Wirtschaft
Schweiz

Dubai-Schokolade: Wie Lindt den Hype orchestrierte

Wie der Rummel um die Dubai-Schokolade begann – und wie Lindt daraus Profit schlug

Es ist der vielleicht bizarrste Trend des Jahres 2024: Die Aufregung um die Dubai-Schokolade. Wie ein Tiktok-Post die Wirtschaft bewegt.
24.12.2024, 10:27
Pascal Michel und Ann-Kathrin Amstutz / ch media
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Er ist der Mann hinter der Dubai-Schokolade von Lindt & Sprüngli: Stefan Bruderer (rechts), Produktentwickler und Maître Chocolatier.
Er ist der Mann hinter der Dubai-Schokolade von Lindt & Sprüngli: Stefan Bruderer (rechts), Produktentwickler und Maître Chocolatier.Bild: zvg

Stefan Bruderer isst viel Schokolade. Es gehört zu seinem Beruf, er ist Produktentwickler und Maître Chocolatier beim Schoggi-Riesen Lindt & Sprüngli. Er probiert sich regelmässig durch die Neuheiten der Konkurrenz, aber auch durch unbekannte Kreationen, die sich zum nächsten Kassenschlager entwickeln könnten.

Ist diese Tafel eine dieser Entdeckungen, auf die Lindt aufspringen sollte? Diese Frage stellte sich Bruderer vor einigen Monaten, als ihm ein Mitarbeiter die Schoggi des Chocolatiers Fix Dessert aus Dubai auf den Tisch legte. Sein Kollege hatte die Tafel extra aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mitgebracht, wie Bruderer im Gespräch mit CH Media erzählt. Denn in der Produktentwicklung hatte man durch die sozialen Medien immer öfter von Kundinnen und Kunden gehört, die diese Dubai-Schoggi mit Lindt-Produkten «nachbauen» wollten. Auch Bruderer hatte es schon mitbekommen, seine Tochter hatte ihm ein Tiktok-Video gezeigt.

Die Tafel, die damals vor Bruderer lag, war erstaunlich dick und schwerer als herkömmliche Lindt-Varianten. Sie war gefüllt mit Pistaziencreme, Sesampaste und Kadaifi, auch Engelshaar genannt. Das sind gebratene Teigfäden. «Ich bin ein Pistazienfan», sagt Bruderer, «deshalb hatte ich hohe Erwartungen.» Diese konnte die Dubai-Schoggi in der Degustation erfüllen. «Ich war begeistert vom Knistern der Teigfäden, von der Textur der Pistaziencreme, vom Geschmackserlebnis allgemein», sagt er rückblickend.

«Das hätte ich nicht für möglich gehalten»

Die weltweit bekannte Marke Lindt & Sprüngli mit Sitz im zürcherischen Kilchberg ist ein Gigant in der Schoggi-Industrie und erzielt einen jährlichen Umsatz von über 5 Milliarden Franken. Als Premium-Marke muss die Firma einen Spagat vollziehen zwischen Tradition und Innovation. Oder anders gesagt: Wie viel Neues verträgt das Image des Herstellers von Lindor-Kugeln und Excellence-Tafeln? «Wir springen nicht auf jeden Trend auf. Ein Produkt muss unsere Qualitäts- und Geschmacksversprechen einlösen können», sagt Stefan Bruderer.

Bei der Dubai-Schoggi sah der Produktentwickler Potenzial, seine Abteilung pröbelte daran, eine eigene Version zu lancieren. Damals ahnte er noch nicht, welche ungeahnten Ausmasse die Aufregung um eine Süssigkeit in den nächsten Monaten erreichen würde. «Dass sich Menschen für diese Schoggi morgens um zwei Uhr in eine Schlange stellen, hätte ich nicht für möglich gehalten», sagt Bruderer.

Der 47-jährige meint jene Szenen, die sich Mitte November bei der Lancierung der Lindt-Dubai-Schoggi in Kilchberg abspielten: Mitten in der Nacht standen die ersten Kunden an, um sich ein Exemplar zu sichern. Ein solches kostete immerhin 14.95 Franken. Auf der Verkaufsplattform Ricardo landeten kurze Zeit später Tafeln für mehrere Hundert Franken.

