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Ökonom Jan Eeckhout: «Wettbewerb kann auch zu mehr Gerechtigkeit führen»

[Host] UBS Center for Economics in Society
[Event typ] Forum
[Jahr] 2022
[Speaker] Joaquín Almunia, Eric A. Posner, David Dorn, Cristina Caffarra, Jan Eeckhout, Eliana Garcés, Christoph Franz, Martin  ...
Jan Eeckhout ist Professor für Ökonomie an der UPF in Barcelona. Sein Buch «The Profit Paradox» ist ein Bestseller und hat ihm die Silbermedaille bei den Axiombusiness Book Awards eingetragen. Er ist ein Spezialist für Marktmacht und Ungleichheit. Das Gespräch fand am Rande der Jubiläumsveranstaltung zu 10 Jahren UBS Center for Economics in Society der Universität Zürich statt.
Interview

«Wettbewerb kann auch zu mehr Gerechtigkeit führen»

Monopole führen zu hohen Preisen für Konsumenten, tiefen Löhnen für Arbeitnehmer – und exzessiven Unternehmensgewinnen. Die Tech-Giganten sind ein Paradebeispiel für diese Entwicklung. Wie es dazu kam und was man dagegen tun kann, erklärt der Ökonom Jan Eeckhout.
12.11.2022, 20:47
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«Das Paradox des Profits» heisst ihr Bestseller. Elon Musk scheint aktuell die perfekte Verkörperung dieser These zu sein. Oder nicht?
Meine These bezieht sich nicht auf einzelne Personen. Meine These bezieht sich auf die neue Welle im Tech-Bereich. Der sogenannte Skaleneffekt, die Tatsache, dass etwas billiger wird, je mehr man davon herstellen kann, hat gerade in der digitalen Technologie zu dieser Entwicklung geführt.

Sie spielen damit auch auf den sogenannten Netzwerk-Effekt an, die Tatsache, dass ein Netzwerk immer wertvoller wird, je mehr Teilnehmer es hat?
Ja, in diesem Umfeld tun die Tech-Firmen genau das, was ihre Aktionäre von ihnen erwarten. Sie maximieren ihre Profite. Deshalb kann man dieses Phänomen nicht auf Elon Musk reduzieren. Es geht vielmehr darum, was die Regierung und die Regulatoren unterlassen zu tun. Werden Monopole zugelassen, dann wird diese Chance auch beim Schopf gepackt. Wir müssen deshalb verhindern, dass solche Monopole entstehen und Kunden und Arbeitnehmer von ihnen ausgebeutet werden.

«Der Wunsch, Monopolist zu sein, ist so alt wie der Kapitalismus selbst.»

Profite zu maximieren gehört zum Kapitalismus wie Speck zur Rösti. Es ist kein neues Konzept. Warum sind die Profite jedoch in den letzten drei Jahrzehnten explodiert?
Fehlende Regulation ist sicher ein Grund. Die Hauptursache liegt jedoch in der Entwicklung der Technologie. In der digitalen Welt braucht es sehr viel Kapital, um ein Geschäftsfeld zu erschliessen. Hat man dies einmal getan, kann man den Ertrag jedoch dank des erwähnten Skaleneffekts ohne Kosten fast beliebig ausdehnen.

Das ist auch für Konsumenten etwas Gutes, oder etwa nicht?
Das ist so. Aber es erleichtert auch die Bildung von Monopolen. Daher befinden wir uns in einem Zwiespalt: Es ist super, dass wir diese Unternehmen haben, aber sie müssen reguliert werden.

