Die erste Februarwoche 2023 ist die Woche der Leitzinsen: Mit dem Federal Reserve System (Fed), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bank of England haben gleich drei grosse Notenbanken über die Zukunft der Zinsen entschieden.
Sie kämpfen dabei weiterhin gegen die hartnäckige Inflation. Wie immer plagt die Notenbanker bei den Zinsentscheiden der grosse Trade-Off «Inflation oder Konjunktur»: Das Dämpfen der Inflation mit höheren Leitzinsen birgt stets die Gefahr, auch die Konjunktur zu dämpfen. Und in einem komplizierten Umfeld wie dem heutigen, in dem Energiepreise stark schwanken, ein riesiger Fachkräftemangel den Arbeitsmarkt bedroht und grosse geopolitische Unsicherheiten bestehen, ist diese Gefahr sehr gross.
Eine Übersicht über die jüngsten Entscheide, die Reaktionen und wie es jetzt weitergehen könnte.
Ökonominnen und Ökonomen sind sich einig, dass der Höhepunkt der Inflation überstanden sein dürfte. In den USA stiegen die Verbraucherpreise zuletzt im Dezember um 6,5 Prozent – von 7,7 Prozent im Oktober und 7,1 Prozent im November.
Auch in der Euro-Zone geht es leicht nach unten. Dort verzeichnete die Inflationsrate mit 10,6 Prozent ihren höchsten Stand im Oktober. Seither ging auch sie zurück, im Januar lag die Inflationsrate bei (immer noch sehr hohen) 8,5 Prozent.
Die wahrscheinliche Umkehr der Inflationsraten ist auch das Resultat der Leitzins-Handbremse, die im letzten Jahr überaus scharf gezogen wurde. So liess das Fed innerhalb eines Jahres die Zinsen von 0 auf 4,25 Prozent anheben – so stark wie seit den 80er-Jahren nicht mehr. Die EZB, die etwas später und weniger krass reagierte, erhöhte den Leitzins von ebenfalls 0 auf 2,5 Prozent.
Das Jahr 2022 stand also im Zeichen der Zinswende. Sehr zum Leidwesen der Börsenmärkte – 2022 war eben auch ein historisch schlechtes Börsenjahr.
Doch dieser Trend kehrte 2023 schlagartig. So war der Januar, der erfahrungsgemäss oft ein starker Börsenmonat ist, in den USA der beste Januar seit fast 30 Jahren: Innerhalb eines Monats legte der Aktienindex S&P, der die Aktien von 500 der grössten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst, um 6,6 Prozent zu. Besser war nur der Januar 1989 (7,1 Prozent).
Diese Woche fragten sich nun alle, wann der grosse Kipppunkt kommen wird – im angelsächsischen Raum wird hier vermehrt von «Pivot» (Drehpunkt) gesprochen: Wann entscheiden sich die Notenbanker, dass sie die Handbremse wieder lösen können?
Zumindest Anfang 2023 ist das noch nicht der Fall.
Am Mittwoch entschied sich das Fed für die achte Zinserhöhung in Folge: von einer Spanne zwischen 4,25 und 4,5 auf 4,5 bis 4,75 Prozent. Es ist der höchste Stand seit November 2007, dem Anfang der Finanzkrise. Allerdings haben sich die Zinsschritte weiter verkleinert: Zuletzt hatte das Fed mehrfach den Leitzins um beachtliche 0,75 Prozentpunkte angehoben – Ende des vergangenen Jahres das Tempo aber mit einem Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten verlangsamt. Am Mittwoch war es nur noch der kleinstmögliche Schritt von 0,25 Prozentpunkten.
Anders die EZB: Sie entschied sich am Donnerstag für einen Schritt um 0,5 Prozentpunkte auf 3,0 Prozent. Kurz darauf machte es ihr die Bank of England gleich, die mittlerweile bei einem Leitzins von 4,0 Prozent steht.
Bei den Medienkonferenzen machten alle Notenbankchefs klar: Der Höhepunkt ist zwar überstanden, aber die Inflation wird trotzdem noch eine Weile bleiben.
Die Zinsschritte sowohl des Fed als auch der EZB waren von den Märkten und Analysten so erwartet worden.
Die Börsen haben sich trotzdem gefreut: Der grösste US-Aktienindex reagierte bereits während der Medienkonferenz des Fed mit starken Gewinnen.
