Frühmorgens sind es bereits 26 Grad auf Ibiza, als Kuoni-Chef Dieter Zümpel via Teams zum Interview empfängt. Der Deutsche verbringt eine Woche im Home Office auf der spanischen Insel. Zwei Wochen habe er hier in den Ferien verbracht. «Und nun habe ich mir ein Arbeitszimmer im Ferienhaus meiner Schwiegereltern eingerichtet.» Workation nennt sich das - ein Mix aus Work (Arbeit) und Vacation (Ferien). Eine tolle Möglichkeit sei das, sagt Zümpel.
Nicht so toll ist hingegen seine Internet-Verbindung, das Bild stockt. «Das ist der klassische Vorführeffekt, denn bisher hat alles problemlos geklappt.»
Sie sind im Home Office auf Ibiza. Keine Angst, dass die Angestellten neidisch auf Ihre Workation sind?
Dieter Zümpel: Das erfahre ich im Herbst, wenn wir unsere anonyme Umfrage bei den Mitarbeitenden durchführen, wo auch mir der Spiegel vorgehalten wird. Aber ich bin optimistisch. Ich möchte da quasi als Vorbild vorangehen, denn wir bieten auch unserem Team die Möglichkeit an, im Ausland zu arbeiten. Rund 30 Angestellte haben davon schon Gebrauch gemacht.
Wie arbeitet es sich in Ibiza im Vergleich zu Zürich, trinken Sie den Morgen-Kaffee am Strand?
Der Arbeitsalltag ist nicht viel anders. Morgens spreche ich mich mit meiner Assistentin ab und danach ist der Tag mit Teams-Meetings durchgetaktet. Die Pausen sind aber natürlich anders. Hier bin ich an der Sonne, sehe das Meer und geniesse ein leichtes, spanisches Mittagessen. Da bedarf es einer Grunddisziplin, die wir ja aber alle während den Lockdowns gelernt haben. Da liegt dann auch mal eine Siesta am Nachmittag drin, dafür arbeite ich abends wieder.
Wie gross ist denn die Nachfrage bei den Kundinnen und Kunden nach einem Homeoffice im Paradies?
Wir bieten dies auch Privat- und Firmenkunden an, also Unterkünfte mit Arbeitsplätzen und gutem Wifi. Dafür gibt es eine Nachfrage, aber sie hält sich in Grenzen. Sicher auch, weil die Abklärung aller sozialversicherungsrechtlicher Aspekte für die Arbeit im Ausland zeitintensiv ist. Und viele Firmen suchen noch immer nach der richtigen Balance. Tesla-Chef Elon Musk will bekanntlich alle Angestellten zurückholen, während andere Arbeitgebende ihre Büros komplett aufgegeben haben.
Wie sieht die aktuelle Buchungslage aus bei Kuoni?
Unser Ziel ist es, 80 Prozent des Vor-Krisen-Niveaus bei den Buchungen zu erreichen. Und ich bin nach wie vor sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen. Im Juli und August liegen die Buchungszahlen zum Teil sogar über dem Vor-Corona-Niveau, auch dank Hochzeitsreisen, die nachgeholt werden, und Hochzeiten, die im Ausland durchgeführt werden. Andererseits war die vergangene Wintersaison infolge Omikron nicht sehr gut.
Welche Ziele sind derzeit besonders gefragt?
Im Sommer liegt bei uns Griechenland an erster Stelle, gefolgt von Spanien, Italien, der Türkei und den USA.
An vielen Flughäfen müssen Passagiere Geduld mitbringen. Die Schlangen sind lang und das Gepäck droht mit Verspätung anzukommen. Wie erklären Sie sich die Situation?
Es ist eine Verkettung von verschiedenen Umständen. Aber es hat auch mit menschlichem Versagen zu tun.
Wie meinen Sie das?
Es ist vollkommen klar, dass die Airlines und Bodenabfertigungsfirmen in der Krise Stellen abbauen mussten. Das mussten wir auch, und das ist schmerzhaft. Aber es braucht ein gewisses Vorausschauen im Management. Das habe ich bei einigen Airlines vermisst.
Sie sprechen die zahlreichen Flugannullationen an.
Genau. Wenn man einen Flugplan aufstellt, muss man sich dafür mit dem nötigen Personal vorbereiten. Das ist ein einfacher Dreisatz! Aber nun tun manche Airlines so, als würde Weihnachten überraschend kommen. Die stark gestiegene Buchungsnachfrage im Sommer kam schliesslich auch wegen dem grösseren, offensichtlich nicht realistischen Flugangebot der Airlines zustande.
Die Nachfrage ist rasant angestiegen, das erschwerte die Planung …
… klar, aber nicht dermassen. Entweder haben sich die Airlines enorm verschätzt. Oder, was ich nicht hoffe, sie sagten sich einfach: Tja, wenn wir die Flüge nicht durchführen können, kümmern sich die Passagiere und Reiseveranstalter selber darum, wie sie die geplanten Ferien umbuchen können.
