New York, Los Angeles, San Francisco, Seattle – verschiedene US-Städte haben beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn von rund 7 auf 15 Dollar anzuheben. Auch ungelernte Arbeitskräfte sollen so knapp 80 Prozent des amerikanischen Durchschnittslohnes erhalten. Gouverneur Andrew Cuomo hat versprochen, im Bundesstaat New York bis spätestens 2018 ebenfalls den Mindestlohn auf 15 Dollar zu erhöhen. Hillary Clinton flirtet damit, die nationale Untergrenze auf dieses Niveau zu erhöhen, sollte sie denn ins Weisse Haus einziehen.
Als Nachfolger von Ed Miliband wird die britische Labour-Partei wahrscheinlich Jeremy Corbyn wählen. Ihn beschreibt die «Financial Times» wie folgt: «Er will mehr Sozialausgaben, mehr staatliche Interventionen, eine erneute Verstaatlichung von Dienstleistungen wie der Eisenbahn und viel weniger Ungleichheit. Er mag die Hamas und die Hisbollah lieber als Israel und ist überzeugt, dass die USA die Wurzel allen Übels sind, wie etwa der Krise in der Ukraine und der Wirren in Nahost.»
In den USA sind die Progressiven auf dem Vormarsch, im Vereinigten Königreich feiern die «loony left» (verrückten Linken) ein Comeback: Ist der linke Flügel der Sozialdemokraten auf dem Vormarsch? Nur bedingt.
Die deutschen Sozialdemokraten sind seit den Tagen von Gerhard Schröder eine geradezu neoliberale Zentrumspartei geworden und verkommen jetzt unter Sigmar Gabriel zu einem Wurmfortsatz der Merkel’schen CDU. Jeroen Dijsselbloem, der holländische Finanzminister und Cheffolterknecht der Griechen, ist Mitglied der Arbeiterpartei.
Was heisst es also heute, links zu sein? Auch hierzulande herrscht grosse Verwirrung. In der «Weltwoche» versteigt sich Christoph Blocher, sekundiert von René Scheu, dem designierten Feuilleton-Chef der NZZ, einmal mehr zur absurden Aussage, die Schweiz sei de facto ein sozialistisches Land. «Die Schweiz hat den ordnungspolitischen Pfad verlassen und geht heute den Weg der Interventionisten, der Sozialisten», behauptet Blocher.
Die Linke selbst hat ebenfalls Identitätsprobleme. Während sich beispielsweise Cédric Wermuth am linken Flügel darüber beklagt, dass die SP zu wenig Verständnis für die griechische SYRIZA und die spanische Podemos hat, plädiert der gemässigte Rudolf Strahm in der «Weltwoche» für mehr Realitätsbezug und eine Sprache, die «die Leute verstehen».
Woher die Verwirrung? Globalisierung und der technische Fortschritt haben die Fronten von links und rechts fast bis zur Unkenntlichkeit verwischt.
Die Digitalisierung ist im Begriff, das traditionelle Verständnis von Beruf zu unterlaufen. Die so genannte «Uberisierung» schreitet voran. Wie soll man darauf antworten? Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen?
Grundsätzlich ist die europäische Einheit ein altes Anliegen der Linken. Doch will man als überzeugter Sozialdemokrat ein Europa unter deutscher Führung mit einer harten Austeritätspolitik?
Die Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen ist fliessend. Auch die Linke hat kein Rezept, wie man das Problem menschenwürdig lösen kann. Man kann ihr das nicht vorwerfen, weil es ein solches Rezept nicht gibt.
Beispiel internationale Politik: Seit dem Vietnamkrieg sind die USA das klassische aussenpolitische Feindbild der Linken. Aber was ist jetzt mit Putin? Nur wer die Realität total ausblendet, kann verkennen, dass Russland ein autoritäres, reaktionäres Land ist und die grössere Gefahr für Demokratie und Freiheit darstellt. Trotzdem ist der «Amis go home»-Reflex bei den Linken nach wie vor quicklebendig.
In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hatte man als Linker noch ein klares Weltbild: Man kämpfte für sichere Arbeitsplätze, soziale Gerechtigkeit und gegen die imperialistischen USA und bewunderte Che Guevara. Heute ist das alles viel komplizierter geworden – und es ist ein schwacher Trost, zu wissen, dass die plumpen Rezepte der Rechten ins Verderben führen.
Nun ist es jedoch nötig dieses Schema zu sprengen und lösungsorientiert zu denken und handeln. Ich bin gespannt was die nächste Generation diesbezüglich zustande bringt, von den jetzigen erwarte ich nicht mehr besonders viel.
Daran,so leid es mir auch tut, glaube ich nicht. Vielleicht wird ein EU-Beitritt in zwanzig Jahren Realität. Aber hoffentlich nur in einer Union, welche für alle einsteht.