In keinem anderen Land besitzen so wenige so viel. Die Schweiz ist das Land mit der unregelmässigsten Verteilung der Vermögen. Dies behaupten nicht nur Linke. Diese Aussage findet sich in einer 2011 publizierten Studie der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV).
Die Vermögen sind auch regional sehr unterschiedlich verteilt. In der Stadt Basel versteuern 5924 Haushalte ein Reinvermögen von mehr als einer Million Franken. Sie besitzen drei Viertel der gesamten Vermögen in Basel. Im Aargau und in Solothurn sind es gut die Hälfte.
Basel-Stadt profitiert von der Pharmaindustrie, die viele sehr gut verdienende Personen anzieht. Obendrein halten es Mitglieder «vom Daig», also alteingesessener, vermögender Familien, für unschicklich, sich in Innerschweizer Steueroasen zu verziehen. Daher wohnen viele Hoffmanns und Oeris am Rheinknie. Die milliardenschweren Clans kontrollieren den Pharmariesen Roche. Fakten über die Vermögensverteilung in der Schweiz publiziert die ESTV. Die erste Ausgabe stammt aus dem Jahr 1969. Die kürzlich veröffentlichte, aktuellste Ausgabe enthält die Daten von 2010. Sie basieren auf den Reinvermögen der Steuerpflichtigen.
Eine Analyse der Daten zeigt: Die Vermögen in der Schweiz haben sich in den letzten 45 Jahren inflationsbereinigt mehr als verdreifacht und belaufen sich auf 1434 Milliarden Franken. Die von der Finanzkrise verursachte Delle ist dank boomender Börsen längst kompensiert worden.
Laut Hans Kissling, dem Autor eines Buches zur Vermögensverteilung, beruht dieser enorme Vermögenszuwachs zum einen darauf, dass in unserem Land während der zwei Weltkriege keine grossen Vermögen vernichtet wurden: «Zudem führten die vergleichsweise tiefen Steuersätze für hohe Einkommen zu einer enormen Zuwanderung von Reichen und Superreichen in die Schweiz.» Das unterstreicht die Liste der 300 Reichsten des Wirtschaftsmagazins «Bilanz»: Mittlerweile ist fast jeder zweite Reichste ein Zugezogener.
Dazu komme, sagt Patrik Schellenbauer, Projektleiter der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Avenir Suisse, dass in den alternden westlichen Gesellschaften der Anteil älterer Erwerbstätiger steige, die «mehr sparen und in ihrem Vermögensaufbau weit fortgeschritten» seien. Je länger jemand sparen kann, desto mehr kann er von nicht verkonsumierten Einnahmen wie Zinsen und Dividenden profitieren. Daher rentieren hohe Vermögen oft auch besser.
Doch es gibt nicht nur mehr Reiche. Abgenommen hat auch der Anteil der Haushalte, die gar kein Vermögen versteuern. Erhoben wurde dies erst ab 1981. Damals verfügten 35,5 Prozent oder 1,17 Millionen aller Haushalte über keinen Sparbatzen. 2010 waren es noch 25,5 Prozent. «Für ein so reiches Land ist das immer noch überraschend hoch», sagt Schellenbauer: «Eigentlich müsste der Anteil tiefer ausfallen.»
Dass er insgesamt gesunken ist, unterstreiche jedoch, wie massiv die Löhne in den letzten 30 Jahren angestiegen seien: «Dies widerspricht der These vom finanziell strapazierten Mittelstand, der nicht mehr sparen kann.» Denn hierzulande sind die Einkommen im Vergleich zu anderen entwickelten Nationen deutlich weniger ungleich verteilt.
Bei den Vermögen sieht dies anders aus: Die Zahl der Haushalte mit einem Reinvermögen von über einer Million Franken hat sich seit 1969 von geschätzten 0,71 auf 4,8 Prozent erhöht. Die heute 237'500 Steuer-Millionäre besitzen zusammen 881 Milliarden Franken. Ihr Anteil am Gesamtvermögen stieg von 34,8 Prozent auf 61,4 Prozent. 375,5 Milliarden gehören Personen mit mehr als zehn Millionen.
Im Vorfeld der Initiativen für einen Mindestlohn und eine Erbschaftssteuer relativieren wirtschaftsnahe Kreise wie die Denkfabrik Avenir Suisse die Aussagekraft der ESTV-Statistik. Denn die von der ESTV-Statistik erfassten Steuerwerte der Immobilien sind um rund einen Drittel tiefer als die Marktwerte. Obendrein sind die Gelder in den Pensionskassen und der 3. Säule nicht berücksichtigt. Daher beläuft sich das gesamte Vermögen aller in der Schweiz wohnhaften Personen auf 3000 Milliarden Franken, wie die Vermögensstatistik der Schweizerischen Nationalbank aufzeigt. Diese Statistik lässt aber keine Rückschlüsse auf deren Verteilung zu.
Welchen Einfluss die Berücksichtigung der Pensionskassengelder auf die Vermögensverteilung hat, ist nicht eruierbar. «Das ist grotesk», sagt Schellenbauer: «Wir haben keine Ahnung von derart wichtigen wirtschaftspolitischen Fragen.» So lässt sich nur vermuten, dass die Zahl der Steuermillionäre in der Schweiz unter anderem auch deswegen derart stark angestiegen ist, weil sich gut verdienende Angestellte zumindest einen Teil ihres Guthabens nach der Pension auszahlen lassen. Der teilweise oder vollständige Bezug ist im überobligatorischen Bereich häufig der Fall. Unbestritten ist laut Schellenbauer, dass der Mittelstand wegen der Absicherung durch die Sozialwerke weniger spart: «In der Schweiz ist das sehr ausgeprägt.»
Ebenso ausgeprägt ist, dass die Polster der Superreichen immer dicker werden. Das gilt insbesondere für die Steueroasen Nidwalden, Schwyz und Zug. Deswegen wanderten in Obwalden Jahr für Jahr Vermögende ab. Das änderte sich schlagartig, als der Kanton 2006 die Steuern für Vermögende drastisch senkte.
Franz Marty, zwischen 1984 und 2002 Schwyzer Finanzdirektor, spornte der Nachbarkanton Zug an, die Steuern im damaligen «Armenhaus» Schwyz in mehreren Schritten zu senken: «Diese Strategie hat floriert.» Die Erträge seien trotz sinkender Steuerbelastung von 100 auf 293 Millionen Franken im Jahr 2000 angestiegen. Die jetzt anstehende leichte Korrektur nach oben werde Vermögende kaum in die Flucht schlagen.
Sozialen Sprengstoff berge die mit dem Zuzug von Reichen verbundene ungleiche Vermögensverteilung nicht, sagt Marty: «Auch Leute mit tiefem Einkommen oder keinem Vermögen profitieren von einer günstigeren Steuerbelastung.» Sie hätten realisiert, dass dank höherer Steuereinnahmen die Infrastruktur bedeutend verbessert worden sei – zum Beispiel im Bereich des öffentlichen Verkehrs und der Schulen.
Die meisten vermögenden Zuzüger haben laut Marty den roten Pass. Darunter sind zwei Töchter von SVP-Milliardär Christoph Blocher. Das regt niemanden auf. Als Ex-UBS-Chef Marcel Ospel 2005 seinen Wohnsitz nach Wollerau verlegte, hielt man dies in Basel für «odios» – unschicklich.