Swissport-Chef Warwick Brady machte zuletzt die internationalen Regierungen und ihre Reiserestriktionen für das Chaos verantwortlich. Deswegen fehle es der Branche nun an Personal.
Alle machen derzeit die anderen für die Situation verantwortlich. Fakt ist, dass viele Airlines, Flughäfen und Bodenabfertiger falsch geplant haben. Man muss aber auch sagen, dass es je nach Destination grosse Unterschiede gibt. Ich fliege beispielsweise regelmässig zwischen Köln und Zürich hin und her. In Köln herrscht oft ein absolutes Chaos, dort steht man um halb fünf Uhr morgens in Gesellschaft aller Abreisender vor wenigen Schaltern Schlange. Am Flughafen Zürich läuft es hingegen bisher gut.
Haben manche Airlines schlechter als andere geplant?
Definitiv. Mit Singapore Airlines oder Emirates haben wir keine Probleme.
Der Kundendienst der Swiss lässt nach wie vor massiv zu Wünschen übrig. Bei der Hotline wartet man Stunden auf ein Gespräch, und schriftliche Anfragen werden Tage später beantwortet.
Da ergeht es unseren Angestellten derzeit ähnlich. Erst vor wenigen Tagen hat die Swiss eine neue Hotline für Reisebüros angekündigt, um unsere Anliegen schneller bearbeiten zu können, obwohl die Umbuchungen schon lange ein grosses Thema sind. Immerhin. Ich kann aber nicht verbergen, dass die Zusammenarbeit mit der Swiss seit Pandemie-Beginn oftmals schwierig ist. Da hat sich vieles aufgestaut.
Wie erklären Sie sich diese Probleme?
Zuletzt kam es in Deutschland ja sogar zu Streiks. Wenn Kunden, Partner und Mitarbeitende derart unzufrieden sind, muss sich das Management schon hinterfragen. Die durch instabile Flugpläne verursachte Zusatzarbeit bleibt an uns hängen. Denn ein nicht wie angekündigt durchgeführter Flug bedeutet für uns: Umbuchung, neues Hotelzimmer, anderer Transport, und so weiter. Unsere für Flugbuchungen verantwortliche Abteilung ist total überlastet deswegen. Zusammen mit dem Schweizer Reiseverband verlangen wir deshalb nun eine Entschädigung von der Swiss für unsere Branche. Einmal mehr seit Pandemiebeginn steht sie in unserer Schuld.
Inwiefern?
Wie alle Reiseunternehmen und Kunden mussten auch wir seit Pandemiebeginn viel zu lange auf Rückzahlungen von Flügen warten, die wegen Corona nicht durchgeführt wurden. Es geht aber auch um die mangelnde Kommunikation. Die gestrichenen Flüge dieses Jahr, und, und, und. Aber seitens der Swiss heisst es stets: Die anderen sind schuld. Das ist keine partnerschaftliche Beziehung, das empfinde ich als arrogant. Dabei wissen wir von anderen Airlines, dass es auch anders geht.
Haben Sie das Swiss-Chef Dieter Vranckx, der seit eineinhalb Jahren im Amt ist, auch schon persönlich gesagt?
Ein persönliches Treffen hat sich bisher noch nicht ergeben.
Am Flughafen verlieren manche Reisende die Nerven – auch am Telefon mit den Reisebüros?
Das kommt zum Glück selten vor, vor allem in der Schweiz. Aber natürlich, manchmal werden unsere Angestellten ebenfalls beschimpft.
Oder ist manchen die Lust auf Flugreisen komplett vergangen?
Ich schliesse nicht aus, dass manche Ferienhungrige nun lieber mit dem Auto verreisen. Denn diese Bilder von Passagierschlangen und Meldungen von verlorenen Koffern machen keine grosse Lust. Auch ich hatte schon Schweissausbrüche vor dem Ferienantritt am Flughafen, und letztlich hat dann alles problemlos geklappt. Das Problem ist, wenn Umbuchungen im Vorfeld anfallen.
Hinzu kommen die Preise: Wie viel ist das Reisen teurer geworden?
Das hängt je nach Angebot und Nachfrage sowie von der Destination ab. Aber generell ist Fliegen insbesondere wegen der steigenden Kerosinkosten teurer geworden. Bei den Hotels stelle ich das hingegen bisher kaum fest.
Wie gross ist denn der Personalmangel bei den Reisebüros?
Wir spüren, dass die Rekrutierung qualifizierter Leute schwieriger geworden ist. 2020 sind in der weltweiten Touristik 61 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen. Viele Betroffene haben sich in der Zwischenzeit umorientiert. Vielleicht arbeiten sie heute im Familienbetrieb oder bei einem Onlinehändler. Aber mit der Rückkehr der Reisenden schlägt das Pendel langsam wieder in die andere Richtung. Dieses Jahr haben wir 50 neue Personen eingestellt, 10 davon sind Rückkehrer.
