Das Fürstentum Liechtenstein galt lange als Hort für Finanzbetrüger und undurchsichtige Geschäfte. Dann kam 2008 die «Affäre Zumwinkel»: Der ehemalige Chef der deutschen Post wurde dank einer Daten-CD der Steuerhinterziehung überführt. Das führte nicht nur zum Fall eines der angesehensten Managers in Deutschland, es leitete auch einen Umbau des Finanzplatzes Liechtenstein ein.
Unter der Leitung des damaligen Regierungschefs Klaus Tschütscher wandelte sich das Fürstentum vom Saulus zum Paulus. Anstatt auf undurchsichtige Stiftungen, begann man auf Transparenz zu setzen. Viel früher als in der Schweiz erkannte man, dass das Bankgeheimnis in seiner strengen Form den geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts nicht mehr entsprach.
Zügig wurden Steuerabkommen abgeschlossen, um den Kunden des Finanzplatzes den Weg in die Steuerehrlichkeit zu ermöglichen. Das hat sich ausbezahlt. Während die Schweiz sich immer noch mit unbewältigten Altlasten aus der Blütezeit des Bankgeheimnisses abmüht, hat Liechtenstein seine Hausaufgaben weitgehend gelöst.
Klaus Tschütscher ist 2013 von seinem Amt als Regierungschef zurückgetreten. Er ist jedoch zusammen mit dem Unternehmer Oliver Fiechter eine der treibenden Kräfte hinter dem Finanzplatz geblieben. Gemeinsam wollen sie dafür sorgen, dass der Finanzplatz nicht nur sauber wird, sondern sich zu einem internationalen Zentrum für Nachhaltigkeit entwickelt.
Im «Ländle» steht den Anlegern seit neustem mit der Carlo Foundation ein objektives Rating zur Verfügung. Es ermöglicht, in zukunftsfähige Unternehmen zu investieren. Diese sollen nicht nur eine gute Finanzperformance ausweisen, sondern auch umweltbewusst und ethisch handeln.
Dies entspricht einem weit verbreiteten Bedürfnis: Rund die Hälfte aller privaten und institutionellen Investoren legen heute Wert darauf, dass sie ihr Geld in Unternehmen mit einem untadeligen Ruf anlegen können.
Investoren hätten die Wahl, entweder gut zu schlafen oder gut zu essen, lautet eine alte Börsenregel. Warum dies heute nicht mehr stimmt, und weshalb ein sauberer Finanzplatz dem Gewissen und dem Portemonnaie gut tut, erklären die beiden im Interview:
Mit grünen Labels verdiene man gutes Geld mit dem schlechten Gewissen, spotten Zyniker. Warum haben sie nicht Recht?
Klaus Tschütscher: Der Wandel des Finanzplatzes Liechtenstein hat sich unter äusserem Druck natürlich dynamisiert. Als politisch Verantwortlicher war mir rasch klar, wohin die Reise gehen muss. Dementsprechend haben wir unsere Strategie auf Steuerkonformität und Transparenz ausgerichtet. Und wir haben sehr schnell gemerkt, was den Kunden heute antreibt: Er will Sicherheit und Vertrauen und deshalb gut informiert sein.
Kommt Liechtenstein damit nicht reichlich spät? Ratings gibt es bereits viele.
Tschütscher: Nein, es gibt nicht viele Ratings, sondern viele Labels, welche die Emittenten der Finanzprodukte sich selbst vergeben. Das heisst: Die meisten der bereits vorhandenen Labels für Finanzprodukte sind nicht unabhängig, sondern dienen einzig dazu, den Ruf einzelner Finanzprodukte aufzupolieren.
Was ist an Ihrem Rating anders?
Tschütscher: Wir verbinden öffentliche und private Interessen – Privat Public Partnership nennt man das heute. Deshalb wurde die Initiative von Anfang an auch von den Finanzverbänden und der Regierung mitgetragen. So ist die gemeinnützige Stiftung Carlo Foundation entstanden, die dieses Rating zusammen mit dem St. Galler ISG Institut entwickelt hat. In dieser gemeinnützigen Stiftung kommt das Prinzip der absoluten Unabhängigkeit voll zum Tragen.
Für uns Laien: Wie lässt sich die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten bewerten?
Fiechter: Es gibt heute eine Konvention und klare Kriterien dafür, was Nachhaltigkeit bedeutet. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit ist objektiv messbar geworden. Wir tun dies unter drei Aspekten, einem ökologischen, einem wirtschaftlichen und einem ethischen. Unser Ansatz ist also sehr ganzheitlich und beinhaltet eine finanzielle und nicht finanzielle Dimension.
Blöd gesagt: Ein Unternehmen darf der Umwelt nicht schaden, muss Geld verdienen und sich anständig aufführen?
Fiechter: Genau. Deshalb wollen wir verschiedene kleine, unabhängige Ratingagenturen aus ganz Europa zusammenschliessen und den neuen Ratingansatz europaweit vermarkten. Damit erfüllen wir das wachsende Bedürfnis am Finanzmarkt nach mehr Transparenz und Orientierung.
Tönt gut, aber was heisst es konkret?
Fiechter: Mit Labels wird in der Finanzbranche sehr viel Unsinn betrieben. Es gibt Fonds, die sich nachhaltig schimpfen und selbst Waffenhersteller im Portfolio führen! Wir verstehen uns als europäische Alternative zu den sehr finanzgetriebenen, angelsächsischen Ratingagenturen.
Bei Waschmaschinen und Autos werden grüne und rote Punkte verteilt. Wie sieht ein Finanzrating aus?
Fiechter: Die Aktie eines Unternehmens wird nach verschiedenen Kriterien untersucht und gewichtet und erhält am Schluss einen Prozentwert. Je höher dieser Wert, desto nachhaltiger das Unternehmen. Speziell bei uns ist die Tatsache, dass wir alle drei oben erwähnten Kriterien berücksichtigen.
Tschütscher: Was ebenfalls immer wichtiger wird, ist die Tatsache, dass die Ratings in die Zukunft gerichtet sind und nicht bloss die Vergangenheit abbilden. Für Letzteres gibt es bereits genügend fähige Researchagenturen in Europa. Diesen wollen wir in Liechtenstein ein gemeinsames Dach bieten und deren Resultate mit unserem erweiterten Ratingansatz koordinieren.
Zyniker könnten vermuten, mit der Carlo Foundation wolle sich der Finanzplatz Liechtenstein ein grün-ethisches Feigenblatt zulegen?
Tschütscher: Nein, die Carlo Foundation und damit die Etablierung einer unabhängigen Ratingagentur hat einen ganz prominenten Platz in der neuen Strategie des Finanzplatzes. Diese Strategie ist von der Regierung verabschiedet worden und wird jetzt von den Finanzverbänden umgesetzt.
Trotzdem bleibt ein Misstrauen. Um es mit einem Vergleich zu sagen: Will sich hier McDonald’s als Biobauer verkaufen?
Tschütscher: Erstens: So schlecht ist McDonald’s vielleicht gar nicht. Und zweitens: Der Finanzplatz Liechtenstein hat nicht nur reagiert, sondern in den letzten Jahren sehr aktiv agiert, so dass der Wandel zwischenzeitlich auch im Inneren begrüsst und getragen wird.