Nach der Verhaftung von Julian Assange wurde Donald Trump um seine Einschätzung dazu gefragt. «Wikileaks?», erwiderte der Präsident. «Wikileaks ist eigentlich nicht mein Ding.» Sagte es und ging ungerührt zur nächsten Frage über.
Nicht sein Ding? Trump hat im Wahlkampf Wikileaks mehr als 140 Mal erwähnt, immer mit grosser Begeisterung. «I love Wikileaks», hat er an Wahlkampfveranstaltungen vor tobenden Fans in laufende TV-Kameras gebrüllt.
Die Verhaftung von Assange hat sich zudem seit Tagen angekündigt. Der Präsident und seine Kommunikationsberater wussten daher, dass diese Frage auf sie zukommen würde. Sie wussten auch, dass die TV-Sender unzählige Clips mit Trumps Liebeserklärungen an Wikileaks abspulen würden und selbst der letzte Hillbilly sehen musste, dass der Präsident offensichtlich lügt. Es war ihnen schnurzpiepenegal.
Menschen lügen, seit es sie gibt. Es soll uns ja anscheinend von Tieren unterscheiden. Politiker lügen vielleicht sogar ein bisschen mehr als Otto Normalverbraucher. Doch bis anhin waren Lügen und Scham eine Art siamesische Zwillinge. Lügner waren nicht stolz darauf, dass sie logen. Selbst Politiker versuchten, ihre Lügen zu vertuschen.
Das war einmal. Trump lügt, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Er hat sich mit einer vorgetäuschten Knochenkrankheit vom Militärdienst gedrückt, Geschäftspartner hintergangen, Affären mit Pornostars und Playboy-Models vertuscht und Wohltätigkeitsgelder missbräuchlich verwendet.
Wen kümmert es? Er könne einen Menschen auf offener Strasse erschiessen, und seine Fans würden es ihm verzeihen, hat Trump einst geprahlt. Für einmal hat er dabei nicht gelogen.
Sein Beispiel macht Schule. Lügen hat die Scham verloren. Ob Viktor Orban, Jair Bolsonaro, Recep Erdogan, Waldimir Putin oder Benjamin Netanyahu – sie alle nehmen es mit der Wahrheit sehr locker.
Das Tandem Lügen und Relativieren hat sich zu einem fast unschlagbaren Erfolgsrezept entwickelt. Die Klimaerwärmung wird nicht offen verneint, aber so lange relativiert, bis nichts mehr davon übrig bleibt. Auf jeden Skandal folgten tags darauf noch grössere, so dass für den Normalverbraucher nur noch die düstere Erkenntnis bleibt: Alles ist korrupt und verlogen.
Auch in der Wirtschaft feiert die Schamlosigkeit ein Comeback. Nach der Finanzkatastrophe 2008 gab es eine kurze Periode, in denen sich Manager und Banker bonimässig zurückhielten. In der Schweiz stimmte das Stimmvolk gar einer Abzocker-Initiative zu. Tempi passati. Heute sind zweistellige Millionengehälter für Bankbosse wieder selbstverständlich, obwohl nicht einmal die Eigenkapitalrendite dies rechtfertigen würde.
In der schamlosen Lügenwelt wird alles gehypt. So wird Trump wahrscheinlich demnächst ein neues Handelsabkommen mit China verkünden und dieses als «besten Deal aller Zeiten» anpreisen. Es wird eine leicht geliftete Auflage des bestehenden Abkommens sein, wie dies beim Nafta der Fall war.
Trump hat auch ein drittes Treffen mit Kim Jong Un angekündigt, obwohl die Nordkoreaner nicht im Traum daran denken, ihre Atomwaffen zu verschrotten. Wen kümmert’s? Für ein paar Tage TV-Spektakel wird es allemal reichen. Danach kann man eine neue Bombe platzen lassen. Wie wäre es mit Strafzöllen auf Autos?
Das sogenannte Framing ist ebenfalls ein sicherer Wert in der Lügen-Polit-Landschaft. Klassisches Beispiel ist das Vorgehen des US-Justizministers William Barr. Er hat den rund 400-seitigen Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller auf vier Briefseiten eingedampft und Trump dabei weitgehend entlastet.
Am kommenden Donnerstag wird nun das Original veröffentlicht. Egal, wie viele Seiten dabei eingeschwärzt bleiben, die Meinung ist bereits vorgespurt, oder eben geframed, und es wird sehr schwierig sein, diesen ersten Eindruck zu widerlegen.
Lügen und Schamlosigkeit, Relativieren und Framen haben die Politik in eine Wrestling-Arena verwandelt. Es ist daher keine Überraschung, dass Trump beste Beziehungen zu dem Mann unterhält, der die amerikanische Wrestling-Szene kontrolliert. Dessen Frau hat er gar in sein Kabinett geholt.
Der Trick beim Wrestling besteht darin, dass man Schein und Wirklichkeit, Lügen und Wahrheit so miteinander vermischt, dass sie untrennbar werden. Das funktioniert nur, wenn man sein Schamgefühl total unterdrücken kann. Das zumindest beherrscht Trump meisterhaft.