Peter Thiel, ein ehemaliger Geschäftspartner von Musk, hat in seinem Buch «Zero Not One» die These aufgestellt, wonach Wettbewerb für Verlierer sei. Dabei ist Thiel, oder war es zumindest damals noch, ein Ultra-Kapitalist. Wie erklären Sie, dass ausgerechnet diese Kreise die Bildung von Monopolen befürworten?
Der Wunsch, Monopolist zu sein, ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Adam Smith hat schon festgestellt: Jeder, der ein Geschäft besitzt, mag die Konkurrenz nicht. Kein Metzger will, dass sich in seiner Nähe ein zweiter niederlässt. Deshalb müssen die Regulatoren dafür sorgen, dass genau dies geschieht. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sicherstellen, dass Wettbewerb herrscht. Monopole gehören genauso zum Kapitalismus wie eine Regulierung, die für faire Eintrittsbarrieren in ein Geschäftsfeld sorgt.

FILE - In this July 21, 2016, file photo, entrepreneur Peter Thiel speaks during the final day of the Republican National Convention in Cleveland. ProPublica recently uncovered that billionaire and Pa ...
Findet Wettbewerb schädlich: Peter Thiel.Bild: keystone

Es gibt auch die natürlichen Monopole, die Wasserversorgung beispielsweise. Ist es nicht sinnvoll, dass diese in staatlicher Hand sind und so dem Wettbewerb und der Gewinnmaximierung entzogen werden?
Sie können in staatlicher Hand sein, aber sie müssen es nicht. Bei einer sinnvollen Regulierung können auch sie privat kontrolliert und damit dem Prinzip der Gewinnmaximierung unterworfen sein. So ist auch dafür gesorgt, dass sie effizient operieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Aktionäre und Arbeitnehmer die Gewinne der gesteigerten Produktivität mehr oder weniger redlich geteilt. Seit den Achtzigerjahren profitierten die Kapitalgeber immer stärker von dieser Entwicklung. Die Gewinne der Unternehmen explodierten, die Löhne stagnierten oder sanken im schlimmsten Fall gar. Weshalb?
Genau von diesem Paradox spreche ich in meinem Buch. Einerseits war dies ein bewusster Entscheid der Regulatoren. Man wollte weniger Regulierung, weniger Gesetze und weniger staatliche Eingriffe in den Markt. Gleichzeitig wurden ehemalige Staatsbetriebe privatisiert, ohne dass sie vernünftig reguliert wurden.

«Apple sahnt aktuell 30 Prozent des Umsatzes ab, den eine App auf AppleStore erzielt.»

Der wesentliche Treiber war jedoch der technologische Wandel?
Ja, und die Regulierung hat mit dieser Entwicklung nicht mithalten können. Es wurden keine Plattformen entwickelt, auf denen mehrere Anbieter miteinander im Wettbewerb stehen. Deshalb haben wir beispielsweise AppleStore und Google Android, welche konkurrenzlos den Zugang zu diesen Plattformen kontrollieren und entsprechende Profite erzielen können. Apple sahnt zum Beispiel aktuell 30 Prozent des Umsatzes ab, den eine App auf AppleStore erzielt. Deshalb haben diese Unternehmen auch alles Interesse daran, dass sich daran nichts ändert, und setzen enorme Summen für die Lobby-Arbeit ein.

Gerade in den USA ist der politische Wille gegen monopolistische Wettbewerbsverzerrung kaum vorhanden. Vor allem die Republikaner haben sich gegen schärfere Kartellrechte gesperrt.
Historisch gesehen stimmt das, doch derzeit gibt es auch bei den Republikanern eine wachsende Bewegung gegen Big-Tech.

Aber bloss, weil sie glauben, Silicon Valley sei eine Bastion der Demokraten.
Nicht nur. Sie haben auch Angst, dass der Einfluss von Big Tech zu gross geworden ist.

