Am Markt für Mietwohnungen ist zuletzt nichts besser geworden und alles nur noch schlimmer. So liesse sich der letzte Immobilienbericht der Bank Raiffeisen auf den Punkt bringen. Deren Chef-Ökonom Fredy Hasenmaile gibt für diese Misere zumindest teilweise der Bundesverwaltung die Schuld - und damit auch dem Bundesrat.
Der Reihe nach. Im Bau werden seit Jahren weniger Baugesuche als früher eingereicht, und diese werden noch dazu weniger häufig bewilligt als früher. Keiner weiss, warum, aber während nach Erklärungen gesucht wird, ist die Zahl der Bewilligungen letztes Jahr auf ein Rekordtief gefallen.
33'532 Wohnungen wurden bewilligt. Die Statistik geht 20 Jahre zurück, ein schlechterer Wert findet sich nicht. Er liegt 27 Prozent tiefer als im Durchschnitt dieser Jahre. Und dies, obschon Wohnraum schon lange knapp ist, insbesondere in den städtischen Zentren, und obschon die Bevölkerung weiterhin jährlich um rund 80'000 Menschen wachsen dürfte.
Und was gebaut wird, ist obendrein kleiner als noch vor zehn Jahren: Auf jede Wohnung kommen weniger Zimmer. 4 Zimmer pro Wohnung sind nicht länger die Norm, heutzutage sind es nur noch 3. Deshalb ist der Mangel an Wohnungen zwar gross, der Mangel an Zimmern indessen noch grösser.
Dieser Mangel zeigt sich an allen möglichen Ecken und Enden - zum Beispiel, wenn Mieter auf den Internetportalen nach Wohnungen suchen: Es hat viel weniger Inserate als vor ein paar Jahren. Der Mangel wird sich auch zeigen, wenn das Bundesamt für Statistik diesen Monat wieder über ihre landesweite Erhebung aller leeren Wohnungen informiert. Laut Prognose der Bank Raiffeisen wird die Leerwohnungsziffer nahe zur oder gar unter die Marke von 1 Prozent fallen, zum ersten Mal seit über 10 Jahren.
Vor allem aber zeigt sich diese Knappheit in einem Anstieg der Mieten von neu ausgeschriebenen Wohnungen, den Angebotsmieten. Diese lagen im zweiten Quartal um 6,4 Prozent höher als noch im Vorjahresquartal und verzeichneten damit den höchsten Anstieg seit 1992, also seit über 30 Jahren. Diese Entwicklung beschreiben die Raiffeisen-Ökonomen mit den Worten: «Die Angebotsmieten laufen aus dem Ruder.»
Das ist zunächst einmal nicht für alle Mieter ein Problem. Es trifft zunächst nur die Haushalte, die eine neue Wohnung suchen müssen und nun mit deutlich höheren Mieten konfrontiert sind. Haushalte hingegen, die eine Mietwohnung haben, zahlen eine Bestandesmiete, welche sich am hypothekarischen Referenzzinssatz zu orientieren hat.
Dieser Zins ist zuletzt nicht weiter angestiegen und dürfte laut Raiffeisen vielleicht im Dezember, spätestens im März um einen Viertelprozentpunkt fallen. Wichtig wird dabei sein, was die Schweizerische Nationalbank (SNB) entscheidet, wenn sie Ende September wieder ihren Leitzins festlegt. Da die Inflation weit bequem in der Mitte des Zielbandes von 0 bis 2 Prozent liegt, gehen die meisten Beobachter von einer Senkung aus, auf neu 1 Prozent.
Wer also bereits eine Wohnung hat, der bleibt vom rekordhohen Anstieg der Angebotsmieten verschont - zunächst. Aber irgendwann muss jeder Haushalt umziehen oder die Kinder werden erwachsen und wollen etwas Eigenes. Die Raiffeisen-Ökonomen schreiben: «Hohe Angebotsmieten treffen früher oder später fast alle Mieter.»
Der Wohnraum ist knapp, die Nachfrage ist weiter angestiegen, aber das Angebot reagiert nicht. Nicht nur, dass es nicht genügend stark ansteigt, es wird im Gegenteil sogar kleiner - so klein wie nie in den letzten 20 Jahren. Dabei handelt es sich beim Wohnen um ein «Grundbedürfnis», wie der Bundesrat in seinem «Aktionsplan Wohnungsknappheit» schreibt.
