Wirtschaft
Schweiz

Inflation und ein historisch schlechtes Finanzmarktjahr: Eine Einordnung

Interview

Was bringt 2023? Die Ökonomin über Inflation und ein historisch schlechtes Finanzmarktjahr

Dr. Anja Hochberg, Leiterin Multi Asset Solutions im Asset Management bei der Zürcher Kantonalbank, erklärt, warum Wirtschaftsprognosen heute so schwierig sind, weshalb zurzeit gute Konjunkturdaten schlechte Nachrichten für die Aktienmärkte sind und wie sie als Verwalterin von 40 Milliarden Franken mit aufkommenden Trendthemen umgeht.
28.12.2022, 18:0829.12.2022, 13:43
Lara Knuchel
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Rein ökonomisch betrachtet befinden wir uns in aufregenden Zeiten: Corona, Inflation, historische Zinsschritte, grosse Schwankungen an den Aktienmärkten, Kryptowährungen ... Empfinden Sie, als jemand, die täglich damit zu tun hat, das auch so?
Anja Hochberg: Ich darf mich ja seit über 25 Jahren mit diesen Themen beschäftigen. Wir hatten auch in der Vergangenheit schon herausfordernde Zeiten. Ich denke da zum Beispiel an die Dotcom-Blase, oder an die Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 bis 2009. Gleichwohl würde ich sagen: Ihre Wahrnehmung ist richtig, es passiert gerade sehr viel gleichzeitig.

Was kommt denn da gerade alles zusammen?
Einerseits das Ende der Tiefzinspolitik, die uns in vergangenen Jahren alle geprägt hat. Andererseits führte Corona zu einer neuen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation. Gleichzeitig hält auch die Digitalisierung immer mehr Einzug, was entsprechend hohen Investitionsbedarf mit sich bringt. Die Schnelligkeit der Datenverarbeitung ist für die Finanzmärkte äussert relevant.

Zur Person
Dr. Anja Hochberg hat in Berlin Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftslehre studiert, in Wales promovierte sie. Seit Januar 2020 leitet sie für das Asset Management der Zürcher Kantonalbank (ZKB) den Bereich Multi Asset Solutions (Mischfondslösungen und individuelle Vermögensverwaltung). Mit ihren Teams verwaltet sie rund 40 Milliarden Franken in Vorsorge- und Anlagelösungen. Ihre Kunden sind nebst Individualkunden auch vermögende Privatpersonen sowie Pensionskassen und Stiftungen. Vor ihrer Anstellung bei der ZKB war Dr. Anja Hochberg fast 20 Jahre lang bei der Credit Suisse in verschiedenen Führungspositionen tätig.
Anja Hochberg, Leiterin Multi-Asset-Solutions ZKB
Bild: zvg

Kann es sein, dass in diesen Zeiten auch die Prognosen schwieriger geworden sind? So gehen zum Beispiel im Moment die Konjunkturprognosen der Ökonomen von Seco, Credit Suisse und BAK Economics ziemlich stark auseinander.
Prognosen waren immer schon mit Unsicherheit behaftet. Aber wir beobachten derzeit tatsächlich ein grösseres Auseinanderdriften der Prognosen. Die Szenarien, die diesen Prognosen zugrunde liegen, unterscheiden sich zurzeit deutlich.

Was heisst das?
Früher existierte grundsätzlich ein Hauptszenario, von dem man ausging. Man wusste dabei zumindest in der kurzen Frist ziemlich gut, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt oder wie stark die Zinsen steigen werden. Daraus konnte man wiederum ableiten, was mit den Investitionen geschieht, und so weiter. Seit einiger Zeit unterscheiden sich diese Szenarien aber wieder deutlich. Deshalb sind auch die Prognosen so unterschiedlich.

Warum unterscheiden sich die Szenarien so stark?
Eine der Kernfragen ist natürlich: Wie geht es mit der Inflation weiter? Ist diese Komponente unsicher, sind es ganz viele weitere auch. So etwa die Reaktion der Notenbanken – also die Zinsen –, der private Konsum, die Investitionen, die Lohnentwicklung und viele mehr.

