Ein Problem gelöst; schon ist das nächste da. So sei das immer gewesen in den letzten Jahrzehnten, schreibt der US-Nobelpreisträger Paul Krugman in seinem neuesten Newsletter. Und so sei es anscheinend auch dieses Mal: «Goodbye Inflation; hello untragbare Schulden.»
Zunächst zur Inflation. Der angebliche Sieg über die Teuerung überrascht. Bisher hat noch keine Zentralbank sich so geäussert. Aber Krugman meint, es sei bloss eine Frage der Zeit, bis die US-Zentralbank Fed und ihre Amtskollegen im Ausland es wagen würden, dies offen auszusprechen – «aber die Inflation scheint ein gelöstes Problem zu sein.»
Die Inflation liege derzeit nur um Haaresbreite über jenen 2 Prozent pro Jahr, wo sie die Fed haben will. Konkret habe die Inflation in den letzten drei Monaten nur noch 2,2 Prozent betragen, sagt Krugman. Wenn dem so ist, wäre die Inflation tatsächlich besiegt.
Doch wie gelangt Krugman zu diesen 2,2 Prozent? Offiziell wurde für die USA eine viel höhere Jahresinflation verkündet. Im August lag der Preisindex der persönlichen Konsumausgaben um 3,9 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Also fast zweimal höher als das Inflationsziel.
Laut Krugman wird der noch verbliebene Inflationsdruck durch diese 3,9 Prozent überzeichnet. Darin enthalten seien Preisschübe aus den zurückliegenden zwölf Monaten, die sich so nicht wiederholen würden. Schaue man auf diese 3,9 Prozent, bekämpfe man eine Inflation, die es nicht mehr gebe.
Die Inflation habe in den letzten Monaten sehr stark nachgelassen – darum seien nur neuere Zahlen zu berücksichtigen. Dafür nimmt Krugman die Inflation der letzten drei Monate und rechnet diese auf ein Jahr hoch. Würde es ein Jahr lang weitergehen wie in den letzten drei Monaten, beträgt die Inflation nur noch 2,2 Prozent. Kampf gewonnen.
Es wäre ein erstaunlich leichter Sieg. Lange Zeit hatten prominente Ökonomen gewarnt, die Fed werde dafür die Wirtschaft in eine Rezession und die Arbeitslosenquote in jahrzehntelang ungekannte Höhe zwingen müssen. So war es in der Vergangenheit fast immer. Auf starke Leitzinserhöhungen folgte in der Regel eine Rezession.
Doch dieses Mal lässt die Rezession auf sich warten, obschon sie schon lange vorhergesagt wird. Möglicherweise dauert es länger, die Wirtschaft reagiert oft erst mit Verzögerung auf Zinserhöhungen. Das Argument von Krugman ist, dass es dieses Mal ohne Rezession gehen könnte. Denn der laufende Wirtschaftszyklus sei schlicht «sonderbar» – als Folge von Corona.
Der Inflationsschock sei in erster Linie durch die Pandemie verursacht worden. Die Lieferketten rissen, die Unternehmen mussten sie flicken. In der Zwischenzeit kam es zu Knappheiten und Teuerungsschüben. Als sich die Wirtschaft wieder normalisierte, tat dies auch die Inflation.
In Europa laufe es ähnlich, sagt Krugman. «Die Disinflation breitet sich über den Atlantik aus.» In der Eurozone lässt die Inflation schnell nach. Im September fiel die Inflationsrate auf 4,3 Prozent – der tiefste Stand seit fast zwei Jahren.
In der Schweiz lagen die Konsumentenpreise im September um 1,7 Prozent über dem Vorjahresmonat. Ginge es so weiter wie in den letzten vier Monaten – die Schweiz hätte bald wieder eine Inflationsrate unter 1 Prozent. Auch die Schweizerische Nationalbank hätte ihren Kampf gegen die Inflation gewonnen.
So weit, so gut. Eigentlich.
Doch in den letzten Tagen sind die Zinsen auf einmal stark gestiegen – trotz des sich abzeichnendes Sieges über die Inflation. In den USA erreichen die Renditen auf zehnjährige Staatsanleihen diese Woche den höchsten Stand seit 16 Jahren, in Deutschland seit zwölf Jahren. Niemand weiss so recht, warum.