Haben Sie die Löhne erhöht in diesem Kampf um Angestellte?
Nein, aber wir mussten attraktiver werden. Wir bieten mehr Teilzeitmodelle an und eben auch Workations. Zudem erhöhten wir die Prämien für die Empfehlung von Mitarbeitenden und bieten 30 Prozent Rabatt für Privatreisen. Und dennoch: Wir spüren bei den Lernenden eine gewisse Zurückhaltung, auch von den Eltern. Die sagen ihren Kindern: Wieso willst du in eine so unsichere Branche? Aber es ist und bleibt eine spannende Arbeit in einer Branche, von deren Zukunft ich überzeugt bin.
In welchen Destinationen fehlt Personal vor Ort?
Es kommt immer wieder mal Engpässe bei der Zimmerreinigung, bei den Autovermietern oder beim Hoteltransfer. Das hält sich aber erfreulicherweise in Grenzen.
Inzwischen hört man ein in der Pandemie vergessenes Wort wieder öfter: Overtourism. Wo ist es bereits wieder zu voll?
Das Thema Overtourism wird uns auch künftig beschäftigen, obwohl gewisse betroffene Destinationen inzwischen auf dieses Problem zum Teil reagieren. In Venedig wird die Besuchermenge reguliert und die Kreuzfahrtschiffe dürfen nicht mehr durchs Zentrum fahren. Dubrovnik im Süden von Kroatien will nicht mehr als zwei Schiffsankünfte pro Tag. Barcelona kämpft gegen das Airbnb-Unwesen, das die Mietpreise der Bevölkerung in die Höhe schiessen lässt. Und wir engagieren uns mit verschiedenen Projekten, um weniger besuchte Ziele touristisch nachhaltig zu entwickeln und damit sich die Touristenströme auf die Nebensaisons verlagern.
Finden Sie Beschränkungen in gewissen Destinationen beispielsweise mit Hilfe von Eintrittsgeld gut?
Ja, denn es geht darum, wie wir Kulturgüter und die lokale Bevölkerung vor Ort vor den negativen Folgen des Tourismus beschützen können. Ein kostenpflichtiger Tageseintritt nach Venedig kann für die Stadt genauso lukrativ sein, wie der Verkauf eines Souvenirs oder ein 10-Euro-Espresso am Markus-Platz.
Ist den Reisenden Nachhaltigkeit derzeit wichtig, oder möchten sie in erster Linie einfach wieder mal in die Ferne?
Der Nachholbedarf für Fernreisen ist in der Tat enorm. Zudem leistet man sich etwas mehr. Der Durchschnittspreis pro Buchung steigt je nach Zielgebiet um bis zu 20 Prozent an, nicht nur wegen den höheren Flugpreisen. Und die Aufenthaltsdauer nimmt zu. Aber es gibt durchaus Kunden, die nachhaltigkeitszertifizierte Hotels buchen, sich innerhalb Europas für Bahnreisen entscheiden oder wissen wollen, wie es um die Kläranlage vor Ort steht und wie mit Plastik umgegangen wird.
Flugchaos, Hitze, Affenpocken und rasant steigende Covid-Zahlen: Ist jetzt wirklich der Moment, um Herbstferien zu buchen?
Ja, aber ich empfehle natürlich, ein Paket mit Flug und Hotel bei einem Reiseveranstalter zu buchen. Denn falls die Reise aufgrund externer Gründe nicht stattfinden kann, erhalten die Kunden den Betrag zurück. Zudem bieten wir sehr flexible Preismodelle, wo man die Reise gegen einen Aufpreis bis acht Tage vor Abflug kostenfrei stornieren kann. Wir merken, dass diese Absicherung und unsere Beratung vermehrt gefragt sind. Denn wir zählen mehr Neukunden als vor der Krise. Zudem sind die Kapazitäten dieses Jahr beschränkt, noch hat es Platz.
Und wohin zieht es die Mehrheit im Herbst?
Die USA sind wieder sehr stark gefragt, auch die Malediven, der indische Ozean generell, sowie die Mittelmeer-Klassiker Griechenland, Spanien und Ägypten.
Asien noch nicht?
Im Herbst noch nicht. Die restriktive Haltung Chinas strahlt auf die ganze Region aus, obwohl manche Destinationen wie Thailand offen sind. Ich hoffe sehr, dass es auf den Winter hin wieder mehr Asien-Reisen gibt.
Trotzdem: Sind Sie angesichts der unsicheren Lage nervös?
Ich bin nach den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht mehr nervös. Einerseits, weil man sich an den Dauerkrisenzustand gewöhnt, andererseits, weil ich sehe, dass wir auch eine Pandemie gut meistern können. Aber für mich und das ganze Personal wünschte ich mir endlich wieder mal ruhigere Zeiten ohne zusätzlichen Nackenschlag.