Menschen warten auf den Einlass vor dem Lindt Museum in Kilchberg am Samstag, 16. November 2024. Am Samstag ist eine auf 500 Stueck limitierte Auflage der handgefertigten Schokoladenkreation in den Ve ...
Schlage stehen für eine Tafel Schokolade: Im November löste der Verkauf der Dubai-Schokolade von Lindt einen Run aus.Bild: keystone

Lindt ist mit der eigenen Dubai-Schokolade ein Coup gelungen. Dazu gehörte allerdings auch eine gute Portion Glück. Denn ob sich ein Produkt durchsetzt oder gar einen Hype entfacht, ist auch für Profis schwer vorherzusehen.

Wie ein Video eine Lawine auslöst

Einer, der sich beruflich mit Konsumverhalten befasst, ist Marcel Zbinden. Auch bei dem Dozenten für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Luzern war einer der ersten Gedanken, als er in den Medien vom Hype las: «Sind die alle durchgedreht?»

Der vielleicht bizarrste Trend des Jahres startete mit einem Video der Food-Bloggerin Maria Vehera. Darin ist zu sehen, wie sie sich Blöcke der Schokolade mit grellgrüner Füllung in den Mund stopft. Vehera sagt kein Wort; umso deutlicher zu hören ist der charakteristische Crunch-Effekt. Im Februar 2024 ging das Video viral. Mittlerweile wurde der Clip über 100 Millionen Mal angesehen.

@mariavehera257 @fixdessertchocolatier WOW, JUST WOW!!! Can’t explain how good these are! When a chocolate, a dessert and a piece of art meet this is what you get! 🍫 "Can't Get Knafeh of it," "Mind Your Own Busicoff," and "Crazy Over Caramel." Order on Instagram Chatfood or Deliveroo and let me know what’s your FIX? Instagram : fixdessertchocolatier #asmr #foodsounds #dubai #dubaidessert ♬ оригинальный звук - mariavehera257

Laut Zbinden handelt es sich bei dem, was auf diesen Post folgte, um einen typischen – wenn auch extremen – Fall eines Social-Media-Hypes. Doch warum es in einem Fall zu einem Hype kommt und im anderen nicht, sei extrem schwer vorherzusagen: «Es gleicht dem Weg einer Kugel im Flipperkasten: Wo sie hinspringt, hängt stark vom Zufall ab.»

Grundsätzlich ist der Markt durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Doch bei einem Trend wie bei der Dubai-Schokolade geraten die grundlegenden Gesetze durcheinander. «Wenn die Leute bereit sind, 350 Euro für eine Tafel Schokolade zu bezahlen, dann zeigt das, wie stark soziale und emotionale Faktoren die Marktdynamik beeinflussen können», sagt Marcel Zbinden.

Marcel Zbinden ist Konsumpsychologe an der Hochschule Luzern.
Marcel Zbinden ist Konsumpsychologe an der Hochschule Luzern.Bild: Boris Bürgisser

Wie kann es so weit kommen? Alles beginnt laut dem Konsumpsychologen mit einem Knappheitseffekt: Die Nachfrage ist grösser als das Angebot, und Menschen messen raren Gütern automatisch mehr Wert bei. «Sie glauben, etwas Besonderes zu verpassen.» Dieser Eindruck werde durch die sozialen Medien noch massiv verstärkt. Bilder von leeren Regalen oder Menschenschlangen könnten sich rasend schnell verbreiten – mit dem Effekt, dass das gewünschte Gut noch rarer erscheint.

«Es kommt der Gedanke ins Spiel: Eine Ware, die so knapp ist, muss begehrenswert sein», erklärt Zbinden. Ein Genussmittel wie Schokolade als «Soul Food», das emotional aufgeladen ist und für Trost und Belohnung steht, sei geradezu prädestiniert für einen solchen Hype. Und auch der Name «Dubai-Schokolade» spiele eine grosse Rolle: Eine «New York»- oder «Buenos Aires»-Schokolade hätte nicht die gleiche Wirkung gehabt, ist der Experte überzeugt. «Dubai, wo man mit Gold bestreutes Fleisch essen kann, steht für Luxus und Dekadenz.» Und gerade in Zeiten der schwindenden Kaufkraft würden sich viele Menschen nach einem Stückchen Luxus sehnen.