«Es ist verwirrend», sagt laut «Wall Street Journal» ein früherer Manager am New Yorker Fed und heutiger Bankenchefökonom: «Keine fundamentale Erklärung ist überzeugend.»
Lange wollten die Anleihenmärkte nicht auf die Zentralbanken hören. Diese konnten so oft bekunden, wie sie nur wollten, dass ihre Leitzinsen noch lange oben bleiben würden – die Märkte nahmen es ihnen nicht ab. Sie wetteten auf baldige Zinssenkungen.
Nicht länger. Die Anleihenmärkte hätten «faktisch kapituliert», schreibt Krugman. Die Fed hat zuletzt einfach weitergemacht wie sonst und betont, die Leitzinsen würden länger oben bleiben und womöglich noch höher gehen – auf einmal glauben es die Anleihenmärkte.
Das wiederum könnte allerlei neue Probleme nach sich ziehen; einige sind schon am Entstehen. Oder, wie Krugman es formuliert: «Es bilden sich Risse.»
Ihm bereitet vor allem Sorgen, dass die realen Zinsen – also nach Abzug der Inflation – derzeit höher sind als das langfristige Wirtschaftswachstum. Bleibt es dabei, habe dies «enorme und beunruhigende Auswirkungen».
Die Staatsschulden würden tendenziell schneller wachsen als die Wirtschaft, gemessen am Bruttoinlandprodukt. Das würde auf Dauer nicht gutgehen. Krugman: «Die Nachhaltigkeit der hohen Verschuldung würde zum ersten Mal seit vielen Jahren zu einem wichtigen Thema.»
Die Auswirkungen sind schon auf die Schweiz übergeschwappt. Wie die Analysten der ZKB schreiben, haben die Aktienkurse im September nachgegeben – erneut. «Die bereits im Mai eingesetzte Aktienkorrektur hat sich fortgesetzt». Zu den «Spielverderbern» zählten «die weiter gestiegenen Langfristzinsen».
Und dabei würde es nicht bleiben. Die hohen Zinsen in den USA signalisieren eine mögliche neue Normalität für die Finanzmärkte in aller Welt, auch in der Schweiz. Es würde keine Rückkehr geben zu den rekordtiefen Zinsen von vor Corona. Die Zinslast würde höher bleiben.
Damit würden die höheren Zinsen weitere Haushalte erreichen, welche derzeit noch durch eine Festhypothek geschützt sind. Es droht oft eine Verdoppelung der Zinslast. Allein 2024 müssen um die 130 Milliarden Franken an Hypotheken erneuert werden, wie der Berater Moneypark errechnet hat. Allesamt wurden sie noch vor der Zinswende abgeschlossen.
Doch haben die Anleihenmärkte wirklich recht? Krugman bezweifelt es. Denn jener Trend, der vor Corona die Zinsen in immer neue Tiefe gedrückt habe, sei immer noch vorhanden: das langsame Wachstum der Bevölkerung.
Langsames Bevölkerungswachstum bedeute weniger Bedarf an neuen Häusern, neuen Einkaufszentren, neuen Fabriken oder Bürogebäuden. Darum braucht es weniger Investitionen; Ersparnisse sind weniger knapp, und damit sinkt ihr Preis, also der Zins.
«Nun, wir haben immer noch Bevölkerungswachstum», schreibt Krugman in seinem Newsletter. «Warum sollten wir also nicht erwarten, dass die Zinssätze auf das Niveau von vor Corona zurückgehen, sobald die Fed die Inflationsbekämpfung beendet hat?»
Sicher ist nur: Die Sorgen gehen den Finanzmärkten nicht aus. (aargauerzeitung.ch)
Die Krankenkasse, neben der Miete (die auch raufging), der zweitgrösste Punkt meiner Ausgaben, ist um 10% rauf. Und die Lebensmittelpackungen werden entweder kleiner oder die Preise höher. Aber so lange Experten sagen, dass der Kampf gegen die Inflation gewonnen ist, wird das wohl stimmen, oder?
Das glaube ich nicht, ist ja alles menschgemacht und kein Naturgesetzt. Also wird es jamend schon wissen.