sich ein gravierender Mangel an Wasser ab. Die chinesische Regierung muss dagegen etwas unternehmen – und sie tut es auch.
Die Regierung hat die Autohersteller aufgefordert, schon ab 2019 deutlich mehr Elektroautos zu produzieren, und überlegt sich Schritte, den Verbrennungsmotor gänzlich zu verbieten. Mit einer gezielten Förderung der eigenen Industrie sollen 2025 sieben Millionen Elektrofahrzeuge auf den Markt gelangen, heute sind es rund 500’000. Dazu kann sich China rühmen, zwei der fünf führenden Batteriehersteller zu besitzen: CATL und BYD.
Dank KI sollen die Autos in China bald nicht nur sauber, sondern auch smart fahren. Die Energie stammt immer öfters aus nachhaltigen Quellen. China ist der führende Hersteller von Solarzellen und ist im Begriff, seine Stromerzeugung diesbezüglich umzurüsten.
Die Amerikaner hingegen haben im Wettrennen um den Spitzenplatz der KI ein grosses Handicap: Donald Trump. Wider jegliche ökonomische und ökologische Vernunft setzt der US-Präsident auf Kohle und Erdöl. Nachhaltigen Energiequellen steht er misstrauisch bis ablehnend gegenüber, von staatlichen Investitionen in Forschung hält er nichts.
Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass Trump mit seiner harten Immigrationspolitik den Zuzug von IT-Cracks aus Asien erschwert und mit seiner bildungsfeindlichen Politik die Förderung des eigenen Nachwuchses vernachlässigt.
Ist der Siegeszug der Chinesen also nicht mehr zu bremsen? Nicht ganz. Unter Präsident Xi ist das politische Klima im Reich der Mitte wieder deutlich rauer geworden. Der Präsident setzt alles daran, die Macht der Partei zu festigen, und duldet keinen Widerspruch. In diesem Klima gedeihen Innovationen nur bedingt, Kreativität braucht Freiheit.
Diese Freiheit fehlt an chinesischen Schulen. Stattdessen wird grosser Wert auf Drill und Auswendiglernen gelegt. David Shambaugh, China-Experte und Professor an der Georgetown University in Washington, schreibt deshalb in seinem Buch «China's Future»: Wird die Pädagogie des chinesischen Bildungswesens nicht komplett neu gestaltet und mehr Wert auf die Förderung des individuellen Lernens, auf unabhängiges und kritisches Denken und Grundlagenforschung gelegt, dann werden Chinas Universitäten höchstens Mittelmass bleiben.»