Anfangs Saison oder wenn es an einem Wochenendtag unerwartet schönes und warmes Wetter gibt, dann spielen sich an einem Badi-Kiosk im Norden der Stadt Zürich dramatische Szenen ab.
Vor besagtem Kiosk versammeln sich um 11.30 Uhr immer mehr Menschen und fangen an, eine Schlange zu bilden. Zunächst steht die Schlange in einem 90-Grad-Winkel vom Kassenfenster ab, aber bereits nach 3 Minuten ist die Schlange so lang, dass die Hintersten an die Stühle und Tische der Badi-Kiosk-Terrasse gedrängt werden.
Die Schlange versperrt dann den gesamten Durchgangsbereich zwischen Badi-Eingang und Familienabteilung und aus dem Innern des Kiosk brüllt die erste Anweisung heraus: «Längs anstehen! Längs anstehen!» Die hungrige Menschenschlange verschiebt sich also in corpore und kommt parallel zum Kiosk zu stehen und innert weiterer vier Minuten versperrt sie dann den Haupteingangsbereich in die Badi.
Im Innern des Kiosks herrscht eine krasse Dualität. Die Frau im Kassenfenster nimmt Bestellungen entgegen. Sind es mehr als zwei, rechnet sie die Kaufsumme mit dem Taschenrechner aus, tippt die Zahlen ab in die Kasse, kontrolliert Quittung, kassiert und gibt den kleinen gelben Zettel mit der Nummer aus. Zum Beispiel 83. Später wird man mit dieser Nummer aufgerufen werden, um am Abhol-Fenster sein Essen abzuholen. Die Getränke gibt die Frau sofort aus. Ihre Ruhe und Freundlichkeit stehen in starkem Kontrast zu allem, was sich vor, hinter und neben ihr abspielt.
Hinter der Frau sind gebückte, schwitzende und gestresste Gestalten damit beschäftigt, Hamburger zu braten und zusammenzusetzen, Fischknusperli und Pommes-Frites zu fritieren, Bratwürste zu drehen und die Menüs zusammenzustellen. Der Stress dieses Küchenpersonals ist so gross wie die Wartezeit lang. Irgendwann, vielleicht eine halbe Stunde später, sagt der Mann am Ausgabefenster leise die Nummer, die man in Händen hält.
Reagiert man nicht sofort, brüllt der Mann die Nummer über die ganze Badi. «D-R-E-I-U-N-D-A-C-H-T-Z-Z-Z-Z-I-K-K-K!!!» Eingeschüchtert und demütig bewegt man sich zum Ausgabefenster, um die bestellten Speisen in Empfang zu nehmen. Wer reklamiert, dass die ohnehin mickrigen 20-Milliliter-Mayonnaise- oder Ketchup-Beutelchen à gefühlte zwei Franken das Stück fehlen, dem fliegen sie unvermittelt entgegen. Lässig aus dem Handgelenk neben das Tablett geworfen.
Dieses trägt man dann zum Tisch, wo Kinder und Mütter und Grosseltern auf ihre Speisen warten. Die auf den Tafeln schön angekündigten Fitnessteller für 24 Franken erweisen sich als ein Salatblatt mit einer trockenen Pouletbrust. Aus den sechs angeblich frischen Fischknusperli für 18 Franken spritzt Frittier-Öl und die Kinder, die Bestellung und Abholung abgewickelt haben, konnten die Rechnung mit den mitgegebenen 80 Franken nicht begleichen.
Sie fragen den Vater «Hast du noch Geld?», um den Rest der Rechnung noch begleichen zu können. Und der Vater, der nach der langen Wartezeit betrunken, aber hungrig und frustriert auf die kümmerlichen Portionen kuckt, brüllt zum Ausgabefenster zurück «WENN ICH ETWAS HABE, DANN IST ES GELD!!! NEHMT ES RUHIG ALLES!!!» und macht sich vor der gesamten Badi zum Affen.
Das schlimmste an diesen dramatischen Szenen aber ist: Sie spielen sich nicht nur in einer Badi im Norden Zürichs ab, wenn es anfangs Saison oder an einem Wochenendtag unerwartet schönes und warmes Wetter gibt.
Sie spielen sich jedes Wochenende ab. In allen Badi-Kiosken dieses Landes. Seit Jahrzehnten. Und es gibt nichts, das einen darauf hoffen liesse, dass die Pächter der Badi-Kioske planen, irgendwann irgendetwas daran zu ändern.
Ich meine jetzt generell Badi und nicht nur Kiosk.