Im Hyatt Regency Hotel in San Francisco war am Mittwochabend die Anzahl bedeutender Persönlichkeiten aus der amerikanischen Wirtschaft pro Quadratmeter extrem hoch: Elon Musk war da, aber auch Tim Cook. Albert Bourla, der CEO von Pfizer, machte ebenfalls seine Aufwartung, genauso wie der legendäre Financier Ray Dalio.
Sie alle kamen, um Xi Jinping zu sehen, und der chinesische Präsident enttäuschte sie nicht. «Die Welt ist darauf angewiesen, dass China und die USA für eine bessere Zukunft zusammenarbeiten», erklärte Xi. «China ist bereit, ein Partner und Freund der USA zu sein.» Die versammelten Business-Koryphäen dankten es ihm mit einer stehenden Ovation.
Zuvor hatte Xi sich auch mit US-Präsident Joe Biden ausgetauscht. Die beiden hatten ein nettes Gespräch und erzielten ein paar kleine Fortschritte in der Zusammenarbeit. China will künftig keine Rohstoffe mehr für die Herstellung von Fentanyl liefern, der Droge, die derzeit für die meisten vorzeitigen Todesfälle in Nordamerika verantwortlich ist. Ebenso beschlossen die beiden Staatsoberhäupter, dass ihre Militärs künftig wieder direkt miteinander kommunizieren und so allfällige Missverständnisse aus dem Weg räumen können, bevor Schlimmeres passiert.
So richtig auf Touren kam der chinesische Präsident jedoch bei der Business-Elite, und das war kein Zufall. Chinas Wirtschaft befindet sich derzeit in ernsthaften Schwierigkeiten. Das zeigen selbst die offiziellen Zahlen. Im Jahr 2022 ist das chinesische Bruttoinlandprodukt gerade mal drei Prozent gewachsen, im laufenden Jahr wird das Wachstum wahrscheinlich unter die Zwei-Prozent-Marke sinken. Der Renminbi dürfte sich weiter abschwächen, und die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit die Stimmung der Konsumenten trüben.
Die Gründe für die chinesische Wirtschaftsmisere fassen Daniel Rosen und Logan Wright in «Foreign Affairs» wie folgt zusammen: «Getrieben wird Chinas wirtschaftliche Abschwächung hauptsächlich durch die Immobilien- und Infrastruktur-Blase, und das ist ein hausgemachtes Problem. Die privaten Investitionen der Chinesen sind rückläufig, weil wegen der ausbleibenden Reformen die Opportunitäten im Markt ausgetrocknet sind. Daher ist die Kapitalverzinsung in anderen Teilen der Welt – inklusive den USA – derzeit höher als in China.»
Die Ökonomen streiten sich zwar darüber, ob Xi die Wirtschaftsmisere mitverschuldet hat, weil er privaten Unternehmern wie Jack Ma das Leben schwer macht, oder ob umgekehrt der Staat in die Lücke springen muss, weil die privaten Unternehmer keine Lust mehr haben zu investieren. Sicher scheint, dass nicht nur die Immobilienblase, sondern auch das unterkühlte Verhältnis zum Westen der chinesischen Wirtschaft zusetzt.
So stellt Zongyuan Zoe Liu ebenfalls in «Foreign Affairs» fest: «Viele China-Experten unterschätzen das Ausmass des Einflusses einer sich verschlechternden Beziehung zum Westen auf das Verhalten der Chinesen. Sie konsumieren weniger und ihre Bereitschaft, wirtschaftliche Risiken einzugehen, nimmt ab.»
Präsident Xi kann seine Meinung ändern – wenn es sein muss über Nacht. So hat er seine harte Lockdown-Politik abrupt abgebrochen, als die Kosten dafür zu hoch wurden. Gegenüber dem Westen schlägt er neuerdings ebenfalls freundlichere Töne an, seine «Wolfs-Diplomaten», welche sich durch ein besonders aggressives Verhalten ausgezeichnet haben, hat er zurückgepfiffen.
Dass der chinesische Präsident neuerdings leiser tritt, hat nicht nur mit der schwächelnden Binnenwirtschaft zu tun. Die «Belt and Road Initiative» (BRI), sein ehrgeiziges Entwicklungsprogramm, mit dem er die halbe Welt beglückt hat, steckt ebenfalls in Schwierigkeiten. China hat im Rahmen dieses Programms bisher mehr als eine Billion Dollar in mehr als 100 Ländern investiert. Eine wachsende Anzahl davon ist nicht mehr in der Lage, die damit aufgehäuften Schulden zu bedienen.
Das betrifft nicht nur Sri Lanka, dessen Autobahnen, Meerhäfen und Flugplätze von Peking finanziert wurden. Auch Argentinien, Kenia, Malaysia, Montenegro, Pakistan und Tansania – um nur die wichtigsten zu erwähnen – stöhnen unter der chinesischen Schuldenlast. Und die chinesischen Kommunisten stehen punkto Eintreiben dieser Schulden den westlichen Kapitalisten in nichts nach. «In vielen Entwicklungsländern wird China nun als gieriger und unbeugsamer Gläubiger wahrgenommen, der sich nicht von den westlichen Konzernen unterscheidet, welche in der Vergangenheit die Schulden eingetrieben haben», stellen Michael Bennon und Francis Fukuyama in «Foreign Affairs» fest.
Die zarte chinesische Charme-Offensive kommt auch dem Weissen Haus gelegen. Präsident Biden hat mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten bereits alle Hände voll zu tun. Das Letzte, was er derzeit braucht, ist ein Konflikt mit China bezüglich Taiwan. Daher lobte auch er das Treffen mit Xi. Es sei «sehr konstruktiv und produktiv» gewesen, so Biden. Und er versicherte, die USA würden keineswegs ein De-Coupling anstreben, ein Abkoppeln von der chinesischen Wirtschaft.
«Wir befinden uns in einem Wettbewerb mit China», führte der US-Präsident weiter aus. «Aber meine Verantwortung besteht darin, dass dieser Wettbewerb rational gehandhabt wird und kein Konflikt daraus entsteht.»
Aus Gründen der nationalen Sicherheit hat die Biden-Regierung zwar den Export von Kriegstechnologie nach China strikte unterbunden. Für chinesische Güter und Dienstleistungen bleibt der US-Markt jedoch offen.
Schadenfreude über die aktuellen wirtschaftlichen Probleme ist ebenfalls fehl am Platz. «Anstatt auf das am Boden liegende China einzuprügeln, sollten die führenden Köpfe der USA Peking zur Verantwortung ziehen für die voraussehbaren Konsequenzen seiner Politik und gleichzeitig Anstrengungen in guter Treue unternehmen, ihm Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit anzubieten», stellen Rosen/Wright fest.