Wenn eine Währung die Stärke einer Wirtschaft widerspiegelt – dann ist Grossbritannien tief gefallen. Das britische Pfund ist in Dollar derzeit so billig zu haben wie seit 50 Jahren nicht mehr. Doch die Briten können sich damit trösten, dass geteiltes Leid halbes Leid sein soll.
Eine lange Reihe von Währungen fällt gerade auf Rekordtiefen, manche Länder mussten ihre Währungen gar schon stützen, bald vielleicht auch das stolze Grossbritannien. Wie die «Financial Times» titelt: «Händler wetten auf Notfall-Zinserhöhung nach Rekordtief des Pfunds.»
Ein Überblick:
Chinas Yuan ist zum Dollar so schwach wie seit dem Jahr 2008 nicht mehr, als die Finanzkrise das Vertrauen in die Währung untergrub. Und wiederum muss die People’s Bank of China, die chinesische Notenbank, die Landeswährung stützen. Japans Yen wiederum ist ebenfalls gefallen, auf den tiefsten Stand seit der Asienkrise der späten 1990er-Jahre, und auch Japans Zentralbank griff in den Devisenmarkt ein.
Der Euro kostet weniger als 1 Dollar, und ist damit auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren abgerutscht. Und so liesse sich die Liste der kriselnden Währungen fortsetzen: indische Rupie, thailändischer Baht oder koreanischer Won.
Die Häufung von Rekorden hat vor allem einen Hintergrund: In den westlichen Industriestaaten ist die Inflation zurückgekehrt, nachdem sie zuvor jahrzehntelang wie verschwunden gewesen ist; und die westlichen Zentralbanken haben mit einer Zinswende reagiert.
Dabei war eine Zentralbank im internationalen Vergleich besonders aggressiv: die amerikanische Federal Reserve Bank (Fed). Darum werden Gelder aus aller Welt abgezogen und stattdessen in den USA investiert – zig Währungen verlieren darum zum Dollar an Wert. Das «Wall Street Journal»hat getitelt:
Die US-Notenbank Fed geht unter Jerome Powell sehr entschlossen vor im internationalen Vergleich – und dies aus gutem Grund. In den USA ist besonders klar, dass es Zinserhöhungen braucht. Die Inflation ist nicht nur durch den Energieschock und Lieferkettenprobleme hoch, sondern die Wirtschaft ist heiss gelaufen: Die Arbeitslosenquote ist so tief wie seit den 1960er-Jahren nicht, es hat fast doppelt so viele freie Stellen frei wie Arbeitslose.
Dieser Trend scheint bislang ungebrochen – darum will die US-Notenbank nun bremsen. Doch in anderen Teilen der Welt ist die Notwendigkeit von weiteren Zinserhöhungen weit weniger klar, die wirtschaftlichen Aussichten sind trüber oder mancherorts gar trist.
Wie die USA haben derzeit auch europäischen Staaten gerade an rekordhoher Inflation zu leiden. Das spricht dafür, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen weiter zügig heraufsetzt. Aber anders als in den USA sind auf dem alten Kontinent die konjunkturellen Aussichten unsicher, was gegen weitere Zinserhöhungen spricht. Europa steht nahe der Frontlinie eines Wirtschaftskriegs mit Russland – und nahe an der militärischen Front, wie UBS-Chefökonom Daniel Kalt ergänzt.
Womöglich kann sich Europa zwar bald aus der Energie-Abhängigkeit von Russland befreien – doch im kommenden Winter droht noch ein Energieschock. Aufgrund der hohen Energiepreise bleibt den Haushalten weniger Geld, der Konsum könnte schwer leiden - und damit das Wirtschaftswachstum. Somit ist zumindest die Wahrscheinlichkeit da, dass die EZB ihre Leitzinsen weniger aggressiv erhöhen wird, als es die US-Notenbank tut. Und das wiederum schwächt den Euro.
EZB-Präsidentin Lagarde gibt zwar die entschlossene Inflationsbekämpferin und deutet weitere Zinserhöhungen an, als sie diese Woche in einer Rede sagte: «Die Inflation ist nach wie vor viel zu hoch und wird wahrscheinlich für längere Zeit über unserem Zielwert liegen.» Doch die Investoren glauben nicht so recht daran, angesichts der wackligen Konjunkturaussichten.
In China ist die Regierung dabei, ihren Ruf von wirtschaftlicher Kompetenz zu verspielen. Nach der Finanzkrise von 2008 wurden Studien geschrieben, in denen das angebliche Erfolgsmodell erklärt wurde: «Die grosse Rezession überstehen wie China.» Doch wie der «Economist» schreibt, wird China in der Coronakrise zum abschreckenden Beispiel.
Die Nulltoleranz-Politik war zunächst erfolgreich, doch gegen die hyperansteckenden Varianten kommt sie nicht an. Dennoch hält Präsident Xi Jinping eisern daran fest, was von der Europäischen Handelskammer so kommentiert wird: «Ideologie ist wichtiger geworden als die Wirtschaft».
