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Du willst nur das Beste? Voilà:
Science-Fiction-Romane
galten lange als eine Art Märchen für Technik begeisterte Männer. Was reizt Sie
als Germanistikprofessor an diesem Genre?
Philipp Theisohn: Ich
bin erst im Rahmen meiner Arbeit zu literarischen Zukunftsvisionen zur Science-Fiction gekommen. Das Genre ist ja an Universitäten meistens aussen vor,
allerdings vermischt sich die Science Fiction mittlerweile nicht nur in der
angelsächsischen, sondern auch in der deutschsprachigen Literatur mit dem, was
man früher «hohe Literatur» genannt hat. Um zu verstehen, warum das so ist, habe
ich damit begonnen, mich einzulesen.
Und bald gemerkt, dass Science Fiction vor allem deswegen immer
gesellschaftsfähiger wird, weil sie sich mehr als alle anderen Spielarten von
Literatur auch gesellschaftspolitisch versteht.
Im Zuge der IT-Revolution
wird Science Fiction immer mehr zur Realität. Überrascht Sie das?
Nicht
wirklich. Die Frage ist ja eher, was es bedeutet, wenn der Abstand zwischen
Fantasie und Wirklichkeit immer kleiner wird. Ich würde sagen: Die Science
Fiction ist weniger eine Prognosemaschine als vielmehr ein Kanal, der unsere
Ängste und Wünsche nach bestimmten Regeln ordnet und projiziert. Und diese
Ängste und Wünsche wirken auch wiederum auf uns zurück und beeinflussen auch
die technologische Entwicklung.
Was heisst das konkret?
Zum
Beispiel sind wir seit den «Terminator»-Filmen mit der Vorstellung vertraut,
dass wir unser Gegenüber «scannen» könnten. Man träumt etwa von einer Erfindung,
die mich jetzt ganz diskret wissen lässt: Derjenige, der da gegenüber sitzt,
ist ein gewisser Philipp Löpfe. Er hat dies und das gemacht, hat diese
Vorlieben und diese Macken. All
dies würde mir dieses Programm in Echtzeit mitteilen, während wir hier
miteinander sprechen.
Vielleicht würde sie Ihnen sogar
verraten, was ich gerade denke. Auch das ist inzwischen technisch denkbar, ja
teilweise machbar geworden.
Ja,
zumindest die Annäherung an das, was Menschen denken, fühlen und wollen, ist in
vollem Gange. Vor dreissig Jahren wären wir vor einem solchen Szenario noch
schreiend davongelaufen. Mittlerweile wissen wir: Die Vorstellung des
«gläsernen Menschen» ist nicht nur angstbesetzt. Sie gehört auch zu unseren
Wünschen, selbst wenn wir nicht verstehen, wieso, selbst, wenn wir sie für
schädlich halten. Würden wir uns nichts davon versprechen, könnten Google und
Co. einpacken.
Wir jammern doch nach wie vor über Big Data und Big Brother? Sicher, aber in einem gewissen Rahmen nutzen wir Big Data alle täglich. Und dahinter zurück kann man ohnehin nicht mehr. Also beginnen wir uns zu verdoppeln: Wir stellen – wie das Hannes Grassegger so schön beschrieben hat – unsere Persönlichkeit deshalb irgendwo in einer Cloud ab, sei es beim Online-Banking, bei Amazon, bei den Suchmaschinen und den Ortungsdiensten.
Was hat das für Folgen für
die Wirtschaft?
Die
wertvollsten Unternehmen sind heute diejenigen, welche die Kontrolle über die
Daten haben. Und das, obwohl sie nichts produzieren, uns kostenlose Dienste
anbieten und dementsprechend keine Riesenumsätze machen.
Wir nutzen sie, aber wir
wollen nichts für die Dienstleistungen bezahlen.
Wir
bezahlen mit unseren Daten. Dieses
Phänomen kann man mit der herkömmlichen Wirtschaftstheorie immer weniger
erklären. Da braucht man eine andere Erzählung dafür. Und die interessiert mich
als Literaturwissenschaftler. Sie hat mit den Fragen zu tun: Wer wird am
Schluss den Wert dieser Daten realisieren? Die Daten produktiv machen? Und vor
allem: Braucht es dazu den Menschen noch?
Im Silicon Valley gibt es inzwischen
– entschuldigen Sie den Ausdruck – durchgeknallte Vorstellungen. Nanoroboter,
die unseren Körper permanent fit machen oder ewiges Leben in der virtuellen
Realität. Was halten Sie davon?
Auch
das ist eine datenökonomische Konsequenz: Es geht darum, einen neuen Menschen
zu schaffen, der anders produziert und konsumiert. Also nicht nur
Technikfantasterei, sondern die biotechnische Grundlage einer ganz anderen
Wirtschaftsordnung. Die Vorstellung gibt es übrigens nicht nur im Silicon
Valley, sondern auch an anderen Orten auf der Welt.
Machen wir uns nicht zu
Sklaven eines durchorganisierten Techno-Systems?
Das
kann sein. Es kann aber genauso gut sein, dass der Zusammenschluss von Mensch
und Technik zur Chance wird. Wenn wir einmal alle vernetzt sein werden und
alles transparent sein wird, dann sind auch gewisse Formen von Ausbeutung nicht
mehr möglich.
Die führenden Köpfe im Silicon
Valley, Mark Zuckerberg oder die Google-Gründer Brin und Page, gelten ja nicht
eben als sympathische Menschen. Sie sind sogar als Soziopathen verschrien.
Sollte uns das nicht Angst machen?