«Die meisten Ökonomen haben das Tempo der Inflation so nicht prognostiziert.»

Wenn man sich Prognosen und Interviews von Analysten von vor einem Jahr anschaut, kommt man nicht drumherum zu sagen: Die sind schlecht gealtert. Die meisten gingen davon aus, dass die Inflation primär coronabedingt war und rasch wieder herunterkommen wird. Warum?
Die meisten Ökonomen haben das Tempo der Inflation so nicht prognostiziert. Der entscheidende Grund dafür ist sicherlich der 24. Februar. Das war eine Zäsur bei der Inflationsprognose.

Inwiefern?
Die geopolitischen Spannungen wirkten sich insbesondere auf die Rohstoffpreise aus. Das Komplexe bei Rohstoffpreisen ist, dass sie nicht eindimensional sind. Das heisst, wir sehen nicht einfach nur einen Preisanstieg an der Tankstelle. Weil Erdöl und Gas in so vielen Produkten verarbeitet und in Dienstleistungen benötigt werden, wird sich ein Preisanstieg in mehreren Wellen durch die Volkswirtschaft arbeiten.

Zum Beispiel?
Nehmen wir die Reiseanbieter. Diese preisen ihre Reisen ein halbes Jahr im Voraus an. Für 2022 haben sie also ihre Preise zum Teil noch gar nicht erhöht. Obwohl die Flüge schon seit Längerem deutlich teurer sind, wird man das in der Reisebranche erst mit einem verzögerten Effekt sehen. Aber auch die Energiepreise werden oft ja nur einmal im Jahr festgelegt, deshalb kommt es dort ebenfalls zu Verzögerungen.

Ist der Krieg in der Ukraine der einzige Grund für die «schlechten» Prognosen?
Es ist sicher der Hauptgrund. Ein weiterer war die Zero-Covid-Politik in China. Sie führte zu zusätzlichen Engpässen, was den Inflationsdruck weiter verstärkt hat. Und der dritte Faktor ist die zyklische Komponente: Grundsätzlich war es positiv, dass wir trotz Corona eine Konjunkturbelebung gesehen haben. Aber sie hat auch dazu geführt, dass der Arbeitsmarkt in den USA so stark angezogen hat, was steigende Lohnkosten mit sich brachte. Das heizt die Inflation zusätzlich an.

Und jetzt? Wieso sind sich die Analysten so uneins?
Grundsätzlich, also rein mathematisch gesehen, ist die Inflationsrate gar nicht so schwer zu prognostizieren. Man weiss ja, was in diesem Landesindex der Preise drin ist, wie viel Prozent der Steigerung wohl welchen Gütern zugeordnet werden kann.

Aber?
Es kommt darauf an, welche Produkte vom Preisanstieg betroffen sind. Rohstoffpreise, zum Beispiel: In normalen Zeiten kann man sie gut prognostizieren, weil sie alleine von Angebot und Nachfrage abhängen. Es ist bekannt, wie viel die OPEC produzieren wird, und man weiss in etwa, wie viel konjunkturell verbraucht wird. Wenn aber solche geopolitischen Ereignisse geschehen, wird der Erdölpreis nicht mehr fundamental bestimmt, sondern dadurch, was eben geopolitisch geschieht. Und das ist schwer vorherzusagen.

Eine Eni Tankstelle an der A-2 Autobahnraststaette Erstfeld praesentiert seine Benzinpreise am Donnerstag, 10. Maerz 2022, in Erstfeld im Kanton Uri. Wegen dem Krieg in der Ukraine sind die Rohoelprei ...
Die Benzinpreise in der Schweiz waren 2022 höher als zuletzt im Rekordjahr 2008. Eine Tankstelle an der Autobahnraststätte Erstfeld Anfang März. Bild: keystone

Also bleibt der Krieg in der Ukraine die grösste Unbekannte.
Ja, schon. Und hinzu kommt noch ein strukturell neues Phänomen: Wir haben im Moment keine ganz so guten Erfahrungswerte mehr darüber, wie stark die Inflation von den Unternehmen weitergegeben wird und wie schnell die Zinserhöhungen der Notenbanken wirken.

