Wirtschaft
Schweiz

Die hohen Margen auf Bio- und Labelprodukten bringen Bauern in Rage

«Eine Schweinerei»: Die hohen Margen auf Bio- und Labelprodukten bringen Bauern in Rage

Der Vorwurf an die Detailhändler wiegt schwer: Sie sollen mit Produkten, die besonders tier- und umweltgerecht produziert werden, besonders gut verdienen und damit den nachhaltigen Konsum bremsen. Coop und Migros wehren sich vehement.
12.09.2022, 05:32
Chiara Stäheli / ch media
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«Ich bekomme für jedes Kilo Huhn, das ich zum Schlachthof bringe, zwei Franken. Im Laden wird es für das Zehnfache verkauft. Das ist eine Schweinerei.» «Die Detailhändler beherrschen den Markt - wir Landwirte müssen uns fügen.» «Es kann doch nicht sein, dass Coop und Migros mehr an einem Schwein verdienen als ich. Schliesslich habe ich das Fleisch auf meinem Betrieb über Wochen hinweg produziert.»

Schwein
Für das Kilo Hinterschinken erhält ein Bio-Landwirt rund 6.50 Franken. Verkauft wird es im Detailhandel für ein Mehrfaches.Bild: Shutterstock

Wer dieser Tage von Bauernhof zu Bauernhof tingelt, der stellt vor allem eines fest: Der Ärger unter Landwirten ist gross. Und zwar nicht etwa in erster Linie wegen der bevorstehenden Abstimmung über die Initiative gegen Massentierhaltung. Nein, im Fokus der unisono geäusserten bäuerlichen Kritik steht der Detailhandel. Und das schon seit Jahren. Der Vorwurf an Migros, Coop und Co.: Vor allem auf Label- und Bioprodukten schöpfen die Detailhändler eine massiv zu hohe Marge ab.

Die eingangs erwähnten Aussagen stammen von Landwirtinnen und Landwirten, die anonym bleiben wollen. Stellvertretend äussert sich der Schweizer Bauernverband (SBV): «Immer weniger des Konsumentenfrankens gelangt bis zur Landwirtschaft. Jede Stufe zieht ihre Kosten und Gewinnmargen ab. Der Landwirt bekommt, was übrig bleibt.» Das sei bei besonders umwelt- oder tierfreundlich produzierten Produkten «umso ärgerlicher, weil es verhindert, dass die Landwirte für die Mehrleistungen korrekt entschädigt werden», so der SBV. Der Verband fordert deshalb, dass «die Transparenz bei der Preisbildung verbessert wird und die Detailhändler angemessene Produzentenpreise bezahlen».

Produzent erhält 12 Franken pro Kilo, Detailhandel verkauft es für 60 Franken

Auch dem Schweizer Tierschutz (STS) ist die Preispolitik der Detailhändler schon länger ein Dorn im Auge. Co-Geschäftsführer Stefan Flückiger hat deshalb vor zwei Jahren mithilfe der Margenkalkulationen der Metzgertreuhand AG den Markt analysiert. Er kam zum Schluss: «Die Preisdifferenzen zwischen Labelprodukten und den konventionellen Produkten sind künstlich überhöht, was den Absatz der Tierwohlprodukte bremst.» Derzeit werde die Kalkulation aus dem Jahr 2020 aktualisiert, wie Flückiger auf Anfrage mitteilt. Die weiterhin «aggressive Preispolitik bei den Standardsortimenten» lasse vermuten, dass sich bezüglich Margen «wenig verändert hat».

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Die Beispiele, die Flückiger nennt, machen den Unmut der Landwirte fassbar. So erhält ein Nutztierhalter etwa 12 Franken pro Kilogramm Rindsplätzli, wenn er diese nach Bio-Richtlinien produziert. Das Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten des Fleischs kostet gemäss STS-Studie ebenfalls ungefähr 12 Franken. Verkauft wird das Kilo Bio-Rindsplätzli beim Grossverteiler für knapp 60 Franken. Über die Hälfte des Endpreises fliesst also in die Taschen der Detailhändler. Anders sieht das beim konventionell produzierten Fleisch aus: Dort erhält der Landwirt mit knapp zehn Franken etwa gleich viel für seine Rindsplätzli wie dem Detailhändler nach dem Verkauf bleiben.

Noch deutlicher zeigen sich die hohen Verteilermargen beim Schweinefleisch. Für das Kilo Hinterschinken erhält ein Bio-Landwirt rund 6.50 Franken, die Verarbeitungskosten betragen etwas mehr als 11 Franken. Im Laden wird das Kilo Bio-Hinterschinken im Schnitt für mehr als 50 Franken verkauft. Satte 33 Franken fliessen also direkt in die Kassen der Detailhändler. Bei konventionell produziertem Hinterschinken ist die Verteilermarge rund drei mal kleiner.

