Wer braucht schon Bargeld, wenn er eine Geldkarte – oder ein Smartphone – zur Hand hat? In Schweden vertreten weltweit wohl am meisten Menschen diese Meinung. Im Land im Hohen Norden werden nur noch 20 bis 25 Prozent aller Transaktionen im Handel mit Bargeld abgewickelt. Sprich: Wenn die Schweden einkaufen gehen, bezahlen mehr als drei Viertel von ihnen bargeldlos. Bezogen auf den Gesamtwert aller getätigten Transaktionen sind es sogar nur noch zehn Prozent, die mit Cash abgewickelt werden.
Henrik von Sydow, Präsident der schwedischen Steuerkommission, erklärte bei einer Pressekonferenz zum Thema «Cashless Society» in Zürich, warum das so ist: «Die Schweden sind grundsätzlich – ähnlich wie die Schweizer – sehr technikaffin. Sie sind ausserdem im Vergleich zu anderen Ländern besonders häufig online und auch bei der Nutzung von Smartphones ganz vorne mit dabei.»
Einen weiteren Grund liefern die geografischen Gegebenheiten: So könne es einem in Schweden gut und gern passieren, dass man über 50 Kilometer keinen Bankomaten findet. Dann sei es sinnvoll, wenn man auch ohne Bares gut auskomme.
Im Geschäft ohne Bargeld bezahlen – doch wie transferiert man Geld unter Freunden oder Bekannten, wenn niemand mehr welches im Portemonnaie hat? Auch dafür gibt es längst eine Lösung: Der schwedische Bankensektor lancierte Anfang 2013 eine Mobile-Anwendung Namens «Swish». Diese erlaubt einen sekundenschnellen Geldtransfer zwischen Nutzern via Smartphone.
In der Schweiz ist ein Leben ohne Bargeld bis anhin kaum vorstellbar. Zurzeit finden etwa 45 Prozent der Transaktionen im Schweizer Handel bargeldlos statt – bei den Grossverteilern liegt der Wert bei über 50 Prozent. Zahlungen via Debitkarten sind in der Schweiz besonders beliebt. Und seit etwa einem Jahr erleben auch die Kreditkarten einen Aufschwung.
Das hängt nicht zuletzt mit der Möglichkeit des kontaktlosen Bezahlens zusammen: Mit dieser Funktion können Beträge von bis zu 40 Franken in Windeseile beglichen werden, ohne dass die Karte in ein Gerät geschoben, ein PIN eingegeben oder unterschrieben werden muss. Laut Niklaus Santschi, CEO von SIX Payment Services, sind in der Schweiz heute etwa 50 Prozent der Kreditkarten mit dieser Funktion ausgerüstet.
«Die Händler passen sich dem mehr und mehr an, bei den wichtigsten wie Coop, Migros und der SBB ist das System längst verfügbar», erklärt Santschi im Gespräch mit watson. Viele Leute wüssten einfach noch nichts davon. Auch wenn sich das kontaktlose Bezahlen noch nicht durchgesetzt hat – bargeldloses Bezahlen ist in der Schweiz schon zur Normalität geworden.
Stellt sich also die Frage nach den «Person-to-Person»-Transaktionen: Wie gebe ich meinem Kollegen das Geld zurück, das er mir gerade kurz im Restaurant vorgestreckt hat, wenn wir alle kaum noch Bargeld benutzen?
Auch dafür soll es in der Schweiz bald eine Lösung geben: Zum Ende des Jahres bringt SIX gemeinsam mit zwei grossen Schweizer Banken – welche das sind, wird noch nicht verraten – eine P2P-App auf den Markt. «Bis heute ist es in der Schweiz ein Riesenzinnober, wenn mehr als zwei Leute im Restaurant eine Rechnung aufteilen wollen. Mit einer solchen App funktionieren Transaktionen unter Freunden schnell und unkompliziert», so Santschi. Wie diese App funktioniert, sehen Sie im Video:
Postfinance-Kunden haben bereits heute die Möglichkeit, mit dem Handy Schnell-Überweisungen zu tätigen. Obwohl für die neue App zunächst nur zwei Banken an Bord sind, wird diese für alle Bankkunden nutzbar sein, da SIX eine Übergangslösung schafft. «Eine solche Funktion macht nur Sinn, wenn alle mitmachen. Mit ein bisschen Glück sind bis 2016 alle Banken mit dabei», sagt Santschi.
Ein erster Test habe ergeben, dass die Schweizer Jugend durchaus offen für diese Art von Anwendungen ist. Dennoch rechnet Santschi nicht damit, dass die Schweiz bald ein zweites Schweden sein wird: «Von der Technik her werden wir die Schweden in einigen Monaten eingeholt haben. Bis wir damit aber ebenso erfolgreich sind und das Bargeld zu einem so grossen Teil abgelöst sein wird, gehen bestimmt noch zehn Jahre ins Land.»
Denn der Umgang mit dem Geld ist auch eine kulturelle Frage: Die Schweizer seien deutlich stärker bargeldorientiert als die Schweden. Und jegliche Systeme, die ohne Bargeld funktionierten, verlangten den Nutzern immer ein gewisses Vertrauen ab. Auch hier seien die Schweizer deutlich skeptischer.
Hinzu kommt, dass die Schweden für das bargeldlose Bezahlen «belohnt» werden: «Die schwedischen Banken arbeiten schon immer gemeinschaftlich zusammen, um die Kosten aus den Systemen zu ziehen und den Wert von ihren Angeboten für den Nutzer zu steigern», so Santschi.