Die Geschichte mutet an wie ein Hollywood-Blockbuster: Ein Unternehmen, als Star gehypt an der Börse, hat angeblich zwei Milliarden Euro auf Treuhandkonten auf den Philippinen. Als herauskommt, dass es die Konten gar nicht gibt, stürzt die Aktie des Konzerns ab. Milliarden Euro verbrennen binnen mehrerer Tage im zweitgrössten Kursrutsch der Dax-Geschichte.
Am Dienstag nun gab die Staatsanwaltschaft München bekannt, dass der zurückgetretene Chef Markus Braun am Montagabend festgenommen worden sei.
Doch eine Erfindung von Martin Scorsese oder Steven Spielberg ist das nicht. Vielmehr der Thriller um einen deutschen Konzern der ersten deutschen Börsenliga: Wirecard.
Doch was ist genau passiert? Warum hat sich die Aktie halbiert? Was bedeutet das für den deutschen Wirtschaftsstandort? Und vor allem: Muss Wirecard jetzt dichtmachen?
Wirecard ist eines der Unternehmen, deren Dienste Verbraucher oft in Anspruch nehmen, ohne es zu wissen. Der Münchner Dax-Konzern wickelt Kartenzahlungen sowohl an Ladenkassen als auch in Onlineshops ab. Als Kunden nennt Wirecard zum Beispiel die Airline KLM, den Haushaltsartikel-Spezialisten WMF oder den Paketdienst FedEx.
Für das Kerngeschäft verfügt Wirecard in Europa über eine eigene Bank, die als Mittelsmann dafür sorgt, dass das Geld von den Kartendiensten zu den Händlern kommt. In anderen Ländern, wo Wirecard keine solchen Lizenzen hat, arbeitet die Firma dafür mit Partnern zusammen.
Zugleich bietet Wirecard eine Palette von Dienstleistungen rund ums Bezahlen an. Neben der Integration in Kassensysteme und der Unterstützung verschiedener Bezahlmethoden gehören dazu auch Sicherheitsvorkehrungen gegen Betrugsversuche. Ein weiterer Service ist die Auswertung von Daten, die Kunden eine bessere Steuerung ihres Geschäfts ermöglichen soll.
Am Donnerstag sollte Wirecard eigentlich die Bilanz für das Jahr 2019 vorstellen. Mehrmals hatte der Konzern diesen Termin bereits verschoben. Am Donnerstag platzt die Präsentation dann zum vierten Mal. Der Grund: Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) hatten Zweifel an der Existenz von 1.9 Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten in Asien verbucht wurden.
EY vermutet eine Täuschungsabsicht – Wirecard fürchtet einen «gigantischen» Milliardenbetrug und erstattete Strafanzeige. «Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einen Betrugsfall erheblichen Ausmasses zum Geschädigten geworden ist», sagte der damalige Wirecard-Vorstandschef Markus Braun in einer Stellungnahme des Vorstands am Donnerstagabend. Unabhängig davon hatte die Finanzaufsicht BaFin angekündigt, den Fall unter die Lupe nehmen zu wollen.
Doch nicht erst seit diesem Bilanzskandal steht Wirecard im Blickfeld der Aufsichtsbehörden. Bereits seit Anfang 2019 veröffentlichte die britische «Financial Times» («FT») mehrere Berichte, die Wirecard Marktmanipulation, Geldwäsche oder gar Betrug in Tochtergesellschaften in Singapur und Indien nahelegten. Daraufhin wurden auch die Geschäftsräume einer Wirecard-Tochter in Singapur durchsucht. Wirecard versuchte derweil, eine Unterlassung gegen die «Financal Times» zu erreichen – weil die «FT» mit Börsenspekulanten gemeinsame Sache machen würde. Wirecard hatte mit der Klage aber keinen Erfolg.
Um diese Vorwürfe aus der Welt zu räumen, erstellte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG einen Sonderbericht, den der damalige Wirecard-Chef Markus Braun in Auftrag gegeben hatte. Doch die KPMG-Prüfer hatten bereits Zweifel geäussert und den Sachverhalt nicht aufklären können.
Die grosse Frage ist: Wo befinden sich die rund zwei Milliarden Euro? Existieren sie überhaupt?
Am Freitag haben die philippinischen Banken öffentlich gemacht, dass das Geld nicht auf den Treuhandkonten liegt. Vorstandschef Markus Braun trat daraufhin von seinem Posten zurück, bereits einen Tag vorher wurde Vorstandsmitglied Jan Marsalek vorerst suspendiert, der als Vertrauter Brauns galt und das Asien-Geschäft verantwortete.
Am Montag dann teilte Wirecard mit: Die Konten gibt es mit «überwiegender Wahrscheinlichkeit» überhaupt nicht. Damit dürfte umso mehr fraglich sein, was mit den Milliarden Euro ist.
Das ist die grosse Frage. Sowohl den Wirtschaftsprüfern als auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wird vorgeworfen, eine Teilschuld an dem Bilanzskandal zu tragen.
Der Grund bei den Wirtschaftsprüfern: Sie hätten zu sehr die eigentliche Situation von Wirecard verschleiert. Schliesslich prüfte EY bis 2018 noch die Bilanzen von Wirecard – und entdeckte keine Unregelmässigkeiten.
Auch die BaFin, die zwar nun Ermittlungen aufgenommen hat, hat bereits Anfang 2019 eine historische Entscheidung mit Wirecard-Bezug getroffen: Das erste Mal in ihrer Geschichte hat sie den Leerverkauf für die Aktie eines Unternehmens zeitweise verboten, nämlich für die Wirecard-Aktie. Gemeint sind damit spezielle Aktiengeschäfte, bei denen Spekulanten auf fallende Kurse wetten.
