Die Schweiz und die Sanktionen: Die Geschichte ist um ein Kapitel reicher. Der Bundesrat hat im letzten Dezember entschieden, dass er Sanktionen gegen China wegen Verstössen gegen die Menschenrechte nicht übernimmt. Bekannt gemacht hat dies die «NZZ am Sonntag». Der Bundesrat fand es nicht nötig, den Entscheid zu kommunizieren.
Um was geht es? Die Schweiz erlässt keine eigenen Sanktionen. Aber sie übernimmt diejenigen der UNO und oft jene der EU. Die EU unterscheidet zwischen geografischen Sanktionen – zum Beispiel zum Ukraine-Krieg – und thematischen Sanktionen etwa bezüglich Verletzung von Menschenrechten. Mit den geografischen Sanktionen hat die Schweiz kein Problem, sehr wohl aber mit den thematischen.
Im März 2021 setzte die EU vier chinesische Funktionäre und eine Firma, die für schwere Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren verantwortlich sein sollen, auf die Liste der thematischen Sanktionen.
In der Schweiz ertönte alsbald die Forderung, diese China-Sanktionen zu übernehmen. Bereits im Mai 2021 beschied der Bundesrat, die Übernahme der thematischen EU-Menschenrechtssanktionen werde verwaltungsintern diskutiert. Im Sommer 2021 lag dem Bundesrat ein erstes Aussprachepapier zu den Vor- und Nachteilen einer Übernahme solcher Sanktionen vor. Ein Jahr später vertagte der Bundesrat einen Entscheid dazu.
Das sich der Bundesrat vor einer Antwort drückte, war offensichtlich. Im Dezember hat der Bundesrat dann einen Entscheid zu China gefällt. Brisant ist, dass er diesen nie kommuniziert hat.
Im Gegenteil: Am 20. April 2023 schrieb das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf eine Anfrage von CH Media:
Das Seco liess uns glauben, dass es noch weitere Prüfungen brauche. Kein Wort davon, dass der Bundesrat entschieden hat, die China-Sanktionen nicht zu übernehmen. Dafür teilte das Seco nebenbei mit, dass sich der Bundesrat die Möglichkeit offenhalte, in Zukunft in gewissen, sehr spezifischen, von der aktuellen Praxis nicht abgedeckten Fällen die Sanktionen der EU punktuell und gezielt zu übernehmen.
Ausgedeutscht heisst das: Der Bundesrat entschied, die thematischen Sanktionen fallweise zu übernehmen. Doch auch dies teilte er nicht mit. Er will zukünftig Absurditäten verhindern wie den Fall des Wagner-Söldners, der in Syrien einen Deserteur geköpft hatte. Weil ihn die EU auf die thematische Sanktionsliste setzte, wird er von der Schweiz nicht belangt.
Der Bundesrat stellt sich auf den Standpunkt, dass diese Praxis erst für von der EU neu beschlossene Sanktionen gilt – und nicht für bis dahin bestehende wie jene gegen China. Auch deshalb die Nicht-Kommunikation.
Mit Verlaub: Das ist haarsträubende Paragrafenreiterei. Das öffentliche Interesse am Umgang mit dem diktatorischen Regime ist gross. Die Übernahme der China-Sanktionen war Thema im Parlament und in den Medien. Der Bundesrat will China nicht verärgern. Okay! Doch dass er diesen Entscheid verschweigt, ist eine Irreführung der Öffentlichkeit.
Das Wirtschaftsdepartement schreibt, es habe sich weder um einen Grundsatzentscheid noch um eine Praxisänderung gehandelt, deshalb habe der Bundesrat nicht informiert. Dumm nur, dass der gleiche Bundesrat am 30. August 2023 folgende Medienmitteilung verschickte: «Thematische Sanktionen: Bundesrat hält an bisheriger Praxis fest». Der Bundesrat informierte offiziell darüber, dass er gewisse thematische Sanktionen der EU im Bereich der Menschenrechte nicht übernimmt. Ein Nicht-Entscheid und ohne Praxisänderung - und dennoch gab es eine Information darüber. Der Bundesrat entlarvt sich selbst.
Der Bundesrat hat sich sicher viele gescheite Überlegungen dazu gemacht, weshalb er die China-Sanktionen nicht übernehmen will. Gerne würde man mehr darüber wissen. Oder wie es im Kommunikationsleitbild des Bundesrates heisst:
Nur keine Entscheidungen treffen, man müsste ja vielleicht Verantwortung übernehmen.
Man vergisst dabei, dass man die verantwortung später doch übernehmen muss, siehe Bankgeheimniss, nazigeld, usw...
Wer würde schon auf eigenen Wohlstand verzichten, nur damit anderswo die Menschenrechte eingehalten werden?
Zudem ist es nicht Chinas Problem, wenn die Schweiz eine Regierung ohne Rückgrat hat - es ist eher eine Chance.
Dass wir keine Kriegsgüter liefern, steht m.M. ausser Frage, aber Sanktionen erlassen aufgrund Menschen- und Völkerrechtsbrüche und für diese Rechte einzustehen hat nichts mit der Neutralität zu tun. Das ist einfach nur human und sollte einer der Grundwerte der Schweiz sein. Ebenso sollte die karitative Hilfe der Schweiz im Ausland vergrössert werden. Nur so kann die Schweiz den ehemals guten Ruf wieder erreichen. Alles andere ist nur scheinheilig.