Schon
Marx hat erkannt: Die Techniken, die wir brauchen, um den Kapitalismus zu
überwinden, kann uns nur der Kapitalismus selbst zur Verfügung stellen. So
gesehen: Natürlich sind viele Silicon Valley Superstars menschlich gesehen wohl
eher Problemfälle. Aber diese Problemfälle braucht es, um zu einer neuen
Wirtschaftsform zu kommen.
Bereits jetzt werden immer
mehr Entscheidungen von smarter Software getroffen.
Diese
Entwicklung wird sich zweifellos fortsetzen. Immer mehr Bereiche werden von
Maschinen übernommen werden, nicht nur in der Fabrik, sondern in allen Lebensbereichen.
Wie werden die Menschen dann
ihren Lohn verdienen?
Da
gibt es in der Science Fiction verschiedene Antworten. Das nackte Horrorszenario
einer Welt ohne Arbeit finden Sie ja im Film «Matrix». Die Maschinen haben die
Macht übernommen, und die Menschen erhalten die Illusion, frei zu sein. Dabei
sind sie in Wirklichkeit zu Batterien der Maschinen geworden.
Im Roman «The Circle»
schildert Dave Eggers ein Unternehmen, das erschreckende Ähnlichkeiten zu
Google aufweist. Sind wir gar nicht mehr so weit von diesem Horrorszenario
entfernt?
Eggers
schildert eine Gesellschaft, in der zwar Wohlstand herrscht, dem Menschen aber
die Freiheit abhanden gekommen ist. So neu ist das nicht. Das ist die berühmte «Schreckensutopie»,
wie wir sie ja schon in Aldous Huxleys «Schöne neue Welt» kennengelernt haben. «The Circle» trifft den Nerv des
Zeitgeistes, aber letztlich ist es vor allem eine Verschwörungstheorie.
Es gibt auch eine
Gegenbewegung zu diesem Horrorszenario. Sharing Economy,
Peer-to-Peer-Gesellschaft, etc. Anders als die Hippies der Siebzigerjahre ist
diese Gegenbewegung sehr technofreundlich.
In
den Siebzigerjahren galt die Technik als Teil einer potenziell autokratischen
Gesellschaftspolitik und daher grundsätzlich als böse. Die Alternative war die
Flucht aufs Land mit Ackerbau und Viehzucht. Das war naiv. Es ist eine Illusion
zu glauben, dass man den Kapitalismus mit Moral überwinden könnte. Die
Bewegungen, die Sie hier angeführt haben, gehen eher auf einen anderen Gedanken
zurück. Die sagen sich: Schauen wir uns doch einmal an, ob man mit dem Kram,
den man uns hier zur Verfügung stellt, nicht auch etwas anderes machen kann als
Reklame und Einkaufen. Vielleicht etwas, das uns ganz anders zusammenführen
kann.
Umgekehrt sind heute – wie
Zyniker behaupten – die klügsten Menschen damit beschäftigt, herauszufinden,
wie wir möglichst viele Werbespots anklicken.
Technische
Entwicklung dient natürlich immer noch stets dem Zweck, mehr Gewinn zu machen.
Dabei entsteht auch viel Fragwürdiges.
Wird bald die ganze
Gesellschaft von Expertensystemen und Algorithmen regiert?
«Regiert»
ist vielleicht das falsche Wort. «Durchdrungen» trifft es eher. Bisher erleben
wir das im Alltag eher in Form von «Einkaufsempfehlungen» oder ähnlichem.
Das Problem liegt vor allem in einem Punkt: Big Data beschreibt Korrelationen, arbeitet also mit Wahrscheinlichkeit. Sprich: Die
Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der sich diese Website anschaut, von jener
Werbung angesprochen wird, ist so hoch, dass es sich lohnt, ihn damit auch zu
konfrontieren. Geht man damit einmal auf eine politische Ebene und versucht,
aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung Entscheidungen zu begründen, wird es sehr
schnell ganz heikel. Also: Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus dieser
Region mit diesen speziellen Kontakten und einem bestimmten Knowhow zum
Attentäter taugt, ist so hoch, dass es sich lohnt, «präventiv» zu handeln.
Wollen wir das wirklich?
Wenn der Mensch zum Cyborg
wird, bleibt dann am Ende nur noch ein Kopf, der 2000 Jahre alt wird und auf
einem Haufen austauschbarer Ersatzteile ruht?
Die
Cyborg-Bewegung, die Menschen also, die eine Verschmelzung von Mensch und
Maschine anstreben, geht ja davon aus, dass wir vor so etwas nur
zurückschrecken, weil wir zu «essentialistisch» denken. Will heissen: Die Seele
kann problemlos auch in die Maschine hinüberwandern. Einen Unterschied zwischen
«natürlich gewachsenem Körper» und «Ersatzteillager» würde man da gar nicht
mehr machen.
Man könnte hier einwenden:
Warum ist der Mensch eigentlich so blöd und setzt alles daran, sich selbst abzuschaffen?
Da gibt
es unterschiedliche Meinungen, Katastrophiker und Euphoriker. Vielleicht
kann man das so verstehen: Die Umwelt, die der Mensch sich durch die Technik
geschaffen hat, ist ihm über den Kopf gewachsen, zu komplex geworden. Also
passt er sich ihr jetzt an, verschmilzt mit ihr. Ob das eine Sackgasse ist oder
der erste Schritt in eine selbst herbeigeführte Evolution, wird sich zeigen. Ob
wir uns abschaffen oder uns umschaffen – wir wissen es nicht.
(Gestaltung: Anna Rothenfluh)