Die Notenbankpräsidenten geben sich derweil alle Mühe, vor einem überstürzten Feiern auf das Ende der Inflation zu warnen. «Ich denke, es wäre sehr verfrüht, den Sieg zu verkünden», meinte Fed-Chef Jerome Powell am Mittwoch. Und stellte auch gleich klar: «Ich sehe einfach nicht, dass wir in diesem Jahr die Zinsen senken werden». Und auch EZB-Chefin Christine Lagarde bekräftigte: Die Zinsen müssten «noch deutlich und stetig steigen», um die Inflation ausreichend einzudämmen, so die Französin.
Trotzdem: Wallstreet und Co. scheinen den Notenbanken nicht so recht zu glauben. Nachdem die US-amerikanische Börse am Mittwoch zugelegt hatte, sah man beispielsweise auch den deutschen DAX im Hoch.
Allerdings ist der Tanz auf Messers Schneide – zwischen Inflation und Rezession – noch nicht zu Ende. Und die Notenbanker erklärten auch, warum: In der EU ist die wichtige sogenannte Kernrate der Inflation – Preisanstiege ohne die stark schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel – zuletzt sogar etwas gestiegen, von 5,0 auf ein Rekordhoch von 5,2 Prozent. Und diese Kerninflation gilt als einer der wichtigsten Massstäbe für die Entscheide der Notenbanker.
Auch in den USA wolle man sich auf die Kerninflation konzentrieren, betonte Jerome Powell am Mittwoch. Hierfür seien insbesondere die Preise von Dienstleistungen massgebend. Es handle sich dabei um die «wohl wichtigste Kategorie, um die zukünftige Entwicklung der Inflation zu verstehen», so Powell. Und diese verzeichne eben, nicht wie andere Preise, noch keinen Rückgang.
Gerade in den USA, wo die Löhne für einen beträchtlichen Teil der Inflation verantwortlich sind, könnte es deshalb noch länger gehen, bis die Zinsen wieder sinken: Will das Fed sein Ziel von einer Inflation von unter zwei Prozent erreichen, muss es warten, bis auch die derzeitigen Lohnanstiege wieder abnehmen – auch wenn das eine Rezession auslösen könnte.
Und genau deswegen ist es wichtig, dass die Notenbanken klare Signale senden. Denn entscheidend für den weiteren Verlauf wird die sogenannte erwartete Inflation sein: Wie lange glauben die Menschen, dass die Inflation noch bleibt? Die Notenbanken tun gut daran, die Leute nicht an die hohen Inflationsraten zu gewöhnen. Noch höhere Lohnforderungen wären nämlich die Folge, und diese könnten wiederum die Preise weiter hochhalten – das Schreckgespenst einer Lohn-Preis-Spirale.
Es wird also vieles von der Entwicklung des Arbeitsmarkts in den USA abhängen. Dort stehen die Zeichen eher auf Abkühlung, was sich nicht zuletzt in der von der Techbranche kürzlich angekündigten Entlassung von mehreren zehntausend Arbeitnehmenden geäussert hat. Am Freitag wird ein neuer Arbeitsmarktbericht erwartet – er dürfte viel über den weiteren Verlauf der Inflation und der Zinsen in den USA aussagen.
Ein Einbruch am US-amerikanischen Arbeitsmarkt würde auch die Aktien von ihrem Höhenflug herunterbringen. Die meisten Ökonominnen und Ökonomen rechnen allerdings so oder so damit: Erstens gehen viele davon aus, dass der gute Januar lediglich eine kurze Erholung der grossen Verluste vom Vorjahr darstellte. Und zweitens glaubt eine Mehrheit, dass der nur kleine Zinsschritt in den USA die Börsenmärkte zu verfrühtem Optimismus verführt hat – und es nicht lange geht, bis sie enttäuscht werden.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) folgt in den meisten Fällen den Entscheiden des Fed und der EZB. Mitte Dezember erhöhte sie zuletzt den Leitzins auf 1 Prozent. Der nächste Entscheid steht erst wieder Anfang März an.
Die SNB gibt aber traditionell keine Prognosen über die langfristige Zinsstrategie bekannt. Dennoch stellte Präsident Thomas Jordan kürzlich in Aussicht, die Zinsen weiter anheben zu müssen, um auch hierzulande die Inflation einzudämmen. Allerdings befindet sich diese in der Schweiz mit 2,8 Prozent auf deutlich tieferem Niveau.