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Interview

«Deutschland liegt nicht am Boden»

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Interview

«Deutschland liegt nicht am Boden»

Florian Ielpo, Head of Macro, Multi Asset bei Lombard Odier Investment Managers, erklärt, weshalb die Aktienmärkte boomen, weshalb der Höhenflug der Bitcoins rational ist – und weshalb die deutsche Wirtschaft robuster ist, als viele meinen.
10.03.2024, 12:5610.03.2024, 15:31
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«Wie hoch können die Märkte noch gehen?», fragte der «Economist» jüngst und trifft damit wohl den Nerv der Zeit. Was denken Sie?
Florian Ielpo: Letztes Jahr hat die Inflation die Gewinne angetrieben, jetzt hat das Wachstum diese Funktion übernommen. Die Wirtschaft wächst, und die Gewinne der Unternehmen ebenfalls. Voilà.

Erstaunlicherweise ist das Wachstum überall zu beobachten. Aktienmärkte, Gold, Bitcoins. Normalerweise ist diese Synchronität nicht vorhanden. Was hat sich geändert?
Fangen wir mit den Aktien an: Die meisten Unternehmen – und vor allem die grossen – haben uns mit höheren als erwarteten Gewinnen überrascht. So gesehen ist der Aktienboom keine Überraschung.

Florian Ielpo
«Der Bitcoin-Boom ist rational», sagt Florian Ielpo von der Bank Lombard Odier.

Die Jahresprognosen der meisten Ökonomen waren jedoch tendenziell verhalten.
Unsere ökonomischen Lehrbücher sind veraltet. Sie sagen nämlich, dass höhere Leitzinsen zu schwächerem Wachstum und damit zu sinkenden Unternehmensgewinnen führen. Letztes Jahr ist genau das Gegenteil eingetroffen. Trotz höherem Leitzinsen hat sich die Wirtschaft sehr gut entwickelt.

Weshalb?
Der Staat hat sehr viel ausgegeben. In den USA beispielsweise hat das Staatsdefizit letztes Jahr rund acht Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen. Das ist mehr als während der Krise 2008.

Mit anderen Worten: Der Boom ist einem Defizit geschuldet?
Ja, und dank dieses Defizits ist auch der Konsum nicht eingebrochen.

Das trifft vor allem für die amerikanische Volkswirtschaft zu. Die von fast allen Ökonomen prophezeite Rezession ist nicht eingetreten. Im Gegenteil, das BIP ist teilweise gegen fünf Prozent gewachsen. Die grosszügigen Hilfspakete während Covid sind eine Erklärung dafür. Eine andere lautet: Die rekordhohe Immigration treibt die Wirtschaft an. Teilen Sie diese Einschätzung?
Es ist eine Kombination der beiden. Die Hilfspakete haben dafür gesorgt, dass der Konsum nicht eingebrochen ist und neue Jobs geschaffen wurden. Die Zuwanderung hat dafür gesorgt, dass auch Arbeitskräfte für diese Jobs vorhanden sind. Dazu kommt, dass in den USA die Löhne steigen – vor allem die am untersten Ende –, und das wiederum heizt den Konsum an. Daher ist die Situation in Amerika völlig anders als in Europa.

«Indien hat noch sehr viel Potenzial nach oben.»

Bleiben wir noch in Übersee. Die USA haben alle positiv überrascht, China hingegen scheint ernsthafte Probleme zu haben. Weshalb leidet die Weltwirtschaft nicht stärker darunter?
Chinas Schwäche hat auch eine positive Seite: Weil sie die weltweite Nachfrage dämpft, bleiben die Rohstoffe billig. Was sich derzeit in China abspielt, erinnert stark an die Entwicklung Japans in den letzten dreissig Jahren. Eine Immobilienblase platzt, Deflation und Überschuldung.

Da wir gerade von Japan sprechen: Alle haben es eigentlich abgeschrieben, jetzt boomen die Wirtschaft und die Börsen. Hat Sie das überrascht?
Na ja, Japan hat dreissig Jahre gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Die Bank of Japan hat mit drei Quantitative-Easing-Programmen kräftig mitgeholfen. Ich bin auch noch nicht überzeugt, ob die Wiedergeburt Japans nachhaltig sein wird.

