Herr Kübler, Sie kennen das Spitalgeschäft à fond – und wechseln nun zu Swica. Müssen die Spitäler zittern, dass Sie jetzt gezielte Sparmassnahmen vorschlagen?
Nein, überhaupt nicht. Ich sehe mich als Brückenbauer, der beide Perspektiven zusammenbringt und für mehr Verständnis wirbt. Um gute Lösungen für die Patientinnen und Patienten zu entwickeln, braucht es endlich eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen den Krankenversicherern und den Spitälern, Ärzten und auch anderen Leistungserbringern.
Funktioniert die heute nicht?
Wir haben zuletzt ein paar grosse Chancen verpasst, weil die Tarifpartnerschaft zwischen Krankenversicherern und Spitälern und Ärzteschaft nur unbefriedigend funktionierte. Ich sehe darin einen grossen Hebel, um Verbesserungen im Gesundheitswesen voranzubringen.
Schwebt Ihnen da ein konkretes Projekt vor?
Viele! Beispielsweise versuchen Swica und das Universitätsspital Basel zusammen mit weiteren Partnern, neu Behandlungen nach Qualität zu entschädigen.
Wie geht das?
Es ist ein Pilotprojekt. Das Ziel: Die von den Patienten erlebte und berichtete Qualität bestimmt den Preis der Leistung mit. Finanziert wird dieses innovative Entschädigungsmodell über eine leicht variable Baserate. Das bedeutet: War das Qualitätsempfinden positiv, erhält das Spital einen besseren Preis für die Behandlung.
Hauptstreitpunkt sind die Tarife: Die Spitäler verlangen eine Erhöhung wegen ungedeckter Kosten. Die Krankenversicherer stellen sich seit Jahren auf den Standpunkt, Spitaltarife seien kostendeckend, die Spitäler arbeiteten schlicht nicht effizient.
Letzteres stimmt nur bedingt. Die Spitäler arbeiten seit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung vor zwölf Jahren viel effizienter. Vielleicht ist noch mehr Effizienz möglich. Gleichzeitig ist es brandgefährlich, über den Kostendruck eine ganze Branche an den Abgrund zu drängen. Denn gleichzeitig müssen Qualität und Leistung stimmen und die Zugänglichkeit für alle Patienten erhalten bleiben.
Die Spitäler wenden sich aktiv von einvernehmlichen Lösungen der Tarifpartnerschaft ab: Sie wollen einen Automatismus, der die Tarife an die Teuerung anpasst.
Ich kann den Unmut der Spitäler verstehen. Sie haben viel Energie investiert, um die Tarife minimal zu bewegen. Doch die Erhöhung kommt drei Jahre zu spät. Ein Spital erzielt in der Grundversicherung keine Margen. Es kann darum eine solche Kostensteigerung über Jahre nicht einfach wegstecken. Die meisten Spitäler sind heute krass unterfinanziert. Es ist unverständlich, wieso die Versicherer so lange auf der Bremse standen. Für mich ist das ein Symptom einer nicht funktionierenden Partnerschaft.
Wieso ist das so problematisch?
Wir sitzen letztlich alle im gleichen Boot. Wenn wir gute und finanzierbare Leistungen für die Patienten erbringen wollen, brauchen wir motiviertes Personal. Wir schulden ihm einen fairen Lohn. Für manche Spitäler grenzt das an einen Überlebenskampf: Sie müssen die Löhne erhöhen, um überhaupt noch Personal halten und Leistungen anbieten zu können.
Auf der anderen Seite treiben die Tarife die Kosten in die Höhe. Diese werden auf die Versicherten abgewälzt. Ärgern Sie sich zuweilen über Ihre Krankenkassenprämie?
Nein, ich ärgere mich nicht. Aber ich verstehe die Sorge jener Menschen, die einen wesentlichen Teil ihres Einkommens für die Versicherung aufwenden müssen. Für viele Familien ist das eine grosse Last. Auf der anderen Seite beziehen wir alle mehr Leistungen, das Angebot wächst, immer mehr Behandlungen sollen von der Grundversicherung vergütet werden. Wir müssen darum die Mittel, die wir ins Gesundheitswesen investieren, optimaler einsetzen.