Elon Musk attends Heidi Klum's 21st annual Halloween party at Sake No Hana at Moxy Lower East Side on Monday, Oct. 31, 2022, in New York. (Photo by Evan Agostini/Invision/AP)
Elon Musk
Zu mächtig? Elon Musk, Milliardär.Bild: keystone

Was uns zurück zu Elon Musk bringt. Ist er mit dem Erwerb von Twitter nicht auch politisch zu mächtig geworden?
Nicht regulierte soziale Plattformen sollten uns tatsächlich Angst machen. Sie haben einen enormen Einfluss auf die Meinungsbildung der Menschen. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Tech-Giganten dank ihrer enormen Profite auch die Mittel haben, auf die Politik Einfluss zu nehmen, indem sie Politiker mit grosszügigen Spenden unterstützen und sie so abhängig machen. Das wiederum macht es sehr schwierig, diese Firmen zu regulieren.

Wie kann man aus dieser Zwickmühle herauskommen?
Ich denke, es ist nach wie vor möglich. Aber es besteht natürlich die Gefahr, dass die Unternehmen diesen Prozess mit Einsprachen bis zum Sanktnimmerleins-Tag hinauszögern.

Apple, Google, Facebook: Sie alle begannen in der sprichwörtlichen Garage als Start-ups und hatten das Ziel, die Welt zu erobern. Heutzutage hat die Anzahl der Start-ups massiv abgenommen.
Tatsächlich hat sich die Anzahl der Start-ups gegenüber den Achtzigerjahren beinahe halbiert, und es ist richtig, dass die Giganten das Leben jungen Herausforderern sehr schwer machen. Sie haben – metaphorisch gesprochen – kaum mehr Luft zum Atmen. Oder sie werden aufgekauft und so aus dem Markt genommen.

Silicon-Valley-Insider wie Jaron Lanier beklagen diese Entwicklung seit Jahren und befürchten, dass so die Innovation abgewürgt wird.
Gerade deswegen müssen wir Plattformen wie den AppleStore regulieren und so dafür sorgen, dass den jungen Start-ups wieder vermehrt Sauerstoff zugeführt wird. Unter den aktuellen Bedingungen ist es für Start-ups sinnlos geworden, überhaupt zu versuchen, auf diese Plattformen zu gelangen.

«Wir sollten nicht aufhören, unser politisches System so einzusetzen, dass es dem Konsumenten nützt.»

Seit ein paar Wochen crasht der Aktienmarkt für die Tech-Giganten, für Facebook, sprich Meta, gar dramatisch. Ist dies auch eine Chance? Entstehen so wieder Nischen für Start-ups?
Ich habe keine Glaskugel, dank der ich in die Zukunft sehen kann, und Sie sollten keinem Ökonomen Glauben schenken, der dies behauptet. Doch wir haben in den letzten Jahrzehnten einige Krisen erlebt. Keine davon hat zu signifikanten Änderungen geführt. Die Krise, auch die aktuelle Inflation, betrifft alle Unternehmen gleichermassen.

Geopolitisch entsteht ein neuer Wettbewerb im Technologie-Sektor, und zwar zwischen dem Westen und China. China will bekanntlich auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz führend werden. Ist das eine gesunde Konkurrenz-Situation – oder eine gefährliche politische Entwicklung?
Ökonomisch gesehen ist dies eine positive Entwicklung. Je mehr am Wettbewerb teilnehmen, desto besser. Idealerweise gäbe es grosse globale Plattformen, zu denen möglichst viele Anbieter Zugang haben, unabhängig von ihrer Nationalität, ihrer Rasse etc. Es sollte kein Grund zur Sorge sein, ob diese Anbieter Chinesen, Amerikaner, oder was auch immer sind.

«Wenn es jedoch darum geht, den Mangel an Wettbewerb zu beheben, dann sind Steuern das falsche Instrument.»

Im aktuellen politischen Klima erscheint eine solche Entwicklung wenig wahrscheinlich, um es milde auszudrücken. Das zeigt etwa die Diskussion um TikTok, das in chinesischem Besitz ist. In den USA wächst die Angst, dass diese App zu politischer Manipulation missbraucht werden kann. Teilen Sie diese Angst?
Wladimir Putin hat bekanntlich 2016 Facebook missbraucht, um Donald Trump zu helfen. Das war gefährlich. Doch heute glaube ich nicht, dass TikTok gefährlicher ist als die anderen Plattformen.

