Benno Büeler an einer Medienkonferenz zu Ecopop im Jahr 2011 in Bern. Bild: KEYSTONE
Interview mit Ecopop-Vorstand Benno Büeler
«Deshalb habe ich die Samenleiter nach 17 Jahren wieder rekonstruieren lassen»
Benno Büeler hat noch eine Woche Zeit, um die Abstimmung seines Lebens zu gewinnen: Ecopop. Ein Gespräch über schwangere Teenager, verantwortungslose Politiker und flexible Familienplanung.
Herr Büeler, Sie sind im Endspurt des Abstimmungskampfes, die Prognosen sprechen gegen Sie. Glauben Sie, Sie können gewinnen? Büeler: Ja, weil viele Leute realisieren, dass die unglaublich heftige und bewusst irreführende Kampagne der Gegner letztlich eine grosse argumentative Schwäche versteckt. Alle wissen, dass das Bevölkerungswachstum so wie jedes andere materielle Wachstum in einem beschränkten Gebiet irgendwann stoppen muss. Die Frage ist nur wann und wie und ob es schlau ist, vor einer herannahenden Wand noch mehr Gas zu geben.
Ihre Initiative verlangt nebst der Drosselung der Einwanderung auch Massnahmen zur Förderung der freiwilligen Familienplanung in Entwicklungsländern. Genau. Dahinter steht das Gebot der UNO, wonach jedes Land eine Bevölkerungspolitik betreiben soll, welche eine national nachhaltige Umweltpolitik gewährleistet. In der Schweiz stammt das grosse Bevölkerungswachstum aus der Zuwanderung, in den ärmeren Ländern ist es der Geburtenüberschuss, deshalb die zwei unterschiedlichen Massnahmen.
«Das ist eine dumme Diffamierung wie so vieles in der Gegenkampagne.»
Ihre Gegner bezeichnen das als kolonialistische Einstellung, anderen zu verstehen zu geben, sie hätten zu viele Kinder.
Das ist eine dumme Diffamierung wie so vieles in der Gegenkampagne. Wer sich bei der UNO über freiwillige Familienplanung schlau macht, stellt fest, dass es im Gegenteil um die Stärkung der Selbstbestimmung vor allem von Frauen in diesem sensiblen Bereich geht. Aufklärung und Zugang zu modernen Verhütungsmitteln erlauben vielen Frauen erst, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern und so eine Ausbildung abzuschliessen oder den Wunschkindern eine bestmögliche Basis zu bieten. Das ist auch der Grund, weshalb Amnesty International sich für Zugang zu freiwilliger Familienplanung einsetzt.
Aber wie halten Sie es mit der eigenen Fortpflanzung? Sie selbst liegen ja auch über dem Schnitt.
Tue ich nicht. Wenn Sie wieder einmal auf meine Person spielen wollen und die Problematik des weltweiten Bevölkerungswachstums auf meine eigenen Kinder reduzieren, dann muss ich Ihnen entgegnen, dass ich mit zwei Frauen drei Kinder habe. Das ist genau der Schweizer Durchschnitt von 1,5 Kinder pro Frau. Da die Erhaltungsrate für die Bevölkerungszahl bei 2,1 Kinder pro Frau liegt, werden wir mit 1,5 Kinder pro Frau langfristig eine langsame Senkung der Bevölkerung in der Schweiz erreichen. Wenn Sie ganz polemisch sein wollten, dann könnten Sie sogar sagen, ich hätte dafür eine Vasektomie rückgängig machen lassen …
... wie bitte?! Ja. Ich habe mich nach den ersten zwei Kindern unterbinden lassen, da ich der Meinung bin, auch der Mann soll die Verhütung aktiv mittragen. Aus Gründen, die privater Natur sind und ich hier nicht weiter ausbreiten will, habe ich mich entschieden, mit einer neuen Partnerin nochmals eine Familie zu gründen. Deshalb habe ich die Samenleiter nach 17 Jahren wieder rekonstruieren lassen, obwohl die Fruchtbarkeitschancen klein waren. Aber es ist absurd, ein nationales und globales ökologisches Anliegen an meiner Person aufzuhängen.
«Aus Gründen, die privater Natur sind, habe ich mich entschieden, mit einer neuen Partnerin nochmals eine Familie zu gründen.»
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Sie müssen sich schon messen lassen an den Forderungen Ihrer eigenen Initiative, finden Sie nicht? Freiwillige Familienplanung heisst freier Wille bei der Familienplanung. Manche können biologisch keine Kinder haben oder es passt nicht zu ihrem Lebensweg, andere haben einen grossen Kinderwunsch und können diesen von den Umständen her auch realisieren. Eine Höchstgrenze für die Anzahl Kinder pro Frau zu fordern, ist unsinnig und unethisch. Wir fordern ja im Gegenteil, dass eben gerade die Voraussetzung zur Umsetzung des freien Willens gestärkt wird.
Und wie passt das zum Ziel der Initiative, das Bevölkerungswachstum zu stoppen?
