Alejandro Ojeda ist nicht paranoid. Trotzdem schwärzt der Co-Gründer der Firma Urbanalps und Ingenieur am Paul-Scherrer-Institut in Villigen auf Fotos seine Schlüssel mit einem Filzstift. Denn er weiss, wie leicht es heute ist, einen Hausschlüssel zu kopieren. Ojeda, Experte für Schlüsselkopierschutz, macht das selbst. Für die Kopie von gängigen Modellen braucht er lediglich ein einfaches Foto und einen 3-D-Drucker. Solche sind für relativ wenig Geld zu bekommen. Mittlerweile gibt es gar Geräte auf dem Markt, die Metalllegierungen drucken können.
Auch High-end-Sicherheitsschlüssel von führenden Herstellern hat der Sicherheitsexperte Ojeda laut eigenen Angaben zufolge schon kopiert. Dafür ist zwar ein wenig mehr Ausrüstung als ein Fotoapparat nötig, etwa ein hochqualitativer 3-D-Scanner. Doch für Ojeda und seine Kollegen ist das kein Problem, er selbst hat einen zu Hause. Der Mann ist tatsächlich nicht paranoid.
Wie real dieses von Ojeda beschriebene Szenario bereits ist, zeigten kürzlich auch einige findige Tüftler aus den USA. Ihnen war es gelungen, den Universalschlüssel der amerikanischen Zollbehörden (Transportation Security Administration TSA) nachzudrucken. Die Anleitung stellten sie ins Internet. Mit dem sogenannten TSA-Schloss lassen sich viele, mit einem genormten Schloss versehenen Reisekoffer öffnen. Das Fachmagazin Wired berichtete im September 2015 darüber.
COMFIRMED: I now have the CORRECT scale for the TSA keys. The Github ones DO NOT WORK. Will upload files later. pic.twitter.com/5N3PCHho98
— J0hnny Xm4s (@J0hnnyXm4s) 11. September 2015
Zuvor sorgte ein anderer Fall für Aufsehen: Zwei US-Studenten hatten 2013 an einer Hackerkonferenz in Las Vegas gezeigt, wie sich Sicherheitsschlüssel der Firma Schlage mit einem 3-D-Drucker kopieren lassen. Für Alejandro Ojeda war dies der Anstoss zu seinem Projekt Urbanalps. Denn der 3-D-gedruckte Schlüssel war für Technik-Fans Grund genug, um dem mechanischen Schlüssel ein jähes Ende zu prophezeien. Die Zukunft liege in der elektronischen Schliessanlage, sind auch heute viele grosse Hersteller überzeugt.
Ojeda sieht das anders. Er sagt: «Elektronische Systeme können von Regierungsbehörden und von Hackern geknackt werden. Ich verstehe nicht, warum jemand so ein System als sicherer einstuft als ein mechanisches System, das nicht kopiert werden kann.» Viele Schlüsselhersteller, sagt er, würden darüber hinaus die Möglichkeiten des 3-D-Drucks unterschätzen oder «die Öffentlichkeit aus Profitgründen im Unklaren lassen».
Das Start-up-Unternehmen Urbanalps, gegründet gemeinsam mit seinem Kollegen Felix Reinert, hat einen mechanischen Schlüssel konstruiert. Er wird seinerseits per 3-D-Drucker hergestellt und er ist laut Angaben Ojedas vor illegalen Kopien geschützt: Der Schlüssel ist innen hohl, eine Ummantelung schirmt die im Innern liegende Sicherheitstechnik vor Fotos, Scans und Abdrücken ab. Ende 2016 sollen die «unkopierbaren» Schliesssysteme auf den Markt kommen. Ojeda sagt: «Wir sind dafür in Gesprächen mit grossen Herstellern.»
Den Schweizer Branchenprimus Kaba meint er damit explizit nicht. «Mit Kaba haben wir Gespräche geführt, doch sie waren an einer Zusammenarbeit nicht interessiert.» Kaba selbst äussert sich zu Gesprächen mit Urbanalps nicht. «Es ist unsere strikte Regel, dass wir allfällige Zusammenarbeiten oder Partnerschaften nicht kommentieren», sagt Konzernsprecher Martin Bahnmüller auf Anfrage.
Zur Gefahr des 3-D-Drucks für die Kaba-Schlüssel erklärt er: Die Hürden, um einen Kaba-Sicherheitsschlüssel neuerer Bauart per 3-D-Druck zu kopieren, seien sehr hoch. Der Scan und anschliessende Druck der Schlüssel könne «bei Verwendung von handelsüblichen Consumer-Gerätschaften als ausgeschlossen betrachtet werden», heisst es seitens Kaba.
Ihm sei kein erfolgreicher Versuch bekannt, «in dem ein patentgeschützter Kaba-Wendeschlüssel mit dieser Technologie mit handelsüblichen Consumer-Gerätschaften hergestellt werden konnte», so der Kaba-Mann. Die Entwicklungen in Sachen 3-D-Druck verfolge man indes sehr genau. Auf Details will die Firma «aus naheliegenden Gründen», wie es heisst, nicht eingehen.
Eine akute Gefahr kann tatsächlich als unwahrscheinlich betrachtet werden. Die Kantonspolizei Aargau reagiert auf Anfrage gar etwas erstaunt über die Frage, ob 3-D-Drucker eine Bedrohung für die Sicherheit von Schliessanlagen darstellen. Laut einer Sprecherin sind der Behörde «keine derartigen Fälle bekannt».
Alejandro Ojeda glaubt indes an sein Konzept und weiss, wie schnell die technische Entwicklung in diesem Bereich voranschreitet. Gegenüber elektronischen Lösungen wähnt er den rein mechanischen Ansatz im Vorteil: Elektronische Systeme seien, neben der Gefährdung durch Hacker, auch wesentlich teurer, sagt er. Vom fünffachen Preis im Vergleich zu seinem «Stealth Key»-System spricht der Ingenieur.
Während Hersteller wie Kaba auf elektronische Systeme setzen, beziehungsweise für eine Kombination von mechanischen und elektronischen Lösungen werben, versucht es Ojeda auf dem altbewährten Weg. Dabei hat der Spanier nicht zwingend den Schutz vor gewöhnlichen Einbrechern im Sinn. Diese könnten ja nach wie vor durch ein Fenster oder über die Terrasse kommen. Ojeda sagt: «Leute, die schon mal Zugang zum Hausschlüssel hatten, sind das Problem.» Leute wie ehemalige Mieter, die Putzfrau — oder auch die Ex-Freundin oder der Ex-Freund.