Wie erreicht man das?
Indem wir eben die Qualität verbessern und an integrierten Versorgungsmodellen arbeiten. Und das schaffen wir nur gemeinsam: Es braucht die Krankenversicherer, welche die Kosten im Blick haben, die von einer bestimmten Patientengruppe verursacht werden. Auf der anderen Seite haben wir die Spitäler und Ärzte, welche die medizinischen Probleme sehen und wissen, wie sich diese idealerweise behandeln lassen. So finden wir Lösungen, die für alle Seiten sinnvoll sind.
Welche Massnahmen braucht es weiter, um die Versicherten zu entlasten?
Neben den nötigen Effizienz- und Sparmassnahmen ist die Entlastung der Versicherten letztlich eine Finanzierungsfrage: Die Krankenkassen sind gezwungen, die Prämien den steigenden Kosten anzupassen. Verdienen können sie damit nichts, denn die Margen sind in der Grundversicherung von Gesetzes wegen gleich null. Bei der Finanzierung stellt sich darum die Frage, ob die Last von den Prämienzahlern vermehrt auf die Steuerzahler abgewälzt werden soll, etwa durch Prämienverbilligungen. Aber das ist eine politische Frage.
Gibt es zu viele Spitäler?
Wir haben mehr Spitäler als andere Länder, ja. Und es ist schwierig, in diesem Bereich Fortschritte zu erreichen. Aber im Bereich der Universitätsspitäler ist diese Diskussion nicht zielführend: Wir bilden bereits heute zu wenig Gesundheitspersonal aus – und wollen weiter streichen. Wir haben international hervorragend positionierte Institute, die in der Forschung vorangehen. Wenn wir uns einen koordiniert zusammenarbeitenden Wissenschafts-Campus Biomedizin Schweiz vorstellen, sind wir auch in 20 Jahren an der Spitze. Gleichzeitig müssen wir das gesamte Spitalangebot regional besser abstimmen und dafür die Kantone bei der regionalen Versorgungsplanung unterstützen. Aber ich warne vor falschen Hoffnungen: Grösser ist nicht immer billiger.
Die neue Spitalfinanzierung wollte ineffizienten Spitälern den Hahn abdrehen – oder zumindest das Angebot auf effiziente Leistungen stutzen. Wieso gelingt das nicht?
Ich kann nicht für die ganze Branche reden, aber es passiert. Dafür gibt es alleine in Basel zig Beispiele. Das Unispital sucht Partner und baute beispielsweise mit dem privaten Anbieter Clarunis ein Bauchzentrum auf, das nun in der Viszeralchirurgie international mithalten kann. Das ist für beide Parteien ein Gewinn, es dreht sich nicht mehr um Mindestvorgaben, sondern um Topmedizin.
Der Spitalbereich macht mehr als einen Drittel der über 90 Milliarden Franken der jährlichen Gesundheitskosten aus. 2022 waren es 32,6 Mrd. Franken für Gesundheitsleistungen im Spitalbereich. Wo lässt sich denn für die Versicherten sparen?
Die Spitäler machen ihre Hausaufgaben, führen ein Effizienzprogramm nach dem anderen durch. Ein nächster Effizienzschritt folgt für viele, wenn sich die Digitalisierung endlich auszahlt.
Zahlt sich die Digitalisierung nicht aus?
In den letzten zwanzig Jahren musste das Gesundheitspersonal vor allem Daten erfassen. Profitieren können die Spitäler davon erst bedingt. Das Unispital Basel hat auch in neue Systeme und das elektronische Patientendossier investiert. Dieses läuft auf einem Server, aber genutzt wird es kaum.
Was braucht es?
Eine solide technische Lösung mit sinnvoll strukturierten Daten. Wenn heute jemand mit einem ausgedehnten Dossier auf den Notfall kommt, spült es auf Anhieb 200 oder mehr Seiten Akten ins System. Die kann man unmöglich rasch genug sichten. Es bleibt nichts anderes übrig, als notfallmässig selbst zu diagnostizieren. Erst wenn das Patientendossier eine strukturierte und aktuelle Liste mit Diagnosen und Medikamenten auf einen Blick erfassen kann, wird es auch eingesetzt und nützt auch den Patienten.