Gemäss UNO und vielen wissenschaftlichen Studien gibt es weltweit pro Jahr 80 Millionen ungewollte Schwangerschaften. Viele davon werden abgetrieben mit gravierenden Gesundheitsfolgen für betroffene Frauen gerade in den ärmsten Ländern. Zugleich tragen diese ungewollten Schwangerschaften je nach Studie zu einem Viertel bis zu einem Drittel zum globalen Bevölkerungswachstum bei. Daraus ergibt sich der von der UNO erklärte Vielfachnutzen von freiwilliger Familienplanung: Es hilft den Frauen, den Familien, der ökonomischen Entwicklung der Länder und langfristig auch der Umwelt.
Gut, was macht es aber für einen Unterschied, ob jemand in Basel Ressourcen verbraucht oder in St.Louis oder in Lörrach? Ihre Initiative wird die Welt nicht retten, aber uns massiv schaden. Wer sich mit globaler Umweltpolitik beschäftigt, wird überrascht feststellen, dass eben gerade die globale Sicht, wie sie exemplarisch die Agenda 21 der UNO formuliert, von den einzelnen Länder je eine nationale Nachhaltigkeit auf ihrem Gebiet fordert. Es gibt viele Gründe, weshalb sich diese Sichtweise global durchgesetzt hat und sich immer mehr in den verschiedensten Teilbereichen zeigt: Klimaschutz, Artenschutz, giftige Abfälle und so weiter. Die Schweiz hat sich dem ja auch angeschlossen. Das Problem ist, dass wir verantwortungslose Politiker haben, die je nach Interessenlage diese Pflicht vergessen oder, noch schlimmer, sogar diffamieren.
Benno Büeler
Der 53-jährige promovierte Mathematiker und Agronom ETH ist eine der treibenden Kräfte hinter der Ecopop-Initiative und als einziges mediengewandtes Mitglied des Initiativkomitees zum Aushängeschild geworden. Der Parteilose und ehemalige Grüne ist im Kanton Baselland aufgewachsen und hat zwei erwachsene Kinder und ein kleineres Kind aus einer zweiten Partnerschaft. Er lebt heute in einem Einfamilienhaus mit Umschwung und Apfelbäumen in Winterthur.
«Es gibt also viel Flexibilität mit Ecopop.»
Sie nehmen massiven Schaden des Wirtschaftsstandortes Schweiz in Kauf, weil Sie die Einwanderungskontingente fix in die Verfassung schreiben lassen. Egal, was passiert, man kann nicht mehr reagieren. Ecopop verlangt keine Kontingente, sondern gibt nur eine Obergrenze im dreijährigen Mittel vor. Wie diese Obergrenze eingehalten wird, ist bewusst offen gelassen worden. Das kann durch weniger Firmenansiedlungen, Förderung einheimischer Kräfte, ein Punktesystem wie es die deutsche SPD fordert, eine Immigrationssteuer wie in Dänemark oder andere Massnahmen erfolgen. Da die Limite nur im dreijährigen Mittel gilt, können einzelne Jahre deutlich darüber liegen. Es gibt also viel Flexibilität mit Ecopop.
Das ändert nichts daran, dass die gemäss Ecopop noch erlaubten 0,2 Prozent Nettozuwanderung den Wirtschaftsmotor abwürgen.
Im Gegenteil. Seit der vollen Personenfreizügigkeit hat unsere Wirtschaft ab 2007 eine schädliche Weichenstellung vollzogen. Davor galt Qualität vor Quantität, was den höheren Wohlstand der Schweiz begründete. Seither stagniert das reale Wachstum pro Kopf, die Arbeitsproduktivität nimmt ab und die zusätzlichen Stellen werden nicht mehr wie früher im privaten Sektor, sondern mehrheitlich in staatlichen und parastaatlichen Institutionen geschaffen. Wer diese Aufblähung von Wirtschaft und Staat, welche den Menschen genauso wie dem Wirtschaftsstandort schadet, als langfristige Wirtschaftsstrategie verkauft, hat bildhaft gesprochen nicht mehr alle Tassen im Schrank.
In einem Auto, das Vollgas gegen die Wand fährt, wie Sie es formulieren, ist die Schweiz nur ein ganz kleines Schräubchen. Wenn das rausfällt, dann fährt das Auto mit dem Rest der Welt trotzdem in die Wand. Was genau haben wir dann davon, ein bisschen früher abgebremst zu haben? Wir rollen ja auch in die Explosion hinein?
Leider kann ich Ihnen nicht voll widersprechen. Aber es gibt genug Gründe, trotzdem das eigene Haus in Ordnung zu bringen. Sei es als Vorbild für andere, sei es weil viele Umweltaspekte, welche lokal wirken, lokal stark beeinflusst werden können. Denken Sie an den Artenschutz, Bodenschutz, die Qualität von Wasser und Luft, die Energieversorgung, und langfristig wohl auch die Ernährung.
«Wer Aufblähung von Wirtschaft und Staat als langfristige Wirtschaftsstrategie verkauft, hat bildhaft gesprochen nicht mehr alle Tassen im Schrank.»
