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Autokraten: Das bedeutet die geopolitische Lage für Wirtschaft und Konsum

Vorbild für Autokraten: Russlands Präsident Putin
Vorbild für Autokraten: Russlands Präsident PutinBild: Grigory Sysoev/Imago

Autokraten sind die grösste Gefahr für liberale Demokratien – so trifft es die Konsumenten

Die Weltwirtschaft droht in Blöcke zu zerfallen – es wird volatiler für Betriebe und Konsumenten.
14.11.2023, 05:22
Niklaus Vontobel / ch media
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Die Geschichte zeigt, wie Autokratien früher schon liberale Demokratien bekämpften – und warum sie es heute wieder tun. Darum hat der US-Historiker Robert Kagan schon vor Jahren in einem Essay für die «Washington Post» gewarnt: «Der Autoritarismus ist wieder zur grössten Bedrohung für die liberale demokratische Welt geworden.»

Es hat im 19. Jahrhundert begonnen, als die USA die erste und einzige demokratische Macht auf der Weltbühne waren – und die Autokraten sie «mit dem grössten Hass betrachten», wie ein späterer US-Präsident aus europäischen Hauptstädten berichtete. Für Kaiser und Könige, Fürsten und Priester, für die gesamte Elite dieser damals autokratischen Staaten seien sie eine «dangerous nation» gewesen.

Mit gutem Grund, so Kagan. Die USA wurden auf den liberalen Grundsätzen des Aufklärers John Locke aufgebaut. Alle Menschen hätten «natürliche Rechte»; Regierungen seien dazu da, diese Rechte zu schützen. Täten sie es nicht, habe das Volk das Recht, sie zu stürzen. Das hört kein Autokrat gern.

Die mächtigsten Autokratien des 19. Jahrhunderts waren Russland, Österreich und Preussen. Sie kämpften und töteten für göttliches Recht, für die Autorität der Kirche und für eine «natürliche» Hierarchie der Gesellschaft. Ihre Herrscher waren alles andere als milde Monarchen, die ihre Einwohner in Frieden leben lassen.

Österreich und Russland waren damals Prototypen moderner Polizeistaaten. Die Zensur war umfassend; Spione behielten die Untertanen im Auge, so Kagan in seinem Essay. «Sie inhaftierten, folterten und töteten jene, die verdächtigt wurden, eine liberale Revolution anzuzetteln.»

So wie es Autokratien heute tun, stoppten auch Österreich und Russland nicht an ihren Landesgrenzen. Sie intervenierten mit Gewalt in anderen Ländern, wenn es galt, liberale Bewegungen zu unterdrücken – etwa in Spanien und Italien, Polen und den deutschen Fürstentümern.

Die Bedrohung ging vergessen

Zugleich hatten die Autokraten eine Gegen-Ideologie, schreibt Kagan. Ihre Vordenker verurteilten die angebliche Verherrlichung des freien Individuums und forderten eine «individuelle Unterwerfung» in eine geordnete, hierarchische und autoritäre Gesellschaft. Diese Ideologie sei ebenso mächtig und umfassend gewesen wie der Liberalismus.

Der Erste Weltkrieg sei für beide Seiten ein Krieg zwischen Liberalismus und Autoritarismus gewesen, schreibt Kagan und zitiert einen britischen Premierminister, der damals sagte: Briten, Franzosen und später die USA hätten «die Freiheiten Europas» verteidigt gegen «Militarismus» und «Preussentum».

Auf der anderen Seite sahen sich auch die Deutschen in einem Krieg der Weltanschauungen. Ihre Gegner waren für sie «seelenlose Materialisten», denen sie Werte wie Staat, Gemeinschaft, Volk und Kultur entgegenhielten.

In den Weltkriegen fielen die Autokratien auf einen Tiefpunkt. Alle ihre Grossmächte gingen unter: das zaristische Russland, das habsburgische Grossreich, das osmanische, das preussische und im Zweiten Weltkrieg auch das deutsche und das japanische Reich.