Zumal die Null-Covid-Politik jedes Augenmass verloren zu haben scheint. So berichtet die China-Korrespondentin der deutschen «Die Zeit», wie sie nach acht Quarantäne-Nächten in einem leeren Wohnblock in die häusliche Quarantäne entlassen wurde: Auf dem Weg zum Bus, der sie nach Hause fahren sollte, desinfizierte ein Beamter im Schutzanzug jeden von ihr betretenen Flecken.
After 8 nights of quarantine in an empty apartment block I’m being released for 3 nights of home quarantine. While walking towards the 🚑 (!) that drove me home, this ghostbusters fellow tailed me all the way disinfecting every inch I’d stepped on. Who came up with this crap? pic.twitter.com/fMi0zPqTqq
— Xifan Yang 杨希璠 (@yangxifan) September 15, 2022
Zugleich zeigt sich mehr und mehr: China verdankt sein Wirtschaftswunder einem Immobilienboom, der nicht aufrechterhalten werden kann. Es wurde schlicht mehr gebaut, als es braucht, zumal das Land vor einer demografischen Wende steht: die Bevölkerung wird bald kleiner werden.
Nun ist die Krise da. Die Verkäufe sind eingebrochen, die Zahl der Neubauten auch, die Verluste drohen gigantisch zu werden. Experten schätzen, dass die Banken an die 350 Milliarden Dollar verlieren. Unfertige Gebäude werden wieder abgerissen.
Misallocated capital. https://t.co/VevQg4dBFq
— Francis Fukuyama (@FukuyamaFrancis) August 21, 2022
Der Franken hält sich relativ stabil, «er bleibt ein sicherer Hafen», sagt UBS-Chefökonom Kalt. Doch anders ist dies derzeit kein Alleinstellungsmerkmal der Schweizer Währung. Denn der Dollar ist ein «noch sicherer Hafen», wie Kalt ergänzt: Weil er dank der US-Geldpolitik besser verzinst werde, und weil eben auch die Schweiz wie ganz Europa geografisch näher am Krieg sei.
So ist der Dollar zuletzt zum Franken stärker geworden, während der Euro schwächer wurde. Zu anderen Währungen wie dem thailändischen Baht, dem japanischen Yen oder eben dem Pfund hat der Franken ebenfalls deutlich zugelegt.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) scheint nicht gegen die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro zu intervenieren – jedenfalls jetzt noch nicht. Denn die Erstarkung des Frankens hilft ihr bei der Bekämpfung der Inflation. «Doch verliert der Euro weiter an Wert, dann kommt der Punkt, bei dem die SNB eingreifen muss», sagt Kalt. «Sonst wird es für die Wirtschaft und insbesondere für die Exportwirtschaft gefährlich.»
Wo genau diese Grenze liegt, kann Kalt nicht beantworten. Aber er geht davon aus, dass der Preis für 1 Euro nicht unter 90 Rappen sinken dürfe. Die SNB selbst signalisiert, dass sie bereit ist, Devisen zu kaufen, sollte sich der Franken zu stark aufwerten.
Die Schwäche des Euros und des Pfunds ist auch Ausdruck der wirtschaftlichen Unsicherheit – und diese wiederum könnte auch die Schweiz einholen. Sollte etwa Deutschland in eine Rezession abrutschen, trifft dies hierzulande den Export, was wiederum Arbeitsplätze gefährden könnte. Rückschläge für die Exportwirtschaft wiederum schwächen den Konsum, etwa im Detailhandel und in der Gastronomie.
Solche Kausalketten sind so etwas wie der klassische Kanal, über den in der kleinen Schweizer Wirtschaft jeweils Rezessionen entstehen. Noch ist dies allerdings bloss eine theoretische Möglichkeit: das Staatssekretariat für Wirtschaft erwartet keine Rezession.
Grosse Verwerfungen können auch Vorteile bringen. So ergibt der Absturz einiger Währungen die Möglichkeit, billiger als sonst in Thailand oder Grossbritannien seine Ferien zu verbringen. Wobei in Grossbritannien zugleich die Lebenshaltungskosten stark gestiegen sind. Schnäppchen-Jäger müssen also genau hinschauen. Gleiches gilt für Einkaufstouristen in Deutschland: Der Euro wird zwar schwächer, doch in Deutschland steigen die Preise schneller als hierzulande.
Die Schwankungen an den Devisenmärkten haben auch eine direkte Auswirkung auf die Gewinne respektive Verluste der Nationalbank, wie Berechnungen von Kalt und seinem Team zeigen: Steigen respektive sinken Euro oder Dollar um einen einzigen Rappen, dann schmälert oder erhöht das den Verlust der SNB um rund 3.5 Milliarden Franken.
Je nachdem, wie sich die Währungskurse entwickeln, schlägt dies also auf die SNB-Gewinne durch – und kann die SNB mehr oder weniger an Bund und Kantone abliefern. Somit ist auch der Steuerzahler betroffen.
Alles nur damit die "Wirtschaft" brummt.