Raiffeisen-Chefökonom Hasenmaile erklärt auf Anfrage, das Problem sei vielschichtig, habe sich über viele Jahre verschärft und sei daher heute leider nicht mehr rasch lösbar. Es sei deshalb richtig, dass der Bund nicht in wilden Aktivismus verfalle. Zugleich müsse er jedoch auch sagen: «Ich vermisse eine etwas klarere Handschrift des Bundes - beziehungsweise mehr Leadership -, zumal der Bund an der Malaise nicht ganz unschuldig ist.»
Denn der Bund habe zwar einen richtigen und wichtigen Strategiewechsel in der Raumplanung vorgenommen, sagt Hasenmaile weiter. «Dieser wurde aber viel zu wenig weitsichtig angegangen - oder gar fahrlässig.»
So habe das Bundesamt für Raumentwicklung sich jüngst Asche aufs Haupt gestreut und kleinlaut bemerkt, die Innenentwicklung, also die Verdichtung, nehme mehr Zeit in Anspruch als erwartet, sagt Hasenmaile weiter. «Das hätte man wissen können! Oder man hätte zumindest Vorbereitungen treffen können, wenn genau das eintritt.»
Diese Verdichtung, welche nun länger dauert als einmal gedacht, war vom Volk an sich gewünscht gewesen. Denn zuvor wurde ständig mehr Kulturland verbaut mit Wohnungen, Läden oder Strassen. Jedes Jahr ging eine Fläche so gross wie der Walensee verloren, die man sonst hätte für Landwirtschaft oder als Erholungsraum nutzen können.
Dieser Zersiedlung wollte die Bevölkerung nicht länger zuschauen und stimmte 2013 einem neuen Raumplanungsgesetz zu. Künftig wollte man dichter bauen, also zum Beispiel mehr Wohnungen auf bereits überbautes Land stellen. Doch das Gesetz zu erlassen, war einfacher, als es in die Tat umzusetzen, so die These von Hasenmaile. Auf grünen Wiesen baut es sich vergleichsweise leichter; in Städten muss oft erst Bestehendes weichen, ehe Neues seinen Platz einnehmen kann.
Das von Hasenmaile angesprochene Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) sieht es ganz anders. Auf Anfrage hält ein Sprecher fest, die Raumplanung liege per Verfassung in der Zuständigkeit der Kantone. Sie haben demnach den Auftrag, die erste Revision des Raumplanungsgesetzes umzusetzen und dafür zu sorgen, dass die Gemeinden ihre Nutzungspläne anpassen. «Das hat in einigen Kantonen länger gedauert als erwartet. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben viel mit den lokalen Bedingungen und Personalressourcen in den Gemeinden und Kantonen zu tun.»
Der Bund habe lediglich eine Beratungs- und eine Aufsichtsfunktion. In diesem Rahmen fordere das ARE zwar von den Kantonen und Gemeinden eine konsequente Umsetzung ein. Es dürfe aber aufgrund der verfassungsrechtlichen Aufgabenteilung in der Raumplanung nicht in die politischen Prozesse der Gemeinden und Kantone eingreifen. «Die These, dass der Bund hätte mehr tun müssen, um die Verdichtung schneller umzusetzen, ist also falsch», kontert der Sprecher darum. «Wir stellen ausserdem fest, dass das verdichtete Bauen zunimmt - wir sind also auf Kurs.» (bzbasel.ch)
Eine einfache Durchsetzung der bestehenden Regeln im Mietwesen (Kostenmiete) könnte die entstandenen Zusatzkosten für Millionen Menschen locker kompensieren. Eine konkrete Möglichkeit dazu hätte ein Vorstoss der SP-Parlamentsmitglieder Jacqueline Badran und Carlo Sommaruga geboten, welcher periodische Kontrollen der Mieten durch eine Revisionspflicht forderte. Doch die rechte Mehrheit wollte davon nichts wissen.
Und ja, es gäbe Lösungen, um den Mietanstieg zu drücken und den Wohnungsmangel zu bekämpfen, doch leider wehren sich primär Bürger dagegen. #DerMarktReguliertSichSelbst