Es geht um rund 600 Namen. Sie stammen von einer CD mit Kundendaten, die der Informatiker Hervé Falciani bei der Genfer Filiale der britischen Grossbank HSBC entwendet hat. Die indische Regierung vermutet, dass es sich um Steuersünder handelt, sie hat die Schweiz um Auskunft ersucht. Doch das Finanzdepartement weigert sich, weil es sich um gestohlene Bankdaten handelt.
Seit Monaten streiten sich Bern und Delhi in dieser Angelegenheit. Nun ist dem indischen Finanzminister Palaniappan Chidambaram der Geduldsfaden gerissen. Letzte Woche sandte er einen Brief an seine Amtskollegin Eveline Widmer-Schlumpf. Es handle sich um eine «nachdrückliche» Warnung vor «weiteren Schritten», falls die Schweiz nicht mehr Entgegenkommen zeige, schreibt die indische Wirtschaftszeitung The Economic Times am Donnerstag.
Bereits am diesjährigen WEF in Davos hatte Chidambaram mit Konsequenzen gedroht: «Wir wollen wissen, wie viel indisches Schwarzgeld in der Schweiz liegt.» Konkret könnte Indien die Schweiz als «unkooperative Jurisdiktion» einstufen. Investoren würden gemäss der «Economic Times» dann nicht mehr von Erleichterungen profitieren, die im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den beiden Ländern vereinbart wurden.
In Bern hat man die neuste Entwicklung zur Kenntnis genommen: «Wir haben den Brief erhalten und bereiten eine Antwort vor», erklärte Mario Tuor vom Staatsekretariat für internationale Finanzfragen (SiF) auf Anfrage von watson. Zum Inhalt des Antwortschreibens äusserte er sich nicht. In Bern will man den Ball flach halten und den Steuerstreit mit der aufstrebenden asiatischen Wirtschaftsmacht nicht anheizen.
Der Schaden durch die angedrohten Sanktionen dürfte sich in Grenzen halten. Trotzdem befindet sich die Schweiz in einer schwierigen Lage. Eigentlich wollte der Bundesrat mit einer Gesetzesrevision Amtshilfe bei Steuerdelikten auch dann ermöglichen, wenn die Gesuche auf gestohlenen Daten beruhen. Nach heftiger Kritik in der Vernehmlassung beerdigte er diese Pläne im letzten Herbst.
In Delhi zeigt man sich unbeeindruckt. Dort beruft man sich auf einen Artikel im Doppelbesteuerungsabkommen. Dieser habe Vorrang vor nationalen Gesetzen. Im Februar schickte die Schweiz eine Delegation nach Indien, um die Wogen zu glätten. Ein Beamter des indischen Finanzministerium bezeichnete das Treffen gegenüber der «Economic Times» jedoch als nutzlos, es habe zu einer «vollständigen Blockade» geführt. Indien habe deshalb das Recht, die Schweiz als unkooperativ zu bezeichnen. Im Fall der Mittelmeer-Insel Zypern wurde diese Massnahme bereits ergriffen und ein bilaterales Steuerabkommen suspendiert.
Die Kraftmeierei dürfte auch mit den Parlamentswahlen zusammenhängen, die am 7. April beginnen und in der grössten Demokratie der Welt rund einen Monat dauern. Der regierenden Kongresspartei droht nach allen Umfragen eine Niederlage. Eine harte Linie gegenüber der «Steueroase» Schweiz könnte sich da auszahlen, denn Steuerflucht ist ein wichtiges Thema im Wahlkampf. Auch der mutmassliche Wahlsieger Narendra Modi, von der hindu-nationalistischen Partei BJP, geisselt das Verschieben von Schwarzgeld auf ausländische Banken.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Bern und Delhi verhandeln derzeit über ein Freihandelsabkommen, und hier sitzen die Bremser in der Schweiz. Die Pharmaindustrie verlangt einen umfassenden Schutz von geistigem Eigentum, den Indien mit Rücksicht auf seine Medikamenten-Branche nicht akzeptieren will. Ob ein Machtwechsel in Delhi zu einer Entspannung führen wird, scheint zumindest fraglich.