Menschen, die jahrzehntelang keinen Tropfen Alkohol anrühren, haben laut einer Studie ein deutlich höheres Risiko, im Alter an Demenz zu erkranken, als moderate Trinker. Das zeigt eine neue Studie französischer Forscher.
Die Wahrscheinlichkeit, dass langjährige Abstinenzler Alzheimer oder andere Formen der Demenz bekommen, sei rund 50 Prozent höher als bei Menschen mit einem mässigen Alkoholkonsum, heisst es in einer Studie, die am Mittwoch im Medizin-Fachblatt «BMJ» veröffentlicht wurde.
Die Untersuchung beruht auf der Auswertung medizinischer Daten von mehr als 9000 britischen Staatsbediensteten und ist weniger genau als medizinische Studien, wie sie für die Einführung neuer Medikamente erstellt werden. Ausserdem war die Zahl der ausgewerteten Fälle relativ gering.
Dennoch sei das Ergebnis der Studie belastbar, kommentierte Sevil Yasar von der renommierten Johns Hopkins School of Medicine in der US-Metropole Baltimore, der nicht an der Studie beteiligt war. Die Medizin solle auf Grundlage dieser Erkenntnisse «die mögliche schützende Wirkung von leichtem bis moderatem Alkoholkonsum» hinsichtlich Demenz in Betracht ziehen, riet der Experte.
Die Forscher unter der Leitung von Séverine Sabia von Frankreichs Nationalem Institut für Gesundheit und medizinische Forschung legen in der Studie überdies dar, dass unter den moderaten Trinkern Weintrinker das geringere Risiko für Demenz hätten als Konsumenten von Bier oder hochprozentigem Alkohol.
Als leichtes bis moderates Trinken gilt der Studie zufolge für Menschen mittleren Alters der Konsum von 1 bis 14 Einheiten Alkohol pro Woche. 14 Einheiten entsprechen wiederum 6 mittelgrossen Gläsern Wein à 175 Millilitern mit einem Alkoholgehalt von 13 Prozent oder 6 Gläsern mit rund 0,5 Liter Bier mit 4 Prozent Alkoholgehalt oder 14 Gläsern Hochprozentiges à 25 Milliliter mit einem Alkoholgehalt von 40 Prozent.
Die Studie untersucht nicht die Gründe für die offenbar positive Wirkung moderaten Alkoholkonsums für das Gehirn. Sie enthält aber Hinweise auf Erklärungsansätze. Abstinenzler hätten ein höheres Risiko für Herzerkrankungen und Diabetes, schrieben Sabia und ihr Team. Ausserdem hätten frühere Studien Hinweise auf eine schützende Wirkung von in Wein enthaltenen Polyphenolen auf Nervenstrukturen und Blutgefässe ergeben.
Eine an der Studie beteiligte Wissenschaftlerin gab zu bedenken, dass lediglich Daten von Menschen ab einem mittleren Alter ausgewertet worden seien. Möglicherweise hätten die Abstinenzler aber Phasen starken Alkoholkonsums hinter sich, die Jahrzehnte später zur Demenz beigetragen hätten.
«Künftige Studien müssen die Trinkgewohnheiten während des ganzen Lebens untersuchen und das wird dabei helfen, mehr Licht in das Verhältnis zwischen Alkohol und Demenz zu bringen», sagte die Leiterin des Alzheimer-Forschungszentrums von Grossbritannien, Sara Imarisio. Starkes Trinken lässt der Studie zufolge das Demenz-Risiko deutlich steigen – und zwar um 17 Prozent je sieben zusätzlichen Alkoholeinheiten pro Woche.
Die Studienautoren warnten, ihre Ergebnisse sollten Abstinenzler nicht zum Alkoholtrinken verleiten – «angesichts der bekannten schädlichen Auswirkungen von Alkoholkonsum bei Sterblichkeit, neuropsychiatrischen Störungen, Leberzirrhose und Krebs». Auch Yasar kommentierte, nicht nur die Wirkung des Alkohols auf das Gehirn, sondern auch mögliche Risiken wie Leberschäden und Krebs müssten berücksichtigt werden.
(sda/afp)