Warum ist das so?
Wir hatten in den vergangenen Jahren eher eine Deflation, die Teuerungsrate war immer niedrig. Aktuell zeigt sich, wie stark die sogenannte Preissetzungsmacht der Unternehmen überhaupt ist. Also: wie viel von den erhöhten Preisen der Vorprodukte sie an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben können. Das ist ein wichtiger Teil der Inflationsgeschichte.

Das heisst: Inwiefern sind wir alle bereit, höhere Preise zu akzeptieren?
Ja. Im letzten Jahr konnten die Unternehmen die Preise noch recht gut weitergeben, weil viele Produkte nur begrenzt verfügbar waren. Hingegen für die Aktienmärkte waren das positive Nachrichten: Es hiess nämlich, dass die Marge der Unternehmen – und damit ihre Gewinne – stabil blieben. Wie lange die Unternehmen das können, hängt aber davon ab, wie lange der Verbraucher bereit ist, mehr zu zahlen.

«Für die Schweiz gehen wir davon aus, dass der Höhepunkt der Inflation Anfang 2023 erreicht sein wird.»

Wagen wir die Frage trotzdem – wie geht es denn mit der Inflation weiter?
Die Schweiz wird den Höhepunkt der Inflation Anfang 2023 erreichen, davon gehen wir zumindest aus. In den USA und der Eurozone haben wir den Peak schon gesehen. Wir glauben auch, dass wir spätestens in den nächsten drei bis fünf Jahren wieder in das Zielband der SNB, also zwei Prozent Inflation oder darunter, kommen.

Und in der kürzeren Frist?
Wie erwähnt, erwarten wir den Inflationshöhepunkt für die Schweiz Anfang 2023, aber die nächsten ein bis zwei Jahre bleiben herausfordernd. Wie stark, hängt auch vom Erdölpreis ab – und der ist im Moment schwer vorauszusagen. Zudem ist der Schweizer Franken ein wesentliches Element: Wenn er stark bleibt, wovon wir ausgehen, ist es natürlich immer ein Stückchen einfacher.

Der früher so problematische starke Franken ist ja auch ein Grund dafür, weshalb die Schweiz tiefere Inflationsraten hat als die meisten anderen Länder.
Ja – weil wir viele Güter importieren, die billiger für uns sind, wenn der Franken stark ist. Es gibt aber auch weitere Gründe.

Welche?
Die Struktur des Warenkorbes ist in der Schweiz anders als in anderen Ländern. Die Energiekomponente, also der Anteil der Ausgaben für Energie an den Gesamtausgaben, ist kleiner. Die Schweiz ist von steigenden Energiepreisen also weniger stark betroffen. Und der dritte Grund: In der Schweiz gibt es weniger starken Lohndruck. Wir sind schon ein Land mit relativ hohen Löhnen, und die Löhne verhalten sich nicht so zyklisch wie zum Beispiel in den USA.

«In der hundertjährigen Finanzmarktgeschichte war 2022 das siebtschlechteste Jahr für die Schweiz.»

Für die Aktienmärkte war 2022 trotzdem ein rabenschwarzes Jahr ...
In der hundertjährigen Finanzmarktgeschichte war 2022 das siebtschlechteste Jahr für die Schweiz – direkt gefolgt von schweren Kriegsjahren.

Und Analysten von Blackrock haben gerade geschrieben: Die Aktienmärkte spiegeln die ganzen Verluste noch nicht wider. Wie sehen Sie das?
Auch wir legen noch eine gewisse Vorsicht an den Tag. Grundsätzlich sind die Bewertungen an den Aktienmärkten nämlich noch hoch. Wir würden nicht sagen, zu hoch, aber sie preisen natürlich noch ein Gewinnwachstum fürs nächste Jahr ein – von etwa sechs Prozent. Und in einer Situation, wo wir 2023 global eine milde Rezession erwarten, könnten diese sechs Prozent noch zu hoch sein. Nach erfolgter Kurskorrektur, und da wir nur eine milde Rezession erwarten, dürften sich die Perspektiven im Jahresverlauf aber aufhellen.

