Es ist 10.30 Uhr, als am Mittwoch, 3. April, vier Polizeiautos beim Firmensitz von Scott im freiburgischen Givisiez vorfahren. Gerufen hat sie Beat Zaugg, der langjährige Patron des preisgekrönten Sportartikelherstellers. Er habe sich bedroht gefühlt, wird es später heissen. Bedroht durch bewaffnete Sicherheitskräfte im Dienste seiner Gegenspieler, der Vertreter des südkoreanischen Scott-Mehrheitsaktionärs Youngone.
Die Polizei zieht nach «verschiedenen Überprüfungen» und nach Kontakt «mit mehreren Protagonisten», darunter auch mit der südkoreanischen Firmenführung, wieder ab. «Es bestand kein dringender Handlungsbedarf», hält sie auf Anfrage fest.
Der ungewöhnliche Polizeieinsatz hat einen Konflikt zutage gebracht, der schon lange schwelt. Einer, der mit jeder Verletzung und mit jeder Gegenreaktion im Verlauf der vergangenen zwei Jahre noch etwas grösser geworden ist. Und einer, der noch lange nicht beendet ist. Erstens, weil die beiden unversöhnlichen Parteien über ihre Scott-Aktien und einen Aktionärsbindungsvertrag aneinandergekettet sind. Und zweitens, weil sie sich gegenseitig vor Gericht ziehen.
Angefangen hat die Geschichte 1997, also vor mehr als einem Vierteljahrhundert, mit der ersten Kooperation zwischen den beiden heute so zerstrittenen Lager. Und die Zusammenarbeit wurde im Laufe der Jahre intensiver. 2013 beteiligte sich der Outdoor-Kleiderhersteller Youngone mit 20 Prozent an Scott, seit dem Frühjahr 2015 halten die Koreaner mit einem Anteil von 50,01 Prozent die Mehrheit am Schweizer Unternehmen, das vom freiburgischen Givisiez aus sein globales Geschäft mit Fahrrädern, Ski und weiteren Sportartikeln leitet. Zaugg hat weiterhin 47 Prozent, die restlichen 2,99 Prozent liegen beim Management.
Zaugg, der die 1958 vom US-Skirennfahrer Ed Scott gegründete Firma nach mehreren Besitzerwechseln im Rahmen eines Management-Buy-outs übernommen hatte, soll mit dem Verkauf 135 Millionen Franken verdient haben. Begründet hat er den Schritt damals mit der langjährigen Zusammenarbeit, mit dem Wachstumspotenzial auf dem asiatischen Markt und auch damit, dass er das Risiko breiter abstützen wollte. «Wer im Leben etwas bewahren will, verliert es mit grosser Wahrscheinlichkeit», sagte er später in einem Interview mit der Berner Tageszeitung «Der Bund». «Man sollte sich deshalb nie in die Gegenwart verlieben, sondern die Zukunft gestalten.»
Doch die Zukunft hat sich Zaugg bestimmt anders vorgestellt. 2022 wechselt Youngone seine Delegation im Scott-Verwaltungsrat aus: Neben Kihak Sung nehmen seither auch Juwon Kim und Sukbeen Shin Einsitz im obersten strategischen Gremium der Sportfirma. Ab diesem Zeitpunkt sei es schwierig geworden, die – auch zwischenmenschlichen – Probleme hätten zugenommen, heisst es. Eine Person, die das Ganze aus der Nähe mitbekommen hat, spricht gar vom «grossen Krieg».
Bereits im September 2022 jedenfalls hatte der koreanische Hauptaktionär ein Schiedsverfahren bei der Internationalen Handelskammer (ICC) mit Sitz in Paris beantragt, wie «The Korea Economic Daily» weiss. Demnach beanstandet Youngone eine «wesentliche Verletzung» des Aktionärsbindungsvertrags durch Zaugg und verlangt, dass die ICC die Kaufoption des koreanischen Unternehmens für die von Zaugg gehaltenen Scott-Aktien bestätigt. Zaugg wiederum, so ist zu hören, hofft, dass die ICC zu seinen Gunsten entscheidet und er die Aktien von den Koreanern zurückkaufen kann.
Ein Entscheid wird für Herbst erwartet. Wie auch immer er ausfällt, ein schnelles Ende ist hier nicht abzusehen. Schliesslich müssen sich die beiden verkaufsunwilligen Streitparteien in einem zweiten Schritt auf einen Preis einigen.
Damit nicht genug. Das Youngone-Lager soll auch «Untersuchungen» in der Firma gestartet und Missstände gefunden haben. Jedenfalls wurde Beat Zaugg am 29. März, das heisst am Karfreitag, als CEO abgesetzt und fristlos entlassen. Ein Tiefpunkt in der Karriere des Berner Bäckersohns, der nach einer Bauzeichnerlehre etwa beim Sportgeschäft Vaucher gearbeitet hatte, bevor er zu Scott ging, damals noch ein kleiner Betrieb mit einem Dutzend Mitarbeitenden.
Der heute 66-jährige Zaugg baute bei Scott das Velogeschäft auf, das mittlerweile für 80 Prozent des Umsatzes verantwortlich ist, und war bis zuletzt der starke Mann im Unternehmen. Für die Koreaner zu stark.
Neuer Scott-Chef ist nun Verwaltungsrat Juwon Kim. Zaugg jedoch stemmt sich gegen seine fristlose Entlassung. «Ich bin weiterhin im Büro und arbeite», sagte er am Dienstag nach Ostern zur Nachrichtenagentur AWP. Am Mittwoch fuhr dann die Polizei vor. Mittlerweile ist ihm der Zugang zu seinem Büro und zum IT-Netzwerk der Firma versperrt. Aber er gibt nicht auf und wehrt sich vor Zivilgericht gegen die fristlose Entlassung, wie verschiedene Personen gegenüber der «Schweiz am Wochenende» festhalten. Das zuständige Gericht des Saanebezirks liess mehrere Anfragen unbeantwortet.