Als Land der Zukunft gilt derzeit Indien. Man spricht von einem neuen China. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir glauben, dass das Land noch sehr viel Potenzial nach oben hat. Zudem fliesst derzeit sehr viel Kapital nach Indien. Das erlaubt es der Regierung, die Infrastruktur, aber auch das Bildungswesen auszubauen. Sollte diese Entwicklung anhalten, dann wird Indien tatsächlich das neue China werden.

Kommen wir endlich nach Europa. Deutschland, der traditionellen Konjunktur-Lokomotive, geht es nicht so gut. Ist das der Grund, weshalb auch die Stimmung in Europa im Keller ist?
Ich sehe drei Gründe für die aktuelle Schwäche der deutschen Wirtschaft: Herkunft der Energie, das Produkt und die Kunden. Die Deutschen haben lange von billigem Gas aus Russland profitiert, damit ist Schluss. Die Autoindustrie ist das Herz der Volkswirtschaft, und der wichtigste Kunde war bis anhin China.

BYD Explorer No. 1 Car Carrier The BYD Explorer No. 1 car carrier is being loaded with new energy vehicles for export at the port of Yantai, Shandong Province, China, on January 10, 2024. Yantai Shand ...
Chinesische Elektroautos der Marke BVD werden für den Export verladen.Bild: www.imago-images.de

An allen drei Fronten hapert es derzeit.
Und wie! Deshalb ist es für mich geradezu ein Wunder, dass das deutsche BIP nur um 0,3 Prozentpunkte eingebrochen ist. Ich hätte erwartet, dass es zehnmal schlimmer sein würde. Deutschland liegt nicht am Boden, wie vielerorts behauptet wird. Angesichts des dreifachen Schocks behauptet es sich sehr gut.

Chinesische Elektroautos seien nicht nur viel günstiger, sondern auch viel besser, heisst es. Kann die deutsche Industrie das verkraften?
Ja, wenn sie diversifizierter wird. Helfen würde auch eine engere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern. Aber im Moment ist Deutschland sehr mit sich selbst und dem Turnaround seiner Wirtschaft beschäftigt. Doch das wird sehr rasch geschehen.

Zynisch gefragt: Hilft die Wiedergeburt der Waffenindustrie bei diesem Turnaround?
Bei Lombard Odier kommentieren wir die Waffenindustrie nicht.

Wie beurteilen Sie die Schweizer Wirtschaft?
Ich würde sagen, «okay-ish». Die Schweizer Wirtschaft ist sehr exportorientiert. China ist ein wichtiger Markt geworden, natürlich auch Deutschland. Beide stecken in Schwierigkeiten, daher ist der Himmel derzeit nicht strahlend blau. Dafür sieht es in den USA gut aus. Generell scheint sich das Wachstum der Weltwirtschaft leicht zu beschleunigen. Dazu kommt, dass sich der Franken etwas abschwächen könnte. Damit würde sich die Lage der Exportwirtschaft verbessern.

«Bitcoins sind eine Währung, die sich gegenläufig zum Dollar verhält.»

Wechseln wir wieder von der realen in die Finanzwirtschaft. Profitieren vor allem die Tech-Titel vom derzeitigen Boom?
Nicht nur. Die Trennlinie verläuft derzeit primär zwischen grossen und kleinen Unternehmen, und es sind die Grossen, die überdurchschnittlich profitiert haben.

Dafür gibt es rationale Erklärungen, wie Sie ausgeführt haben. Aber wie kann man den Höhenflug der Bitcoins begründen?
Auch dieser Höhenflug lässt sich rational begründen.

Wirklich? Bin gespannt, wie.
Bitcoins sind verwandt mit dem Narrativ der Künstlichen Intelligenz (KI). Nvidia und Bitcoin werden in den gleichen Topf geworfen. Die Technologie wird immer wichtiger in unserem Leben. Ergo profitiert Bitcoin auch vom Tech-Boom. Zweitens sind Bitcoins eine Währung.

Das wird bestritten, aber machen Sie weiter.
Bitcoins sind eine Währung, die sich gegenläufig zum Dollar verhält. Erhöht die amerikanische Notenbank die Leitzinsen, dann wird der Dollar stärker und Bitcoins schwächer. Als die Fed wegen der Inflation die Leitzinsen erhöht hat, ist der Bitcoin-Kurs eingebrochen. Derzeit erwarten alle, dass die Fed die Leitzinsen senken wird. Daher sinkt der Dollar und der Kurs der Bitcoins steigt. Das Gleiche passiert übrigens mit dem Gold.

