Es sind rund 12 Milliarden Tonnen an Gütern, die jährlich über den Seeweg an ihren Zielort gelangen. Eine ungeheure Menge. Je nach Schätzung entspricht sie rund 80 bis 90 Prozent des gesamten Welthandels. So wichtig die Branche für den globalen Handel ist, so gross sind die Umwälzungen, die ihr bevorstehen. Bis 2050 sollen die Frachtschiffe klimaneutral über die Weltmeere fahren, wie die EU und die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) beschlossen haben. Doch dieses Ziel liegt noch in sehr weiter Ferne.
Insgesamt ist die Schifffahrt für knapp 3 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Weil jedes Schiff riesige Volumen transportiert, ist der Ausstoss pro Tonne und Kilometer aber geringer als bei allen anderen Transportmitteln. Gemäss Angaben der europäischen Umweltagentur schlägt die Meeresschifffahrt dabei nicht nur Flugzeug und Lastwagen, sondern auch die Bahn.
Doch die Branche gerät immer wieder wegen Klimasünden in Verruf. Einige Beispiele: Die Luftverschmutzung ist pro Tonne und Kilometer deutlich höher als im Strassenverkehr, wie das deutsche Umweltbundesamt festhält. So gibt es beispielsweise keine Grenzwerte für Partikel oder Russ (auch «Black Carbon» genannt), obwohl diese Stoffe zur Klimaerwärmung beitragen und gesundheitsschädigend sind.
Entsprechend sind Massnahmen oder Anlagen zur Russ- und Partikelfilterung laut dem Umweltbundesamt «bisher nur in geringem Umfang erprobt beziehungsweise eingesetzt». Zudem ist die Schifffahrt mitverantwortlich für Müllteppiche auf dem Meer, Öl am Strand oder das Einschleppen von Tier- und Pflanzenarten.
Und auch beim CO2 geht der Trend in die falsche Richtung. Eine aktuelle Analyse des Schifffahrtsdienstleisters Clarkson kommt zum Schluss, dass die Emissionen der Branche 2024 um rund 4 Prozent gestiegen sind – auf über eine Milliarde Tonnen CO2 und damit auf ein höheres Niveau als vor der Coronapandemie. Gründe dafür sind etwa die längeren Fahrzeiten, weil viele Schiffe das Rote Meer meiden und einen Umweg um den afrikanischen Kontinent fahren, und Fahrten mit höherer Geschwindigkeit.
Noch immer wird die überwiegende Mehrheit der Frachtschiffe mit Dieselmotoren angetrieben. Ein solcher Motor ist gut und gerne so gross wie ein Einfamilienhaus. In den meisten Fällen verbraucht er das billige, aber dreckige Schweröl – ein Abfallprodukt, das bei der Verarbeitung von Erdöl entsteht. Nach Angaben von Statista machen klimaschädliche fossile Brennstoffe wie Schweröl, leichtes Heizöl und Schiffsdiesel immer noch mehr als 90 Prozent des gesamten Kraftstoffverbrauchs aus.
Die Hürden für einen flächendeckenden Umstieg auf nachhaltigere Alternativen sind gross. Eine Elektrifizierung von Container-, Kreuzfahrt- und Frachtschiffen ist kaum denkbar: Die Batterien speichern dafür zu wenig Strom, sind zu schwer und brauchen zu viel Platz. Es führt kaum ein Weg an alternativen Treibstoffen vorbei.
Das weiss auch die Branche. Doch wie ein im Dezember publiziertes Thesenpapier zeigt, geht die Umrüstung nur äusserst schleppend voran. Die Hürden sind so gross, dass eine Erreichung der Klimaziele bis 2050 «kaum zu schaffen» ist, wie die Forschenden des deutschen Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) schreiben. Ihre Schlussfolgerung untermauern sie mit Analysen der globalen Flotten und Orderbücher sowie einer Auslegeordnung zu den alternativen Treibstoffen.
Der Blick auf die Bestellungen von neuen Frachtern zeigt: Auch hier dominieren noch immer die herkömmlichen Kraftstoffe. Nur ein kleiner Teil der Neubauten ist mit einem Dual-Fuel-Motor ausgerüstet, kann also sowohl mit fossilen als auch mit alternativen Kraftstoffen wie flüssigem Erdgas (LNG), Ammoniak oder Methanol fahren.
Doch selbst bei den Dual-Fuel-Schiffen ist ein klimaneutraler Betrieb schwierig. Gemäss den Daten der ISL-Experten schlucken momentan die meisten dieser Motoren LNG. Damit sinkt zwar der Ausstoss von Schadstoffen, aber nicht von Treibhausgasen wie CO2 und Methan. Es sei denn, es handelt sich um synthetisches LNG, das mit grünem Strom produziert wurde, oder um Bio-LNG. Der Einsatz von solchem Bio-LNG in der Schifffahrt erreicht laut dem Bericht aber erst eine «marginale Menge».
Bleiben als Alternativen noch der Dual-Fuel-Betrieb mit Ammoniak oder Methanol. In beide setzt die Branche grosse Hoffnungen. Der grösste Hersteller von Schiffsmotoren MAN erwartet, dass bis 2030 etwa 40 Prozent der georderten Leistung bei den Zweitaktmotoren auf Ammoniak entfallen werden und 35 Prozent auf Methanol.
Doch im aktuellen Bestand der Handelsflotte sind noch gar keine Schiffe mit Ammoniak-Antrieb gemeldet. Und erst 30 Schiffe weltweit fahren mit Methanol – eine «mehr als überschaubare Zahl», wie die ISL-Fachleute schreiben.
Denn Methanol und Ammoniak haben einen gewichtigen Nachteil: Sie haben beide einen deutlich niedrigeren Energiegehalt als die fossilen Kraftstoffe. Es braucht also grössere Mengen an Treibstoff, um die gleiche Distanz zurückzulegen, und doppelt bis viermal so grosse Tanks. Das treibt die Kosten in die Höhe.
Wie die ISL-Experten bilanzieren, machen die Dual-Fuel-Motoren erst einen geringen Teil aus. Und selbst für diese Schiffe ist ein Grossteil der verfügbaren Kraftstoffe momentan nicht klimaneutral. So resultiere kaum eine Entlastung hinsichtlich der CO2-Emissionen. Einen Lichtblick bedeute jedoch die Entwicklung, dass auch Motoren der bestehenden Flotte auf Ammoniak oder Methanol umgerüstet werden könnten.
Doch auch damit sind die Herausforderungen nicht zu Ende. Die Klimaziele stehen und fallen mit der Verfügbarkeit von alternativen Kraftstoffen. Und dort harzt es gewaltig. Denn deren klimaneutrale Herstellung ist noch immer enorm energieintensiv und damit teuer. Es bräuchte einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, um den benötigten Strom bereitzustellen.
«Mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit wird es von keinem der alternativen Kraftstoffe ausreichende Mengen geben, um die Nachfrage aus der Schifffahrt – geschweige denn aus allen konkurrierenden Bereichen – zu decken», schliesst der Bericht des ISL. Vor diesem Hintergrund scheint Netto-Null bis 2050 in der Schifffahrt vor allem eines zu sein: ziemlich utopisch.