Die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen nennt es «modern supply-side economics». Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht von «transformativer Angebotspolitik». Beide meinen eine neue Wirtschaftspolitik, welche die traditionellen ökonomischen Grundannahmen auf den Kopf stellen und die Wirtschaft radikal umbauen soll. Aber der Reihe nach:
Seit einem Jahrhundert werden die Diskussionen über die richtige Wirtschaftspolitik von zwei Ökonomen beherrscht: John Maynard Keynes und Friedrich Hayek. Die Vertreter der beiden Lager liefern sich dabei einen Kampf, der an den Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten erinnert, und sie führen diesen Kampf mit den ewig gleichen Argumenten.
Die Keynesianer betonten, dass es für eine gesunde Volkswirtschaft unabdingbar sei, dass der Staat gelegentlich eingreift. Deshalb darf er keine Berührungsängste mit steigenden Staatsschulden haben und muss die Nachfrage im Krisenfall mit grosszügigen Ausgabeprogrammen stimulieren. Keynesianer befinden sich in der Regel im sozialdemokratischen oder linksliberalen Lager.
Die Anhänger von Hayek wollen von Ausgabeprogrammen à la Keynes nichts wissen. Diese würden bloss die Inflation anheizen und Geld verbrennen, argumentieren sie. Stattdessen wollen sie die Angebotsseite stützen, will heissen: Steuern von Unternehmen senken, die Bürokratie entschlacken und den Rest dem freien Markt überlassen. Auf Hayek schwören Konservative und Neoliberale.
Der ewige Glaubenskrieg scheint nun endlich überwunden zu sein. In den USA und in Deutschland dringen neuerdings Linke ins traditionelle Feld der Rechten ein. Sie wollen nämlich die Angebotsseite stärken, aber mit einem besonderen Dreh. «Die Idee dahinter lautet, dass Amerika sich mithilfe der Regierung reindustrialisieren kann», stellt der «Economist» in seiner jüngsten Ausgabe fest. «Die nationale Sicherheit, vernachlässigte Regionen und Industriearbeiter können gefördert werden, der CO₂-Ausstoss gleichzeitig drastisch gesenkt werden.»
In Deutschland singt derweil ausgerechnet der grüne Wirtschaftsminister das Hohelied der Marktwirtschaft. Die Energiekrise sei gemeinsam von Unternehmen, Haushalten und Politik gemeistert worden, so Habeck, der gleichzeitig lobt: «Die Wirtschaft hat sich als extrem anpassungsfähig erwiesen.» Das sei im Wesentlichen dank dem Markt geschehen, so Habeck weiter. Er folgert daraus, «dass auch für das Kommende die gesellschaftlichen Kräfte der Märkte das sind, was die ökonomische Substanz dieses Landes ausmacht».
In den USA trägt die neue Liebe zwischen Linken und dem Markt bereits Früchte. Wenn Präsident Joe Biden heute vor den Kongress tritt und seine «State of the union»-Rede hält, kann er einen eindrücklichen wirtschaftlichen Leistungsausweis vorweisen. Obwohl die Zentralbank die Leitzinsen unerbittlich erhöht, sind auch im Januar mehr als 500’000 neue Jobs geschaffen worden. Insgesamt sind es in seiner Amtszeit über zwölf Millionen neue Arbeitsplätze. Die Arbeitslosenquote ist auf 3,4 Prozent gesunken, ein Wert, der zum letzten Mal im Boom der Sechzigerjahre erreicht worden war.
Die Programme der «modern supply-side economics» verschlingen gewaltige staatliche Summen. 1,2 Billionen Dollar sollen in den nächsten zehn Jahren in die Infrastruktur gesteckt werden. Die Produktion von Halbleitern werden mit 280 Milliarden Dollar, Investitionen in Clean-Tech mit rund 400 Milliarden gefördert. Doch der private Sektor zieht diesmal mit. Die Chip-Hersteller wollen im gleichen Umfang wie der Staat investieren. Auch GM, Ford & Co. haben angekündigt, neue Fabriken hochzuziehen, um von den Subventionen für Elektroautos zu profitieren. Gleichzeitig schiessen grüne Projekte wie Wasserstoff-Anlagen wie Pilze nach einem warmen Regen aus dem Boden.
