Der Basler Pharmakonzern Roche war im vergangenen Jahr mit Ocrevus sehr erfolgreich. Das Medikament gegen Multiple Sklerose spülte dem Basler Unternehmen 2019 über 3.7 Milliarden Franken Umsatz in die Kasse. 57 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2021 dürfte Ocrevus den Weltmarkt für Marken-MS-Therapien anführen, schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg, die das Volumen des Gesamtmarktes auf gut 23 Milliarden Dollar schätzt.
Nicht ohne Grund: Studien zeigen, dass bei einer kontinuierlichen Behandlung mit Ocrevus das Fortschreiten von zwei Arten von Multiple Sklerose abgebremst werden kann.
Gleichzeitig versucht Roche, Multiple-Sklerose-Patienten dazu zu bewegen, zusätzlich ein anderes Produkt zu nutzen. Es ist allerdings keine neue Pille, keine innovative Gentherapie, kein neuartiges Medikament. Es ist eine App. Eine App, die dennoch als Medizinalprodukt gilt. Floodlight heisst die Anwendung für das Smartphone. Entwickelt wurde sie von der US-Tochter Genentech.
Mit der App will Roche intime Details aus dem Alltag ihrer Patienten erfahren, um die Krankheit besser zu verstehen. Und es gibt viel zu erfahren, wenn man jeden Tag in der Tasche eines Patienten steckt, der das Smartphone zudem noch Dutzende Male in die Hand nimmt und darauf herumklickt.
Pharmaunternehmen wie Roche erhalten so direkten Zugang zu den Patienten und zu einem Fundus an Daten, von dem sie hoffen können, dass sie ihn letztlich monetarisieren können.
Roche ist auf diesem Weg beileibe nicht die einzige Firma. Auch Rivalen von Pfizer bis Novartis denken in die gleiche Richtung, mit einer Reihe von Apps für alles, von der Raucherentwöhnung bis zu Augenkrankheiten. Pharmaunternehmen wie Roche bräuchten diese sogenannten Echtzeitdaten. «Sie sind der zentrale Treiber für Veränderungen und Innovationen in der Pharmaindustrie in den kommenden Jahren», sagt Roche-Präsident Christoph Franz kürzlich an einem Mediengespräch.
Die Smartphone-Anwendung Floodlight von Roche funktioniert teilweise dadurch, dass sie in der Tasche des Patienten sitzt und passiv Daten sammelt. Sie zählt Schritte, Tempo etc. Die Patienten tragen aber auch aktiv dazu bei, indem sie Fragen beantworten oder auf dem Smartphone kleine Spiele absolvieren – etwa müssen sie eine Acht nachzeichnen oder digitale Tomaten zerquetschen.
Der Zeitaufwand ist klein. Man loggt sich ein, spielt ein paar Spiele und macht dann mit seinem Tag weiter. Wichtig ist, dass die App regelmässig, am besten täglich, verwendet wird.
Multiple Sklerose ist eine unheilbare chronische Krankheit. Das eigene Immunsystem des Körpers zerstört nach und nach Gewebe des Gehirns und des Rückenmarks. 2.3 Millionen Menschen weltweit sind erkrankt. In der Regel trifft die Krankheit Menschen in den Zwanzigern oder Dreissigern. Zweidrittel davon sind Frauen.
Die Folgen von Multiple Sklerose sind oft einschneidend und verändern das Leben von Patienten stark. Dabei können die Symptome von Multiple Sklerose verwirrend sein: Sie unterscheiden sich von Mensch zu Mensch und sogar von Tag zu Tag bei denselben Patienten. Die Roche-App soll diese Verwirrung für den Einzelnen aufklären – und Daten für ein breiteres Verständnis der Krankheit liefern.
«Ärzte sehen MS-Patienten in der Regel nur zweimal im Jahr, was es schwierig macht, kleine Veränderungen zu erkennen», sagt Franz. Mit der App werden die Daten täglich gesammelt, chronologisch geordnet. So kann ein Arzt das Fortschreiten der Krankheit besser verfolgen und etwa einen neuen Krankheitsschub anhand der gesammelten Daten besser erkennen.
Die kombinierten Daten geben Patienten und Betreuern einen genaueren Einblick in die Krankheit eines Patienten. Zudem werden sie in einem grossen Datensatz aggregiert, zu welchem Forscher Zugang haben. «Wir verstehen die Patienten, aber es ist eher ein verschwommenes Bild. Mit der neuen Technologie gibt es die Möglichkeit, viel näher an die Erfahrungen der Patienten mit ihrer Krankheit und deren Auswirkungen heranzukommen», sagt Franz.
Datenschutzprobleme redet Roche klein. Man treffe jede Vorsichtsmassnahme. Die Anwender der App werden anonymisiert, Rückschlüsse seien nicht möglich.
Roche hat in den USA erfolgreich Pilotversuche durchgeführt, um zu zeigen, dass die Ergebnisse von Floodlight-Spielen mit den üblichen Tests zur Beobachtung des Fortschreitens der Multiplen Sklerose übereinstimmen, wie etwa die Aufforderung an die Patienten, eine bestimmte Strecke abzuschreiten oder Stäbchen in Löcher auf einem Brett zu stecken. Darauf begann das Pharmaunternehmen mit der Rekrutierung für eine grössere Studie. Diese läuft derzeit und steht auch gesunden Menschen offen, die als Kontrollgruppe fungieren werden. Wie viel Roche sich das Projekt kosten lässt, wird nicht kommuniziert.
Das Ziel der Pharmaunternehmen ist klar: die Echtzeit-Fernüberwachung von Patienten mit Smartphones voranzutreiben. Und das nicht nur bei Multipler Sklerose. Roche führt bereits ein ähnliches Programm für Parkinson-Patienten durch. (aargauerzeitung.ch)
Ich erachte die App als positiv, ganz im Gegensatz zum voreingenommenen Author des Artikels...