Spargelder? Nein, danke. Die verkehrte Welt der Negativzinsen könnte in der Schweiz noch vor dem Jahreswechsel untergehen. Die mehr als siebenjährige Ausnahmesituation hat viele ökonomische Gesetze ausgehebelt. Unter anderem jenes, dass sich Sparen lohnen muss.
Spargelder mutierten in den vergangenen Jahren von der wichtigsten Refinanzierungsquelle für Hypothekargeschäfte zu einem Kostenfaktor. Das könnte sich nun sehr schnell ändern. Vielleicht noch bevor die Nationalbank voraussichtlich im September das Negativzinsregime ganz aufheben wird.
Schon seit einigen Monaten haben Sparer die Möglichkeit ihr Geld wieder sicher anzulegen und dabei noch einen Zinsertrag einzustreichen. So ist die Rendite von Bundesobligationen mit zehnjähriger Laufzeit seit Jahresbeginn von -0,16 Prozent auf 1,4 Prozent gestiegen. Zwar könnte die Aussicht auf weiter steigende Zinsen viele Anleger noch davor abhalten, ihr Geld in solche Papiere umzuschichten. Aber die Perspektiven sind so gut wie schon lange nicht mehr.
Für die Banken werden Spargelder auch aus regulatorischen Gründen wertvoller. Ab Anfang Juli müssen systemrelevante Banken in der Schweiz darlegen können, dass sie in einem Stressszenario anhaltende Abflüsse von Kundengeldern während 90 Tagen durchhalten können, ohne Gefahr zu laufen, ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können. Bisher lautetet die Vorgabe auf 30 Tage. Die Verfügbarkeit von Spargeldern ist wichtig für das Liquiditätsmanagement von Banken, weil diese nicht bedingungslos abgezogen werden können.
Und schliesslich hatten Banken unter dem Negativzinsregime aus technischen Gründen einen starken Anreiz, die mit Rückzugsrestriktionen belegten Spargelder in restriktionsfreie Sichtguthaben umzuwandeln. So konnten sie die strafzinsbefreite Freigrenze der Nationalbank für Kundeneinlagen erhöhen und Kosten sparen. Wenn die Negativzinsen wegfallen, haben die Banken einen starken Anreiz, die Sichtguthaben wieder in Spargelder umzuwandeln.
Diese Faktoren könnten dazu führen, dass erste Banken ihren Kunden schon bald wieder einen Zins auf dem Sparkonto offerieren, noch bevor die Nationalbank das Negativzinsregime definitiv aufhebt.
Schon seit Wochen zeichne sich im Markt ab, dass Spargelder wieder zu einem relativ knappen gut werden könnten, sagt der Risikomanager einer Kantonalbank im Gespräch mit CH Media. Die grosse Frage ist, welche Bank als erste den Schritt wagen will.
Nicht zufällig machte in Deutschland die Direktbank ING einen solchen Vorstoss. Die Bank hatte im Vorgriff auf eine Zinserhöhung der EZB schon im Mai angekündigt, den Schwellenwert für Strafzinsbefreite Einlagegelder von 50'000 Euro auf 500'000 Euro anzuheben. Schweizer Banken könnten dem Beispiel ING bald folgen.