Ihr Wunsch nach mehr und besserer Regulierung in Ehren, doch die Konsumenten verlangen dies gar nicht. Henry Ford sagte einmal: Hätte ich meine Kunden nach ihren Wünschen gefragt, dann hätten sie stärkere Pferde gewollt. Auch heute wissen die Konsumenten in der Regel nicht, was sie wollen. Woher soll also der Druck kommen, der zu einer vernünftigeren Regulierung führt?
Wir sollten nicht aufhören, unser politisches System so einzusetzen, dass es dem Konsumenten nützt, selbst dann, wenn sich der Konsument dessen nicht bewusst ist. Irgendwann zeigt dies Wirkung. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Wandel in der Einstellung zum Rauchen. Noch vor einem halben Jahrhundert hielten es viele für gesund. Inzwischen ist allen bewusst, dass Rauchen sehr schädlich ist.

Die Tech-Konzerne wollen jedoch genau das Gegenteil. Elon Musk – um hoffentlich ein letztes Mal auf ihn zu sprechen zu kommen – will Twitter in eine amerikanische Antwort auf WeChat verwandeln, in eine App, auf der man alles erledigen kann, vom einfachen Telefonanruf über das Online-Shopping bis hin zu den kompliziertesten Bankgeschäften. Und ich fürchte, die Konsumenten würden es lieben, weil es so bequem ist.
Es wird noch lange dauern, bis so etwas realisiert werden kann – wenn überhaupt. Aber sollte dies der Fall sein, und sollten dann alle App-Anbieter Zugang zu einer solchen Plattform haben und sich dort auf faire Art und Weise konkurrenzieren, dann wäre das eine positive Entwicklung. Es wäre vergleichbar mit der Eisenbahn in den Niederlanden, wo der Staat die Infrastruktur zur Verfügung stellt und verschiedene private Anbieter im Wettbewerb zueinander stehen.

Sie schwören auf eine bessere Regulierung, um die Monopolmacht der Giganten zu brechen. Andere verlangen höhere Steuern. Was sagen Sie dazu?
Wenn es um die Umverteilung von Geld geht, dann sind Steuern ein wirkungsvolles Instrument. Exzessive Gewinne zu besteuern, ist daher sinnvoll. Wenn es jedoch darum geht, den Mangel an Wettbewerb zu beheben, dann sind Steuern das falsche Instrument. Das Kartellrecht ist viel wirksamer. Das führt letztlich auch dazu, dass die exzessiven Gewinne der Unternehmen sinken und die Löhne wieder steigen. Wettbewerb kann auch zu mehr Gerechtigkeit führen.

Mit anderen Worten: Wir brauchen nicht höhere Steuern, sondern einen zweiten Theodore Roosevelt, den US-Präsidenten, der vor mehr als hundert Jahren die Erdöl- und Eisenbahn-Monopole zerschlagen hat?
Genau. Politisch ist Roosevelts Rechnung allerdings nicht aufgegangen. Er hat die Wiederwahl verloren.

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53 Kommentare
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Statler
12.11.2022 23:56registriert März 2014
[Wasser] «Sie können in staatlicher Hand sein, aber sie müssen es nicht. » - doch. Und nochmal mit Nachdruck: Grundversorgung hat in privater Hand nichts zu suchen. Wohin das führt, kann man an diversen Beispielen sehen und keines davon ist positiv.

«Die Krise, auch die aktuelle Inflation, betrifft alle Unternehmen gleichermassen.» Falsch. Die Energiekonzerne machen derzeit Milliardengewinne. In den USA steigen Preise auf Güter allein mit Verweis auf die Inflation. Es gibt durchaus Profiteure (wie immer).
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