«Die Nachzügler werden jetzt aufholen.»

Eine bekannte Weisheit der Börsenprofis lautete einst: Wenn dir der Taxifahrer Aktien-Tipps gibt, dann ist es Zeit, auszusteigen. Heute gibt der Taxifahrer Tipps, welche Kryptos man kaufen soll. Ist das kein Alarmzeichen?
Sicher ist Spekulation ein wichtiger Treiber des aktuellen Bitcoin-Booms. Aber wie erwähnt, diese Spekulation hängt eng zusammen mit der KI und der künftigen Rolle der Technologie in unserer Gesellschaft.

Die Frage, wie hoch die Märkte noch steigen können, haben wir noch nicht beantwortet. Wird sich der Boom fortsetzen?
Das hängt davon ab, wie sich die Inflation und das Wirtschaftswachstum entwickeln. Aktien von Grossunternehmen sind eine sehr gute Absicherung gegen die Inflation, doch die Inflation scheint mehr oder weniger besiegt zu sein. Eine «sanfte Landung» der Wirtschaft wird allgemein erwartet. Historisch gesehen werden jetzt Aktien der kleineren Unternehmen profitieren, und noch wichtiger: die Aktienmärkte der Schwellenländer. Deshalb erwarten wir keine weiteren Höhenflüge der Aktienmärkte, sondern eine Ausdehnung. Die Nachzügler der letzten Zeit werden jetzt aufholen.

Eine Ähnlichkeit zur Situation Ende der Neunzigerjahre, als die Dotcom-Blase platzte, ist daher fehl am Platz?
Absolut. Viele Unternehmen dieser Ära haben niemals schwarze Zahlen geschrieben. Heute erwirtschaften sie satte Gewinne. Die Gewinne bei Nvidia beispielsweise sind geradezu explodiert.

Vielen Menschen macht jedoch derzeit die Entwicklung der Geopolitik Angst. Ukraine, Gaza, die Gefahr eines Dritten Weltkrieges, weshalb lässt dies die Finanzmärkte anscheinend unberührt?
Risiko wird an den Finanzmärkten mit der Volatilität gemessen. An den Obligationen-Märkten ist die Volatilität derzeit sehr hoch, ungefähr doppelt so hoch wie normal.

Der Obligationenmarkt ist jedoch primär etwas für die professionellen Anleger. Die Aktienmärkte boomen, wie sie auch zu Beginn des Ersten Weltkriegs geboomt haben. Ist das nicht irgendwie unheimlich?
Die Antwort ist simpel: Gewinne, Gewinne, Gewinne. Solange die Unternehmen Gewinne einfahren, werden die Aktienbörsen boomen. Und das ist auch vollkommen rational.

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174 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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International anerkannter Experte für ALLES
10.03.2024 13:34registriert Juli 2021
In Deutschland:
- Notstand im Gesundheitswesen
- Baufällige Schulen
- Verschlissene Bahninfrastruktur
- Aufblühender Rechtsextremismus
- Kleptokratie der Politik (Bespiel Maskenaffäre)

Aber sonst geht's fantastisch!
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Bakunin
10.03.2024 14:46registriert März 2021
Was bitte hat Bitcoin mit KI zu tun. und sowas dann also Begründung warum der Run auf Bitcoin rational ist?

Und das Bitcoin ernsthaft als Währung dienen kann (also ausserhalb von kriminellen Handlungen und nerdigen Spielereien) und nicht nur als Investitionsobjekt, muss es erst noch beweisen.
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naturwald
10.03.2024 13:54registriert Oktober 2023
Eine Wirtschaft wie DE geht nicht so schnell kaputt, das stimmt. Aufpassem müssen sie jedoch schon, denn Tatsache ist dass viele Firmen wegen schlechten Rahmenbedingungen wegziehen wollen, sollte von der Regierung schon als eine Art Alarmzeichen ernst genommen werden. Und wenn eine Firma wie Stihl mit der Produktion in die Schweiz ziehen will gibt das schon ein wenig zu denken..
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