Ecopop würde einen massiven Einschnitt in die bilateralen Beziehungen mit der EU mit sich bringen. Schränken wir da unseren Freiheitsgrad und Einflussgrad in Europa nicht ein? Es ist lustig, wie vor der Masseneinwanderungs-Initiative schon das gleiche Argument geboten wurde. Jetzt ist diese in Kraft und damit die jetzige Personenfreizügigkeit grundsätzlich aufgehoben. Aber alle Gegner von Ecopop tun wider besseres Wissen so, als ob dieser Vertrag noch gelten würde und erst Ecopop diesen begraben würde. Betreffend Freiheit und Einfluss scheint mir die Situation eher umgekehrt: Einfluss hatten wir in EU-Belangen noch nie gross gehabt, und im Laufe der Zeit ist er eher noch geringer geworden. Ich denke, eine wieder stärker eigenständig, aber konstruktiv agierende Schweiz würde von der EU ernster genommen als die unterwürfige Haltung, die unsere Politiker jetzt an den Tag legen.
Die Schweizer Bevölkerung ist schon überaltert. Ohne Zuwanderung können wir die Sozialsysteme nicht aufrechterhalten. Wie sollen künftig die Renten finanziert, die Pflege der älteren Mitbürger finanziert werden? Das Prinzip, durch Zuwanderung die demografischen Strukturprobleme zu lösen, ist ein Schneeballsystem zulasten der künftigen Generationen. Die meisten westlichen Staaten, darunter unsere Nachbarländer, haben die gleichen demografischen Herausforderungen und schaffen es ohne überhöhte Einwanderung.
Ist es nicht gescheiter, den ökologischen Fussabdruck hierzulande statt den Ressourcenverbrauch in Entwicklungsländern zu reduzieren, der pro Kopf noch viel kleiner ist? Heute können wir uns ein «Entweder-Oder» nicht mehr leisten, sondern müssen «Sowohl-Als-Auch» befolgen. In den Entwicklungsländern sind zwei Aspekte wichtig: Erstens belastet eine grosse Bevölkerung schon heute viele arme Länder und damit die Lebensqualität der Menschen wie es das entwaldete Äthiopien, ein zugebautes Niltal oder das Armenhaus Bangladesh tragisch zeigen. Zweitens werden viele heute in armen Ländern geborene Menschen im Laufe ihres Lebens zu Recht auf einen deutlich höheren materiellen Lebensstandard kommen oder dies anstreben. Eine statische Sicht der Pro-Kopf-Situation wird dem nicht gerecht.
«Ich glaube, es wird Zeit, dass Politiker ihre Verantwortung wieder ernster nehmen.»
Der Grenzgängerverkehr in den Grenzregionen würde massiv zunehmen, weil die Unternehmen Grenzgänger anstellen müssten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Allenfalls verlängern sich die Fahrwege auch bis in die Innerschweiz hinein. Finden Sie Ihre Initiative immer noch sinnvoll? Interessant ist, dass gerade seit 2007 die Grenzgängerzahl wegen der Personenfreizügigkeit um 48 Prozent zugenommen hat. Statt zu mässigen, hat die Personenfreizügigkeit diese also sogar noch stark gefördert. Nun monieren gedächtnisschwache Politiker, dass Ecopop zu mehr Grenzgängern führen könnte, und vergessen, dass sie am 9. Februar mit der Masseneinwanderungs-Initiative bereits den Auftrag bekamen, auch die Grenzgängerzahl zu mässigen. Ich glaube, es wird Zeit, dass Politiker ihre Verantwortung wieder ernster nehmen.
Forschung und Erfahrung zeigen, dass gute Schulbildung für Mädchen den Kinderreichtum eher reduziert als Familienplanung und Verhütungsanleitung. Warum verlangt Ecopop keine Investitionen in Gratis-Verpflegung in Schulen, damit arme und damit besonders kinderreiche Familien alle Kinder zur Schule schicken? Falsch. Forschung und Erfahrung zeigen genau das Gegenteil: Erst die Kombination von Bildung mit Zugang zu Familienplanung erlaubt es den Mädchen eine Ausbildung erfolgreich abzuschliessen. Es ist auch hier kein «Entweder-Oder», sondern ein intelligentes «Sowohl-Als-Auch». Mein älterer Sohn besichtigte eine Schule in Südafrika; bei Schuleintritt hatte es gleich viele Mädchen wie Knaben. Bei Schulende lag der Frauenanteil nahe bei 10 Prozent. Der Hauptgrund lag in ungewollten Teenager-Schwangerschaften. Der Schuldirektor sagte denn auch, das grösste Problem seiner Schule seien ungewollte Schwangerschaften.
Aber das werden Sie auch in der noch verbleibenden Woche bis zur Abstimmung schwerlich als unser Problem verkaufen können. Ist es aber. Aus oben genannten Gründen. Die Schweiz hat schon 1976 im Entwicklungshilfegesetz das Ziel formuliert, ärmeren Staaten bei der Stabilisierung der Bevölkerung zu helfen. Es geht jetzt darum, nach so vielen Jahren Untätigkeit den UNO-Auftrag und die eigenen Gesetze endlich ernst zu nehmen.
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