Die Bedrohung durch den Autoritarismus ging danach vergessen. Der Kalte Krieg mit der Sowjetunion und dem Kommunismus überdeckte alles. Der Westen sah sich im Showdown mit der einzigen konkurrierenden Ideologie. Als die Sowjetunion zerfiel, schien der Liberalismus endgültig gesiegt zu haben.

In dieser kurzen Ära der liberalen Hegemonie seien die Demokratien allzu sorglos gewesen, schreibt Kagan. «Der Westen hat nicht bemerkt, wie der Autoritarismus allmählich seine Macht und seine Stimme als dauerhafteste und grösste Herausforderung des Liberalismus zurückgewonnen hat.»

Putin als weltweiter Vorkämpfer gegen die Demokratie

Fahnen-Meer für den Präsidenten: Putin inszeniert sich.
Fahnen-Meer für den Präsidenten: Putin inszeniert sich.Bild: Ramil Sitdikov/AP

In Russland holte Wladimir Putin den alten Polizeistaat zurück, den zuvor Kommunisten und Zaren für sich genutzt hatten. Und er belebte russischen Nationalismus und Traditionalismus neu, um seine Herrschaft zu rechtfertigen. Damit hat er bislang Erfolg, er herrscht länger als die meisten Zaren.

Im Ausland versucht Putin, die ukrainische Demokratie zu zerstören – seit 2022 mit einem brutalen Angriffskrieg. In Afrika bietet er Despoten seine Söldner an, welche bei der Niederschlagung demokratischer Bewegungen helfen. Mit seinen Spionen und Propaganda-Sendern und via soziale Medien untergräbt er weltweit das Vertrauen in freie Wahlen.

Dem Beispiel von Putin folgend begannen Autokraten ab Ende der 2000er-Jahre, ihre nationalen Zivilgesellschaften zurückzubinden, die Meinungsfreiheit und die unabhängigen Medien. Es kam global zu einer autoritären Gegenbewegung, so etwa in Ländern wie Ägypten, Türkei, Ungarn oder Venezuela.

Die Autokraten haben Erfolg, weil ihre Staaten wirtschaftlich wieder stärker sind. Doch laut Kagan ist ihre antiliberale Kritik ebenfalls mächtig und mehr als eine bequeme Ausrede für ihre Herrschaft, obschon es das auch sei. Es sei eine starke Kritik an dem, was viele als das Versagen liberaler Gesellschaften erachten.

Der Liberalismus habe ein unvollständiges Menschenbild: Die Menschen würden nach individueller Freiheit streben und nach deren Schutz vor Staat, Kirche und Gesellschaft – fertig. In Wahrheit würden viele auch jene Sicherheit suchen, die eine Familie geben kann, ein Stamm oder eine Kultur. Oft würden sie darum einen starken Anführer begrüssen, der diese Sicherheit verspreche – gerade in wechselhaften Zeiten.

Als grösste Herausforderung für den Westen gilt heute China. Xi Jinping hat sich zum De-facto-Führer auf Lebenszeit gemacht. In internationalen Organisationen wie der UNO will er zentrale westliche Werte wie «Demokratie» oder «Menschenrechte» neu ausgelegen. Er beliefert Autokraten in aller Welt mit Überwachungstechnologie, von der Diktatoren wie Adolf Hitler und Josef Stalin nur träumen konnten.

Chinas nie dagewesene Spionage

Ein Autokrat lässt sich feiern: Chinas Präsident Xi Jinping
Ein Autokrat lässt sich feiern: Chinas Präsident Xi Jinping.Bild: Mark Schiefelbein/AP

Die Chefs von Geheimdiensten der USA, Grossbritannien und Australien, Kanada und Neuseeland warnten in einem Interview mit dem Newssender CBS gemeinsam vor China. Das Land stelle die grösste Spionagebedrohung dar, der die Demokratien je ausgesetzt gewesen seien.

