In den USA ist eine neue Branche geboren: Seit dem 1. Januar ist Cannabis in den zwei Bundesstaaten Colorado und Washington legal, in 14 weiteren werden Petitionen diskutiert, die es den beiden Staaten gleichmachen wollen. Schon jetzt erlauben 20 US-Staaten Cannabis als Medizin und ahnden den illegalen Konsum nur als Kavaliersdelikt.
Ob der politischen Entscheide in Colorado und Washington freuen sich nicht nur die Konsumenten. Unter Investoren herrscht Goldgräberstimmung, Spekulanten reissen sich um Anteile an Unternehmen mit einem Bezug zur Cannabis-Pflanze und zahlreiche Start-Ups drängen auf den Markt.
«My 420 Tours» will sich als Reiseanbieter für Kiffertouristen etablieren, «Grow Buddy» lanciert eine App, die Laien beim Anbau von Marihuana hilft, «Advanced Cannabis» vermietet Räumlichkeiten und Anlagen an lizensierte Cannabis-Pflanzer. Gemäss dem «Wall Street Journal» prognostiziert das Cannabis-Investoren-Netzwerk Arc View ein Wachstum des legalen Marihuana-Marktes um 64 Prozent.
Statt in Immobilien wird in Marihuana-Unternehmen investiert – in einen Markt, der erst gerade aus der Taufe gehoben wurde. Spekulanten freuen sich bei billigen Marihuana-Penny-Stocks über einige der höchsten Kursanstiege am Aktienmarkt in diesem Jahr, Aufsichtsbehörden warnen vor der nächsten Blase: Die Penny-Stocks, Aktien, die einzeln weniger wert sind als 5 Dollar, neigen zu massiven Schwankungen und unterliegen nicht der Börsenaufsicht. Der Cannabis-Markt wird zur Spielwiese für intransparente Unternehmungen und Betrüger.
Thomas Kessler, ehemaliger Drogenexperte des Bundes, beobachtet und analysiert die Entwicklungen in den USA und Südamerika fortlaufend. Er ist nicht überrascht über die jüngsten politischen Entscheide – von wegen prohibitionistisches Amerika: «Einzelne Staaten wie Colorado und Washington waren schon immer liberal», sagt Kessler.
Nur die nationale Politik habe die Drogenfrage ideologisch mit anderen Themen verknüpft. «Das hatte nie etwas mit der gesellschaftlichen Realität der Bundesstaaten zu tun.» Unter Obama setzt sich die tolerante Drogenpolitik der liberalen Staaten durch – mit Strahlkraft weit über die Grenzen hinaus. «Dass dieses Land, die USA, das Prohibition als Doktrin durchgezogen hat, flexibel wird, setzt ein Zeichen», sagt Kessler.
Die politischen Entscheide seien eine pragmatische Annäherung an eine gesellschaftliche Realität, eine Annäherung, die früher oder später auch in der Schweiz stattfinden werde. «Ganz einfach weil die gesellschaftlichen Kosten der Prohibition grösser sind als ihr Nutzen.»
Kessler hat ein Regulationsmodell entworfen, das Ende März der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen vorliegen soll und dessen Beurteilung Ende Jahr kommuniziert wird. «Das Modell wird einen fachlich fundierten Diskurs ohne Ideologie fördern und Voraussetzungen für eine intelligente Gesetzgebung schaffen», verspricht Kessler.
Das Modell sieht vor, den Anbau auf bestimmte Berggebiete zu beschränken und über eine hohe Versteuerung Gewinne abzuschöpfen. «So entziehen wir dem Schwarzmarkt Geld, das nachher der Landwirtschaft, der AHV und der IV zugute kommen wird», sagt Kessler. Im Falle einer Legalisierung würde also vor allem der Bund vom finanziellen Potenzial des Cannabis-Marktes profitieren: Schätzungsweise 500 Millionen sollen dem Fiskus pro Jahr zugute kommen. Ein mehrheitsfähiges Modell.
Goldgräberstimmung wie in den USA könnte aber trotz Regulationsmodell aufkommen. Bereits vor zehn Jahren löste die faktische Tolerierung des Anbaus und Handels einen Rummel aus – innert zwei Jahren wurde die Schweiz von einem Import- zu einem Export-Land. Heute liegt das Handelsvolumen gemäss Kessler bei einer Milliarde. Doch das Potenzial ist gross. Kessler: «Der Hanf-Markt ist attraktiv, weil die Produktion einfach ist und der Preis, den die Leute zahlen, hoch.»