In der Psychologie heisst dieses Phänomen der «Lipstick-Effekt». Trendforscherin Christine Schäfer vom Gottlieb Duttweiler Institut umschreibt ihn so: «In wirtschaftlich schwierigen Zeiten gönnen sich Konsumentinnen und Konsumenten eher kleinere Luxusgüter.» Die teuren Ferien oder den Besuch im Sterne-Restaurant könne man sich aktuell nicht leisten, also kaufe man sich stattdessen als kleines «Goodie» einen hochwertigen Lippenstift – «oder halt eine Tafel Dubai-Schokolade».

Hinzu kommt die soziale Komponente. Die Dubai-Schokolade wird laut Schäfer nicht nur als Genussmittel gekauft, sondern bietet Gesprächsstoff und dient als Statussymbol. Sie werde für kurze Zeit zu einem Ticket in die Welt des Luxus und der digitalen Zugehörigkeit. «Immer mehr Menschen wollen Teil des Trends sein, das Produkt wird zum Must-have.» Doch so schnell und stark ein Hype dadurch aufflammen kann, so schnell ist er auch wieder vorbei, sagt die Trendforscherin: «Sobald die Exklusivität verloren geht oder ein neuer Trend auftaucht, flacht das Interesse ab.»

Der Hype hat ein Ablaufdatum – doch die Schoggi bleibt ein gutes Geschäft

Das erwartet auch Konsumpsychologe Marcel Zbinden. Er setzt dem Hype sogar ein klares Ablaufdatum: «Ich denke, bis Weihnachten oder spätestens Ende Jahr ist das vorbei.» Aus dem simplen Grund, dass «wir Menschen stark im Jahresrhythmus leben». Die Kauflust erreiche in den letzten zwei Monaten des Jahres ihren Höhepunkt; darauf folge das Januarloch mit Neujahrsvorsätzen und Fitnessabos. «Im Januar geht es um den Verzicht – das widerspricht dem Trend der Dubai-Schokolade diametral.»

Doch auch wenn der Hype an Fahrt verliert: Für Schokoladenhersteller wie Lindt bleibt die Dubai-Schoggi laut Zbinden ein gutes Geschäft. «Auch Leute, die bisher nicht aufgesprungen sind, wollen das Produkt irgendwann noch probieren.»

Darauf hofft jedenfalls Lindt. Mittlerweile produziert der Konzern in Deutschland die Dubai-Schoggi im grossen Stil. Dazu hat er die Rezeptur angepasst, um das Trendprodukt maschinell herzustellen. In der Schweiz sollen diese Tafeln, die bewusst anders verpackt sind als die limitierte handgefertigte Variante, ab Anfang Januar in den Lindt-Läden erhältlich sein. Die Einführung im Detailhandel ist ebenfalls für Anfang 2025 geplant. Ein Stück wird rund 10 Franken kosten.

Vielleicht liegt dann schon der nächste potenzielle Hype bei Produktentwickler Stefan Bruderer auf dem Tisch. (aargauerzeitung.ch)

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70 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Spinailiaca
24.12.2024 11:17registriert September 2023
Komisch, ist bei mir genau anders rum. Dubai löst bei mir eher Abscheu und Ekel aus..
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Jonas (1) (2)
24.12.2024 10:51registriert April 2024
Wer sowas kauft, soll ruhig ausgenutzt werden.
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Opossum2
24.12.2024 10:58registriert Januar 2022
Die Marketingabteilung ist top. Irgendwann war mein Social Media Feed voll von Leuten, die diese Schokolade ausprobiert haben. Jetzt läuft das Zeug maschinell gefertigt zu tausenden pro Stunde ab dem Förderband, kostet irrsinnige CHF 10, und die Leute werden den Laden leer kaufen. Hätte man einfach im Oktober gesagt "wir haben eine neue Sorte mit Pistazienfüllung, sie kostet CHF 10", hätten sich alle an den Kopf gegriffen, aber jetzt haben die Leute das Gefühl, sie könnten für nur CHF 10 ein exklusives Produkt geniessen, das bisher den Scheichs vorbehalten war.
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