In dem CBS-Beitrag weist China die Vorwürfe als «Verleumdungen» zurück. Dennoch sagt etwa der Chef des FBI, China unterhalte das bei Weitem grösste Hacking-Programm der Welt, grösser als alle bedeutenden Länder zusammen.

Der Chef des britischen MI-5 hat eine Warnung parat für alle Unternehmen, die sich nicht für die Geopolitik interessieren: «Wenn Sie auf dem allerneuesten Stand der Technik sind, interessiert sich die Geopolitik mit Bestimmtheit für Sie.»

Der westliche Kampf mit den Autokratien hat längst wirtschaftliche Folgen gehabt, die bis in den Alltag hineinreichen – und wird es weiter haben.

Das hat sich an Russland gezeigt. Europa wurde erpressbar, musste Importe wie Exporte in Rekordzeit herunterfahren und erlitt einen veritablen Energieschock. Die Jahresteuerung, ohnehin erhöht durch den Coronaschock, erreichte in der Eurozone zeitweise 10 Prozent. Der Internationale Währungsfonds warnt vor den «enormen Kosten», wenn es eine «Fragmentierung» der Weltwirtschaft gibt.

Im Westen würde so manches Produkt teurer, wodurch die Inflation befeuert wird. Es wird öfter Turbulenzen an den Rohstoffmärkten geben, was grosse Preisschwankungen zur Folge haben werde. Betroffen seien vor allem wichtige Agrargüter sowie Mineralien, die in der Energiewende stark gefragt sind. Auf Dauer könnten die Kosten den wirtschaftlichen Gesamtleistungen von Frankreich und Deutschland entsprechen.

Doch es wird schwierig, eine «Fragmentierung» zu verhindern. Wie Historiker Kagan erklärt, sind liberale Demokratien per se gefährlich für Autokratien. Ihren Einwohnern wird vor Augen gehalten, dass ein anderes Leben möglich wäre, in grösserer Freiheit. Darum können Autokraten liberale Demokratien nicht einfach dulden oder in Ruhe lassen. Früher nicht, heute nicht.

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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banda69
14.11.2023 08:29registriert Januar 2020
Putin, Orban, und Erdogan. Alles Autokraten. Alle verkaufen sich als volksnah. Als Partei des Volkes. Hochgejubelt von Roger Köppel. Köppel ist vonnder selbst ernannten Partei des Volkes. Und ja, die SVP ist gefährlich.
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Sälüzäme
14.11.2023 06:11registriert März 2020
Zum Glück habe ich noch meinen alten HP-Taschenrechner, für den werden sich die Chinesen wohl nicht interessieren. 😁
Das die Chinesen spionieren weiss ich seit über 40 Jahren, es war eine Delegation bei uns in der Firma und ich erwischte reinen dabei wie er Schubladen aufmachte und unsere Stanzwerkzeuge abzeichnete. Ich schlug die Schublade zu, er hatte 2 gebrochene Finger und liess seinen Notizblock fallen, als wir diesen durchschauen fanden wir darin viele fast perfekte Zeichnungen unserer Werkzeuge, Lehren und Maschinen.
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Epignosi
14.11.2023 07:43registriert Mai 2016
"Autokraten sind die grösste Gefahr für liberale Demokratien" absolut richtig, aber zu
"so trifft es die Konsumenten" steht gar nichts:
Ab 2024 steigt der Strompreis um 32%! Bei der KK-Prämie handelt es sich nicht mehr um eine Versicherungsprämie es ist vielmehr eine asoziale Kopfsteuer um den Mittelstand in die Armut zu treiben und Arme krank zu machen. Mieten, ein Mittel um Menschen gesunde Lebensmittel zu verwehren, die sollen Junkfood fressen! ÖV nicht mehr erschwinglich. Auto ist billiger dank Ölbert! Tageskarte bei den Gemeinden abgeschafft. So treibt man Menschen in die Autokratie!
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