Dem Leerverkaufsverbot gingen Berichte der «Financial Times» voran, die Betrug bei einer Wirecard-Tochter in Singapur anprangerten (siehe oben). Die Aktie des Konzern stürzte daraufhin ab – erholte sich zeitweise aber auch wieder stark.
Wirecard warf der «Financial Times» in dieser Zeit auch vor, selbst mit Spekulanten unter einer Decke zu stecken (siehe oben). Die Entscheidung der BaFin wurde von Fachleuten damals als Wirecard-freundlich aufgenommen.
Kurze Antwort: nicht gut. Der Konzern ist im Vergleich zu vergangener Woche nur noch etwa ein Sechstel wert, denn der Kurs der Aktie ist dramatisch abgestürzt.
Die 1.9 Milliarden Euro, die nun wohl fehlen, reissen Wirecard ein ordentliches Loch in die Bilanzen. Schliesslich entspricht diese Summe fast einem Drittel der Bilanzsumme von 2018.
Ausserdem können Banken nun Kredite von insgesamt rund zwei Milliarden Euro abrufen. Zwar heisst es, die Gespräche darüber seien «konstruktiv». Allerdings stufte die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit des Unternehmens am Freitag auf Ramsch-Niveau herunter – am Montag nahm sie sogar wegen fehlender Informationen ihre komplette Bewertung zurück. Für Banken ist das oftmals eine Warnung, Kreditlinien abzuziehen.
Auf den ersten Blick erst einmal wenig. Auf dem zweiten Blick jedoch wird deutlich: Das Vertrauen in den Wirtschafts- und Finanzplatz Deutschland dürfte einen schweren Schaden davontragen – das Ansehen Deutschlands als Wirtschaftsstandort stark leiden.
Denn: Wirecard spielt in der ersten deutschen Börsenliga mit, dem Dax. Dieser Aktienindex ist das einzige Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Während es in den USA drei Indizes gibt, die als wegweisend gelten, nämlich S&P 500, Nasdaq und Dow Jones, ist es in Deutschland nur der Dax.
Umso mehr schaden ein Bilanzskandal und verworrene Geschäfte auf den Philippinen dem deutschen Finanzplatz und dem Vertrauen in deutsche Unternehmen und ihre Aktien. Ausländische Investoren dürften sich nicht zuletzt nach den Dieselskandalen der deutschen Autobauer jetzt einmal mehr fragen, wieso es so viele (mutmassliche) Betrugsfälle unter der Crème de la Crème der deutschen Börsenkonzerne gibt.
Das kommt darauf an, ob du Wirecard-Aktien hältst oder nicht. Im ersteren Fall hast du herbe Verluste erlitten. Da unklar ist, ob die Aktie des Unternehmens noch weiter fällt, ist auch die Entscheidung, die Aktien zu halten oder zu verkaufen, schwierig zu treffen. Überlebt Wirecard den Skandal nicht, könnten die Papiere des Konzerns wertlos werden.
Wahrscheinlich ist in jedem Fall, dass die Kurse von Wirecard noch längere Zeit auf niedrigem Niveau verharren. Für eine dauerhafte Erholung müssten zunächst die Bilanzunregelmässigkeiten vollständig geklärt sein, sagen Experten.
Hältst du die Aktien nicht direkt, sondern in Form von Anteilen eines Fonds oder Dax-ETFs, bist du ebenfalls betroffen. Die Kurse der ETFs haben zum Teil unter dem Kurssturz von Wirecard gelitten. Im Falle eines aktiv gemanagten Fonds ist es so, dass die Fondsmanager die Wirecard-Papiere womöglich verkauft haben – und dafür auf andere Papiere setzen. In jedem Fall gilt: Bewahr Ruhe. Auf längere Frist werden die Kurse des Fonds oder ETFs wieder steigen, auch weil Wirecard (wenn überhaupt) nur einen kleinen Anteil an dem Anlageprodukt ausmacht.
Wenn du keine Aktien von Wirecard besitzt, solltest du dir einen Einstieg derzeit gut überlegen. Auch wenn der niedrige Kurs dafür sprechen würde, sind die derzeitigen Unsicherheiten einfach sehr gross. Sofern du doch zocken willst, solltest du bloss nicht zu viel Geld in die Aktien investieren. Denn die Gefahr, dein angelegtes Geld zu verlieren, ist derzeit relativ hoch.
Das hängt davon ab, ob die Banken die Kredite für Wirecard kündigen oder nicht (siehe oben). Die Gespräche seien derzeit «konstruktiv», hiess es vonseiten Wirecard. Doch sofern die Kredite abgezogen werden, könnte das für Wirecard die Insolvenz bedeuten.
Eine weitere entscheidende Frage wird sein, ob Wirecard noch weiterhin im Dax bleiben kann. Experten rechnen mit einem Rauswurf von Wirecard aus der ersten deutschen Börsenliga.
Ursache dafür ist die sogenannte Marktkapitalisierung. Diese errechnet sich durch die Multiplikation der Anzahl der Aktien mit dem Aktienkurs . Da der Aktienkurs von Wirecard stark gesunken ist, fiel auch die Marktkapitalisierung.
Kostete eine Aktie von Wirecard am Mittwoch noch mehr als 100 Euro, war sie am Montag für unter 20 Euro zu haben. Die Marktkapitalisierung fiel entsprechend von fast 13 Milliarden auf etwa zwei Milliarden Euro.
Ahh, das ist einfach -> Filz.
Und zwar ganz viel davon.