Auf den Schock der Pandemie haben der Westen und China völlig anders reagiert: Im Westen wurde ein Absacken der Wirtschaft mit massiven staatlichen Unterstützungsprogrammen aufgefangen. Das hat ganz gut geklappt. Eine Depression wie in den Dreissigerjahren konnte vermieden werden und die Wirtschaft hat sich erstaunlich rasch vom Covid-Schock erholt. Einziger Wermutstropfen: Die Inflation schoss unerwartet in die Höhe.
China hat keine Inflationssorgen, ja, die Bank of China müht sich derzeit gar mit einer leichten Deflation ab. Peking hat jedoch ein weit gravierenderes Problem: die Wirtschaft schwächelt. Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gerade mal um 0,8 Prozentpunkte gewachsen, für chinesische Verhältnisse geradezu anämische Werte.
Dazu kommt, dass die eh schon rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit erneut zugenommen hat. Inzwischen ist jede fünfte Chinesin und jeder fünfte Chinese im Alter zwischen 16 und 24 ohne Job. Carlos Casanova, Asien-Spezialist bei der Union Bancaire Privée, erklärte dazu in der «Financial Times»: «Das ist ein schlechtes Omen für das Lebensgefühl, die Stabilität und den allgemeinen Wohlstand. Die zuständigen Stellen müssen rasch Mittel finden, um das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu lösen.»
Das sind die Gründe für die schwache Entwicklung der chinesischen Wirtschaft:
Auf die Schwäche der Weltwirtschaft im Zuge der Finanz- und der Eurokrise hat Peking mit einem massiven Investitionsprogramm in die Infrastruktur geantwortet. Das hat zwar geklappt, doch der Preis dafür war eine massive Staatsverschuldung. Vor allem die einzelnen Provinzregierungen beklagen deshalb leere Kassen.
Auf die Covid-Krise hat Peking daher nicht mit einer sogenannten «Bazooka» reagiert. Diesen Ausdruck verwenden Ökonomen gerne für staatliche Investitionsprogramme. Im Gegenteil, um die Staatsfinanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen, hat Präsident Xi Jinping dem Land eine Sparkur verordnet.
«Die chinesische Wirtschaft ist offensichtlich ins Stottern geraten», stellt Esward Prasad, Handelsprofessor an der Cornell University, im «Wall Street Journal» fest. Angesichts dieser Tatsache ist denkbar, dass Xi trotz hohen Schulden bald wieder zur Bazooka greifen muss.
Die nach wie vor marode Situation des chinesischen Immobilienmarktes ist der wichtigste Grund, weshalb die Führung die Spar-Zügel angezogen hat. Nach dem spektakulären Crash des Immobilienriesen Evergrande schien sich die Lage zwar einigermassen stabilisiert zu haben, doch die jüngsten Daten sind erneut besorgniserregend. So meldet die «Financial Times», dass in 25 wichtigen Städten die Preise im Juni erneut um 1,4 Prozent gefallen seien. Das dämpft die Lust der Bauunternehmer, neue Projekte in Angriff zu nehmen, und die Lust der Konsumenten, zuzugreifen. Nach wie vor gibt es nämlich in China jede Menge von unvollendeten Bauprojekten.
Peking hat auf die Pandemie bekanntlich mit einer strikten Lockdown-Politik geantwortet. Zunächst mit Erfolg. Die Zahl der Covid-Toten lag weit unter derjenigen des Westens. Staatspräsident Xi sah dies als Zeichen der Überlegenheit des chinesischen Modells.
Inzwischen ist Xi bezüglich Covid kleinlaut geworden. China musste seine Lockdown-Politik über Nacht abbrechen. Zu gross war der Unmut in der Bevölkerung geworden. Zu gross auch der wirtschaftliche Schaden.
Peking hat wie erwähnt auf Unterstützungsprogramme für die Konsumenten verzichtet. Das hat zu einer allgemeinen Verunsicherung respektive zu einem Teufelskreis geführt. Weil der Konsum stagniert, hapert es auch mit den Investitionen. «Der Bestellungseingang und der Gewinn ist seit 16 Monaten rückläufig, deshalb fehlt das Vertrauen», sagt Tao Wang, Chefökonomin bei der UBS. «Die Unternehmen haben Überkapazitäten und daher keine Lust, weiter auszubauen.»
Die Spannungen zwischen den USA und China und Putins Krieg in der Ukraine setzten der chinesischen Exportwirtschaft zu. Zu einer Abkopplung vom Westen wird es zwar so rasch nicht kommen, zu gross ist die gegenseitige Abhängigkeit. Doch schon das De-Risking, von dem nun überall die Rede ist, hinterlässt deutliche Spuren.
Das statistische Amt Chinas hat soeben bekannt gegeben, dass die Exporte im Juni gegenüber dem Vorjahr um 8,3 Prozent gefallen sind. Pressesprecherin Fu Linghui erklärt dazu: «Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen für einen nachhaltigen Aufschwung derzeit ziemlich kompliziert sind.»
Die Tatsache, dass Janet Yellen, die amerikanische Finanzministerin, kürzlich in Peking sehr herzlich empfangen wurde, ist ein Hinweis darauf, dass die chinesische Regierung ein Interesse daran hat, ihre Beziehungen zum Westen wieder zu verbessern.
Lange hat die Kommunistische Partei Chinas kein Problem damit gehabt, dass vor allem im IT-Sektor private Unternehmer reich und mächtig geworden sind. Der Prototyp ist Jack Ma, der Gründer von Alibaba. Er ist nicht nur sehr reich, sondern auch weltberühmt geworden.
Vor rund zwei Jahren begann Peking jedoch, die Flügel der neuen IT-Oligarchen zu stutzen. So wurde beispielsweise Mas Versuch, seine Finanzgruppe Ant an die Börse zu bringen, abrupt gestoppt. Der Unternehmer verschwand danach weitgehend aus der Öffentlichkeit.
Inzwischen scheint man sich mit Ma & Co. wieder geeinigt zu haben. Premierminister Li Qiang, die offizielle Nummer zwei, hat sich mit Vertretern von ByteDance, der Muttergesellschaft von TikTok, und mit anderen Spitzenmanagern getroffen und dabei versprochen, die Regierung werde die Beziehungen wieder normalisieren.
Fakt jedoch bleibt: China erlebt ein schlechtes Wirtschaftsjahr. Murphy Cruise, Chefökonom bei Moody’s Analytics, erklärt dazu im «Wall Street Journal»: «Die chinesische Wirtschaftserholung entwickelt sich derzeit von schlecht zu noch schlechter. Das Jahr 2023 scheint ein verlorenes Jahr für China zu werden.»
Xi weiß, dass er für die Verwirklichung der Pläne nicht mehr viel Zeit hat, denn er sitzt auf einer demographischen Bombe.
Doch das de-facto-Exportverbot für Gallium und Germanium, dem bestimmt noch andere Seltene Erden folgen werden, wird nur dazu führen, dass die anderen Staaten der Welt ihre Abhängigkeiten noch schneller reduzieren -und in Zukunft auch kritischer hinsehen werden.
Sie haben den Schuss gehört.
Wollen wir hoffen, dass sie nicht taub sind!