Schuldzuweisungen gibt es zuhauf, aber sie gehen in beide Richtungen – je nachdem, mit wem man redet. Einig sind sich aber alle, dass hier zwei verschiedene Kulturen aufeinandergeprallt seien. Die Streitparteien selbst schweigen eisern. Vielleicht weil sie nicht mehr reden wollen – aber sicher auch, weil sie vom Gericht einen Maulkorb verpasst bekommen haben.
Denn Zaugg hat sich auch an das Gericht des Seebezirks in Murten gewandt und verlangt, dass das Youngone-Lager seine Entlassung nicht weiter kommentieren darf. Das Gericht ist dem Anliegen zuerst mit einer superprovisorischen Verfügung nachgekommen. Mittlerweile liegt ein provisorischer Entscheid vor, der nun vor Gericht bekämpft werden kann. Bis ein definitiver Entscheid vorliegt, dürfen Youngone, ihre Anwälte und ihre Berater nicht mehr gegen aussen kommunizieren.
Sie haben aber den strafrechtlichen Weg eingeschlagen. Im Mai sei «eine Strafanzeige gegen Beat Zaugg wegen des Verdachts der angeblichen ungetreuen Geschäftsbesorgung und der angeblichen Urkundenfälschung am Sitz der Scott-Gesellschaften in Givisiez eingereicht worden». Das bestätigt die Freiburger Staatsanwaltschaft auf Anfrage der «Schweiz am Wochenende». Die Polizei hat Hausdurchsuchungen durchgeführt, offenbar auch bei Zaugg privat, wie zu vernehmen ist. Weitere Details zur Untersuchung will die Staatsanwaltschaft nicht bekannt geben.
Damit sind nebst dem Schiedsverfahren in Paris mindestens drei weitere juristische Auseinandersetzungen vor drei verschiedenen freiburgischen Instanzen zwischen Zaugg und Youngone offen.
Zaugg, der unter anderem auch die Mehrheit an der Outdoor-Kette Transa sowie eine grössere Beteiligung am Reiseunternehmen Globetrotter hält, denkt nicht daran, seinen Scott-Anteil zu verkaufen – und sich zurückzuziehen. Ebenso wenig wie Youngone. Die Belegschaft bei Scott macht derweil gute Miene zum bösen Spiel. Die Firma, die jährlich rund 1 Million Fahrräder produziert und weltweit 1000 Mitarbeitende zählt, davon fast 400 am Hauptsitz in Givisiez, versucht das Geschäft trotz des offen ausgebrochenen Streits der beiden Grossaktionäre am Laufen zu halten. Das ist nicht einfach.
Scott hat zwar in den Jahren 2021 und 2022 bei Umsätzen von 695 Millionen respektive 628 Millionen Dollar Gewinne geschrieben von 23,2 Millionen respektive 35,8 Millionen Dollar. Doch das Velogeschäft ist nach dem Coronaboom arg ins Stocken geraten. Die ganze Branche leidet, Preise müssen gesenkt werden, Margen schrumpfen. Experten gehen davon aus, dass sich der Fahrradmarkt erst in ein oder zwei Jahren stabilisieren werde.
Zahlen gibt das Schweizer Unternehmen eigentlich nicht bekannt. Die Umsatz- und Gewinnangaben sind öffentlich, weil der börsenkotierte Youngone-Konzern Ende 2023 seiner Tochterfirma Scott einen zu 4,6 Prozent verzinsten Kredit im Wert von 150 Millionen Franken gewährt hat und gegenüber der koreanischen Aufsichtsbehörde zu einer gewissen Transparenz verpflichtet ist.
Zaugg-Gegner erkennen im Kredit ein Indiz für dessen schlechte Leistung. Insider aber meinen zu wissen zu berichten, dass die Koreaner hier selber schuld seien. Sie hätten von sich aus schon vor Jahren die Beziehung zur langjährigen Scott-Hausbank, der Credit Suisse, «zerstört», lange vor deren unrühmlichem Ende.
Und weil Youngone keine neue Bank gefunden habe, müsse die Firma selber einspringen, um Liquidität zu gewährleisten. Denn das Velogeschäft ist kapitalintensiv, wie Branchenexperten betonen. Die Produktion muss das ganze Jahr laufen, verkauft werden die Fahrräder aber vor allem im Sommer, sprich bei Velowetter.
Wie jetzt, wenn der Mountainbiker Nino Schurter an die Olympischen Sommerspiele in Paris fährt und Scott einen grossen Auftritt bescheren könnte. Doch bis die Sonne für die von einem Aktionärsstreit geplagte Firma wieder scheint, dürfte es noch eine Weile dauern. «Es gibt keine schnelle Lösung», heisst es immer wieder. Erst wenn eine Partei einlenke. (aargauerzeitung.ch)
-400 Stellen in der Schweiz, das kümmert dann keinen. Darum immer schauen, dass die Mehrheitsbeteiligung nicht ins Ausland abwandert.
Seit dem Frühjahr 2015 halten die Koreaner mit einem Anteil von 50,01 Prozent die Mehrheit am Schweizer Unternehmen..
Beat Zaugg hat nun Mal nicht mehr die Mehrheit in der Firma. Und schlussendlich nichts zu sagen. Er dachte vielleicht, dass die Koreaner sich mit Geldeinschiessen zufrieden geben. Tun sie aber nicht.