Aktien vs. Obligationen
Obligationen, auch Anleihen genannt, sind sogenannte Schuldverschreibungen. Sie werden herausgegeben von Unternehmen oder Staaten, und Anleger können sie kaufen. Die Herausgeber können sich so mit fremdem Kapital finanzieren. Dafür müssen sie den Anlegerinnen und Anlegern aber einen festen Zins zahlen. Obligationen haben eine fixe Laufzeit. Die Herausgeber verpflichten sich – deshalb der Begriff «Obligation» –, die ganze Summe am Ende dieser Laufzeit zurückzuzahlen.
Aktien hingegen sind Besitzanteile an einem Unternehmen. Sie gelten vor allem in der kurzen Frist als risikoreicher als Obligationen.

Wann genau?
Die Indikatoren verweisen aktuell ganz klar auf eine wirtschaftliche Abschwächung im ersten Halbjahr, die auch eine milde Rezession mit sich bringen kann. In den USA könnte es für eine knappe schwarze Null reichen. Dort verzeichnen wir nach wie vor einen sehr robusten Arbeitsmarkt, der die Nachfrage stabilisiert.

Und in Europa?
Hier belastet die Inflation sicherlich stärker. Die Schweiz kann eine Rezession vermeiden, obwohl die Impulse aus dem Ausland geringer werden. Insbesondere die hohe Zuwanderung stützt hier den privaten Konsum. In der Eurozone allerdings erwarten wir zwei Quartale mit rückläufigem Wachstum.

Kommen wir zurück zu diesem Jahr: Wie war 2022 denn für Sie?
Es war natürlich enorm schwierig, für alle Anleger. Gemischte Portfolios, wie wir sie bewirtschaften, sind ja eigentlich dazu gedacht, ausgleichend zu wirken. Der Grund: Obligationen laufen in schlechten Zeiten gut, Aktien laufen in guten Zeiten gut. Dieses Jahr haben aber auch die Obligationen verloren. Das heisst, Kunden, die mit wenig Risiko investierten, haben genau so viel verloren wie diejenigen mit hohen Aktienquoten.

Was hiess das für Sie?
Natürlich haben wir mit unseren aktiven Strategien versucht, besser zu performen, als dass es der Markt tat. In den Frankly-Lösungen (die Säule-3a-Vorsorge-App der ZKB) kann man das zum Beispiel sehen: Unsere Gefässe haben im Vergleich zum Markt besser performt. Aber natürlich: Auch wir haben eine absolute Negativrendite erlebt.

«Kunden, die mit wenig Risiko investierten, haben genau so viel verloren wie diejenigen mit hohen Aktienquoten.»

Ab Mitte Oktober sind die Aktienpreise während zwei Monaten wieder stark angestiegen. Was ist da passiert?
Wir bezeichnen das als Bärenmarkt-Rally. Ein Bärenmarkt ist ja ein Aktienmarkt, der grundsätzlich nach unten gerichtet ist (im Gegensatz zum Bullenmarkt, Anm. d. R.). Aber es ist nicht untypisch, dass wir innerhalb dieses Trends eine kurzfristige Rally – also ein kurzfristiges Ausbrechen der Aktien nach oben – sehen. In diesem Jahr haben wir genau drei Bärenmarkt-Rallys gesehen.

Wie kommen solche Rallys denn zustande?
Sie sind geprägt durch unterschiedliche Szenarien. Nicht alle Anleger und Investoren haben das gleiche Szenario wie wir und gehen etwa davon aus, dass der Aktienmarkt fällt. Manche gehen vielleicht früher davon aus, dass sich das Bild wieder aufhellt. Insbesondere, wenn man das Gefühl hat, der Zinsanstieg sei beendet, weil man positive Signale von den Notenbanken erhält.