Detailhandel spricht von «falschen Behauptungen»

Die Migros – sie hat gemeinsam mit Coop einen Marktanteil von rund 70 Prozent – bestreitet die Vorwürfe auf Anfrage vehement: «Die Zahlen und Behauptungen des STS sind falsch.» So sei beispielsweise der Durchschnittspreis für Rindsplätzli im Berichtsjahr rund einen Drittel tiefer gelegen als in der Studie aufgezeichnet. Die Migros merkt weiter an: Man stehe «in einem derart intensiven Wettbewerb mit anderen Detailhändlern», dass überteuerte Produkte sofort erkannt und gemieden würden. «Daher ist es gar nicht möglich, mit Labelprodukten eine höhere Marge zu erzielen.» Hinzu komme, dass Labelprodukte «auf fast jeder Stufe zum Teil deutlich höhere Kosten generieren»: Einerseits beim Produzenten, andererseits bei der Verarbeitung und im Handel «wegen kleinerer Packungsgrössen», so Migros.

Und auch Konkurrent Coop beschwichtigt auf Anfrage: «Wir verdienen unter dem Strich an Label-Produkten nicht mehr als an konventionellen.» Schliesslich sollen alle Schritte auf dem Weg in den Laden fair abgegolten werden - also auch die Zertifizierung, die Kontrollen sowie die Vermarktung.

Teilweise Unterstützung erhalten die Detailhändler von Urs Niggli, Bio-Pionier und Agrarwissenschafter: «Der Aufwand ist nicht nur für die Produzenten, sondern auch für die Detailhändler bei Bio-Produkten klar höher als bei konventionellen.» Er erwähnt beispielsweise die Logistik, die Warenflusstrennung oder das Marketing. Und kommt zum Schluss, dass dieser «überdurchschnittliche Aufwand die höheren Margen zu einem gewissen Grad» rechtfertige.

Preisgestaltung im Detailhandel als grosser Hebel

Urs Niggli, Präsident agroecology.science in Frick
Urs Niggli leitete von 1990 bis 2020 das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL).Bild: agroecology.science

Nichtsdestotrotz ortet Niggli einen «Schwachpunkt im System», wie er sagt: «Wir könnten den Absatz von tierwohlfreundlichen Produkten klar steigern, wenn die Preise tiefer wären.» Gerade beim Fleisch sei der Bio-Anteil mit rund 5 Prozent nach wie vor unterdurchschnittlich. «Die Detailhändler hätten einen wirksamen Hebel, gerade auch weil die Konsumierenden in der Schweiz sehr preissensibel sind», so Niggli.

Dass die Grossverteiler mit ihrer Preispolitik einen grossen Einfluss auf den Konsum haben, bestätigt eine Studie des landwirtschaftlichen Forschungsinstitut Agroscope aus dem Jahr 2020. Diese kommt zum Schluss, dass Konsumierende deutlich mehr Bio-Fleisch kaufen würden, wenn es günstiger wäre. Agroscope hat etwa berechnet, dass über 30 Prozent mehr Schweinefleisch aus biologischer Produktion verkauft wird, wenn der Preis dafür um 10 Prozent sinkt. (aargauerzeitung.ch)

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146 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Jeminee
12.09.2022 06:11registriert August 2021
Bio-Produkte sind teurer wegen dem Marketing und den kleineren Vepackungen? Echt jetzt? Als nächstes kommt dann wieder das Argument: „Die Kundschaft will das so.“
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DerTaran
12.09.2022 06:08registriert Oktober 2015
«wegen kleinerer Packungsgrössen», so Migros.

Lol
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Jonas der doofe
12.09.2022 06:34registriert Juni 2020
Ich verstehe nicht genau, warum migros und coop sagen, die Zahlen stimmen nicht. Der Bauer wird wohl wissen, was er fürs Fleisch bekommt. Den Preis im Laden kann ich selbst nachschauen.

Bio muss mehr kosten, ganz klar. Aber meiner Meinung nach, weil die Bauern mehr bekommen für den Mehraufwand, sicher nicht wegen Logistik und Verpackungsgrösse, wie dreist ist das denn!?
Sind Schweizer Konsumenten wirklich preissensitiv? Ich glaube eher nicht, aber wir werden nicht gerne verarscht, sie 450 ml Colaflaschen. Wir bezahlen gerne und unüberlegt auch mehr, aber nicht wenn man ums für blöd verkauft.
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