Analysten der Credit Suisse haben ausgerechnet, dass durch Bidens Programme private Investitionen in der Höhe von rund 1,7 Billionen Dollar angestossen worden sind. «All dies ist das Zeichen für einen gewaltigen Meinungsumschwung», stellt der «Economist» fest. «In den vergangenen 40 Jahren haben Regierungen nacheinander ein völlig anders Wachstumsrezept verfolgt: Freihandel, tiefe Steuern und relativ wenig Regulierung, speziell, wenn es um Produktionsstandorte geht. Amerika beklagte sich sogar, wenn andere Regierungen eine solche Wirtschaftspolitik verfolgt haben.»
Politisch hat sich der wirtschaftliche Erfolg Bidens bisher noch nicht ausbezahlt. Eine am Wochenende veröffentlichte Meinungsumfrage der Quinnipiac University hat ergeben, dass bloss 33 Prozent der Befragten Vertrauen in die Wirtschaftskompetenz des Präsidenten haben. Die Demokraten sind jedoch überzeugt, dass sich das bald ändern wird, denn die meisten der angestossenen Projekte – Sanierung von Strassen und Brücken, Ausbau des Breitband-Netzes etc. – werden erst im laufenden Jahr realisiert.
Habeck und die Grünen hingegen befinden sich im Aufwind. Sie schneiden in den Umfragen derzeit deutlich besser ab als ihre Koalitionspartner SPD und FDP.
International löste die neue Wirtschaftspolitik der Amerikaner und der Deutschen nicht nur Begeisterung aus, denn sie ist verbunden mit einem No-go der klassischen Liberalen: Sie hat einen stark protektionistischen Einschlag. An den Honigtöpfen der Biden-Regierung kann sich nur laben, wer auch in den USA produziert. In Europa und in Asien wird dies lauthals beklagt. Es werden auch schon Gegenmassnahmen ergriffen. Die EU will ihrerseits ein 200-Milliarden-Euro-Paket schnüren, das die amerikanischen Programme nachäfft.
Die neue Wirtschaftspolitik, ob sie nun «modern supply-side economics» oder «transformative Wirtschaftspolitik» genannt wird, wird daher die alten Streitereien nicht vergessen machen. Der traditionell klassisch liberale «Economist» bezeichnet sie bereits als «gross, grün und gemein» – und meint dies nicht als Kompliment.
Die Wirksamkeit dieser Politik stellt das Magazin jedoch nicht infrage. Betrübt konstatiert es: «Ob es uns passt oder nicht. Mr. Bidens Wirtschaftsplan wird die amerikanische Volkswirtschaft gründlich umkrempeln.»
Heinzbond
Was das Grün und gemein angeht, die Wirtschaft braucht Regeln... Ohne die würde es immer noch keine Katalysatoren, Rußfilter und bleifrei geben, wir immer noch an der Brust der Atom Kraft nuckeln und nichts würde investiert werden... Find ich jetzt schon gemein das man sich als Industrie nicht auf seinen Dreck ausruhen kann...
Andi Weibel
Die Medien berichten jedoch kaum darüber. Das würde nicht ins Narrativ passen, dass die Linken sich nur mit Gendersternen beschäftigen.
http://klimafonds.spschweiz.ch/
Einer mit interkantonalem Migrationshintergrund
Eine Gesellschaft kann nur gut in die Zukunft kommen, wenn sie einen Plan mit einer funktionierenden Strategie hat, um gezielt auf Herausforderungen reagieren zu können.
Der Fetisch der Rechten, hier ausser bei Bauern und Unternehmensverlusten alles dem Zufall zu überlassen, ist naturgemäss nicht zielführend.