Und warum sind die Aktien aber stets wieder gefallen?
Meistens wegen guten Wirtschaftsdaten. Diese waren im Jahr 2022 für die Aktienmärkte keine guten Nachrichten – eigentlich paradox.

Der Zusammenhang Inflation und Zinsen – Aktien
In der kurzen Frist stehen Inflation/Zinsen und Aktienkurse invers zueinander. Das heisst, wenn die Inflation steigt, wodurch meist auch die Leitzinsen angehoben werden, sinken die Aktienkurse und umgekehrt.
Vereinfacht gesagt, gibt es zwei Gründe dafür: Erstens werden bei steigenden Zinsen Anlagen, die einen Zins abwerfen, wieder attraktiver. Und zweitens wird es mit der Zeit teurer für die Unternehmen, sich zu refinanzieren – Investitionen kosten bei höheren Zinsen mehr. Das sind schlechte Nachrichten für die Gewinne der Firmen und somit auch für deren Aktien.
«Gute Wirtschaftsdaten waren in diesem Jahr für die Aktienmärkte keine guten Nachrichten.»

Wie kommt das?
Wenn die Konjunkturdaten schlechter waren, signalisierte das: Oh, es gibt nicht mehr so viel konjunkturellen Druck auf die Preise, die Notenbank muss die Zinsen also nicht so stark anheben. Kürzlich hat sich der Aktienmarkt nach einer Rally wieder nach unten korrigiert, unter anderem weil wir relativ starke Konjunkturdaten bekommen haben. Diese signalisieren dann wiederum: Vorsicht, vielleicht ist es mit den Zinserhöhungen doch noch nicht ganz zu Ende.

Aber die Zinserhöhungen Mitte Dezember von 0,5 Prozentpunkten waren doch genau so erwartet worden?
Ja, das stimmt. Der Markt achtet aber auch sehr darauf, was und vor allem wie die Notenbanken kommunizieren. Es gibt ja jeweils eine Pressekonferenz nach der Verkündung des Entscheids. Und sowohl bei der amerikanischen Notenbank als auch bei der EZB zeigte sich bei der Pressekonferenz und den Fragen, die gestellt wurden, dass sie Gewissheit haben wollen. Im Sinne von: Wir werden die Zinsen erhöhen, bis wir ganz genau wissen, dass die Inflation auch herunterkommt. Das hat die Märkte jetzt ebenfalls verunsichert, sodass wir aktuell wieder eine Korrektur nach unten sehen.

In diesem Jahr haben besonders auch die Techaktien stark verloren. Wie gehen Sie jetzt mit diesen um?
Techaktien sind sogenannte Wachstumsaktien – also solche, von denen man in Zukunft hohe Gewinne erwartet. Sie haben deshalb stärker auf die Zinserhöhung reagiert. Sie waren aber auch sehr hoch bewertet. Unsere These ist, dass die New Economy – also Tech, aber auch alles mit Kommunikation – im 2023 von der Old Economy – etwa Industrieaktien – geschlagen wird. Wir glauben, dass letztere vom zyklischen Aufschwung, den wir in der zweiten Jahreshälfte 2023 erwarten, stärker profitieren werden. Und interessant für Anleger: Sie zahlen Dividenden.

Kryptowährungen haben 2022 ebenfalls massiv Federn gelassen. Spielen diese bei Ihnen eine Rolle?
Als verantwortungsvolle Asset Managerin setzt man sich natürlich mit neuen Trends auseinander. Und analytisch betrachtet, hätte man bis 2020 sogar sagen können, dass Kryptos einen bestimmten Beitrag zum Portfolio leisten könnten.

Swiss Market Index SMI seit Jahresbeginn 2022, Stand: 27. Dezember 2022
Der Swiss Market Index (SMI) verlor seit Jahresbeginn über 16 Prozent (Stand: 27. Dezember 2022). Gut erkennbar sind aber auch die temporären Rallys, also die kurzfristigen Ausbrüche nach oben. screenshot: google finance

Inwiefern?
Weil sie eben nicht so funktionierten wie Aktien, sondern eine etwas andere Dynamik hatten. Seit 2020 sieht man allerdings, dass sie sehr stark mit den Aktienkursen korrelieren. Das heisst, wenn der Risikoappetit insgesamt fällt, betrifft das auch die Kryptos. Deshalb sind sie für uns im Moment keine Option. Sie stellen in einem gemischten Portfolio momentan keinen Mehrwert dar.

