Mittwoch, 15. März, es ist der Tag, an dem Bundesrat, Nationalbank und Finanzmarktaufsicht die Notrettung der Credit Suisse in die Wege leiten. Seit Montag jagen sich in der Credit Suisse die Krisensitzungen. Die Abflüsse von Kundengeldern haben sich bedrohlich beschleunigt, bis die Einsicht kommt: Die CS schafft es womöglich nicht mehr aus eigener Kraft.
An jenem Mittwoch sitzt der oberste CS-Verantwortliche, Axel Lehmann, auf einem Podium. Weit weg von Zürich, in einem glamourös ausgeleuchteten Saal in Riad, Saudi-Arabien. Er hat einen Auftritt an der «Financial Sector Conference». Hunderte Scheichs lauschen seinen Ausführungen.
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Lehmann setzt sein Pokerface auf. Wer ihn kennt, sieht ihm ein gewisses Unbehagen an, aber insgesamt wirkt er gewohnt selbstsicher. Die Moderatorin spricht Lehmann auf das Missmanagement bei der untergegangenen Silicon Valley Bank (SVB) in Kalifornien an und ergänzt, auch die CS habe «Themen des Missmanagements» gehabt.
Lehmann geht zuerst nicht auf seine eigene Bank ein, sondern auf die SVB. Die US-Bank, doziert er, habe ein zu einseitiges Geschäftsmodell gehabt, das zu sehr auf nur einer Säule beruht habe.
Dann merkt Lehmann, dass er wohl auch etwas zu seiner eigenen Bank sagen muss. Er sucht einen Übergang von der SVB zur CS: «Sie können nicht vergleichen …», beginnt er, um den Satz abzubrechen. «Natürlich können Sie in der Zeitung lesen …», startet er von neuem. Dann fasst er Tritt. «Wir haben die Medizin bereits eingenommen», sagt Lehmann. «Wir haben die Risiken in der Bilanz reduziert. Das ist seit fünf oder sogar mehr Monaten in Gang.»
Die Moderatorin hakt nach und spricht ihn auf eine mögliche Staatshilfe an. Nun kommt Lehmanns Antwort sehr schnell. «Das ist kein Thema», sagt er. «Schauen Sie, wir sind reguliert, wir haben starke Kapitalverhältnisse, eine sehr starke Bilanz. Darum ist das kein Thema.»
Wie kommt der CS-Präsident dazu, in diesem Zeitpunkt eine solche Aussage zu machen? Lehmann antwortete bislang nicht auf diese Frage von CH Media. Entlastend ist anzufügen, dass er an der Konferenz aus Gründen der Geheimhaltung nicht die Wahrheit sagen durfte, aber ein so starkes Dementi ist unprofessionell: In solchen Situationen pflegen Topmanager elegant auszuweichen. «Lüge nicht, aber sag nicht die ganze Wahrheit», raten PR-Profis.
Nur wenige Stunden nach Lehmanns Aussagen in Riad, noch am selben Tag, verschickten die Nationalbank und die Finanzmarktaufsicht ein Communiqué. Sie wiesen darauf hin, dass die SNB der CS im Bedarfsfall Liquidität zur Verfügung stellen würden.
Und wiederum nur wenige Stunden später war es dann so weit: Die CS zapfte eine Kreditlinie von 50 Milliarden Franken an. Die Grossbank nannte diese Massnahme in einer Ad-hoc-Mitteilung «eine entschiedene Massnahme, um die Liquidität vorausschauend zu stärken». Die Mitteilung wurde Mittwochnacht verschickt.
Wie CH Media erfahren hat, kursiert UBS-intern das Riad-Video. Man macht sich lustig über Lehmanns Auftritt. Er, der die noch immer existierende Credit Suisse Group präsidiert, habe jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Ein UBS-Kadermann stellt die Frage, ob Lehmann überhaupt noch tragbar und ein akzeptabler Gesprächspartner für die anstehenden Umsetzungsgespräche über den Zusammenschluss sei.
Rückblickend wirken auch andere Aussagen Lehmanns bizarr. So preist er die Bedeutung von Rechtssicherheit. Darauf sei der Westen stolz, sagt Lehmann vor dem mehrheitlich arabischen Publikum. Genau diese Rechtssicherheit müsse man schützen, sagt er. Regierungen müssten den rechtlichen Rahmen ausschöpfen können, aber «die Rechtssicherheit darf in keiner Weise gebrochen» werden, betont er.
Diese Aussage kann man Lehmann indes kaum vorwerfen, denn in diesem Moment konnte er noch nicht wissen, was am darauffolgenden Wochenende in der Schweiz beschlossen werden sollte: die Zwangsübernahme der CS durch die UBS unter Anwendung von Notrecht, das verhindert, dass die Aktionäre über den Zusammenschluss abstimmen können. Ein Vorgang, der von Juristen als Enteignung der Aktionäre bezeichnet wurde.
Just Aktionäre aus Saudi-Arabien wurden hier enteignet. Offenbar, mussten diese denken, ist die Rechtssicherheit in Demokratien nicht unbedingt grösser als in autoritären Systemen. Die «Financial Times» zitiert aus dem Umfeld arabischer CS-Aktionäre: «Man macht sich über Diktaturen lustig, und dann kann man am Wochenende das Gesetz ändern. Wo ist jetzt der Unterschied zwischen Saudi-Arabien und der Schweiz? Das ist wirklich schlimm.»
Lehmann ging in dem ausführlichen Auftritt auch auf die Politik im Allgemeinen ein und erteilte Ratschläge. «Was sollten die Regierungen tun, um die Inflation zu bekämpfen?», gab er gleich selbst die Fragestellung vor, um sie zu beantworten: «Die Regierungen müssen erstens ein günstiges und effizientes Energieangebot sicherstellen, und zweitens müssen sie Arbeitsmarktreformen durchführen.»
Das seien Schlüsselthemen, insbesondere für Europa, denn hier seien die Energiepreise am höchsten und die Arbeitsmärkte – mit Ausnahme der Schweiz und Grossbritanniens – am starrsten. «Das sind die beiden Topthemen, die Europa angehen muss, um seinen Platz in der sich schnell wandelnden globalen Umwelt zu finden», schloss Lehmann.