Was hat sich denn seit 2020 verändert?
Da gibt es verschiedene Theorien. Eine davon ist, dass Kryptos früher einen abgeschotteten Markt darstellten. Im Vergleich zu heute fand man sie eher in einer spezifischen Anlegergruppe. Viele waren vielleicht ausschliesslich in Kryptos investiert und nicht auch noch in andere Anlageklassen. Mittlerweile sind Kryptoprodukte handelbar, sie werden auch von anderen Investoren genutzt. Dadurch hat man jetzt eine Abhängigkeit von anderen Märkten. Aber ...

Ja?
Was dahinter steht, ist aus unserer Sicht wesentlich spannender: Blockchain und DeFi (Dezentrales Finanzwesen). Auch das analysieren wir. Und wir gehen davon aus, dass das in den nächsten Jahren sehr relevant sein wird – für die Krypto-Industrie, aber auch für den Finanzmarkt.

Sie haben Wirtschaftsgeschichte studiert – damals übrigens meine Lieblingsvorlesung an der Uni. Inwiefern hilft Ihnen gerade der historische Aspekt der Volkswirtschaft bei Ihrer Arbeit?
Es hilft mir zum einen, optimistisch zu bleiben. Weil ich gesehen habe, dass die Menschheit immer auch an den Herausforderungen wächst. Es hilft mir auch, in einem hektischen Tagesgeschäft, wo die Aktienkurse mal fallen und steigen, die Sicht für das Längerfristige zu bewahren.

Was heisst das genau?
Es geht auch darum, in Szenarien zu denken. Da hat auch die Wirtschaftsgeschichte gezeigt: Es gibt Sachen, die passieren können, obwohl man sie nicht für möglich hält. Zum Beispiel der Fall der Mauer – ich bin ja in der DDR aufgewachsen. Man sollte immer auch versuchen, «out of the box» zu denken. Was wäre, wenn? Was wäre, wenn das Hauptszenario nicht eintritt? Das heisst nicht, dass man auf solche Szenarien auch das Portfolio ausrichten sollte. Dann hätte man einmal in 100 Jahren recht und 99 Jahre Verluste. Aber: Man kriegt vielleicht ein noch besseres Gespür dafür, was gerade in der Weltwirtschaft geschieht.

«Zu glauben, man weiss, wie die Wirtschaft und die Finanzmärkte funktionieren, nur weil man die Wendepunkte in der Konjunktur mathematisch korrekt berechnen kann, ist trügerisch.»

An der Uni Bern wurde das Fach Wirtschaftsgeschichte schon seit längerem aus dem Lehrplan gestrichen ...
Das finde ich persönlich sehr schade. Zu glauben, man weiss, wie die Wirtschaft und die Finanzmärkte funktionieren, nur weil man die Wendepunkte in der Konjunktur mathematisch korrekt berechnen kann, ist trügerisch. Klar, das Handwerk gehört auch dazu. Aber sich diese Helikoptersicht zu bewahren, und das mit dem Vergangenen ins Verhältnis zu setzen, halte ich für äusserst relevant.

Wie sieht das für die heutigen Zeiten aus?
Gerade jetzt profitieren wir doch davon. Dass wir zurückschauen können und uns fragen: Was ist denn damals passiert, in den 70er Jahren in Zeiten hoher Inflation, mit dem Ölpreis? Wie hat der damalige US-Notenbankchef Volcker reagiert? Oder allgemein: Wie sind Knappheitssituationen von der Menschheit gelöst worden, welche Optionen haben die Volkswirtschaften? Von dem her: Ja, es sollte mehr – und nicht weniger – Wirtschaftsgeschichte gelehrt werden!

DANKE FÜR DIE ♥
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