Anders als die anderen Frauen sonnte sich Sisi die edle Blässe hinfort, was sie zum Erstaunen ihrer Mitmenschen besonders gern nackt tat. Sie ritt wie eine Verrückte über Hecken und Büsche, ohne sich darum zu kümmern, was sich wohl dahinter verbarg.
Täglich liess sie sich wiegen und messen und gönnte sich an Hungertagen höchstens zerstossenes Eis mit ein paar Tropfen Orangensaft zum Nachtisch. Sie wollte dünn bleiben und schön, darum kleisterte sie sich nachts eine Rindfleischmaske aufs Gesicht.
Irgendwie schien diese Frau mit ihrem eigenwilligen Schönheitsideal nicht in ihre eigene Zeit zu passen – und ebenso wenig an den Hof. Ihr wildes Wesen drohte hinter den Gitterstäben ihres goldenen Käfigs zu verenden.
Bei Festen und Zeremonien wirkte sie seltsam steif, ganz egal, wie geübt sie in der Rolle als Kaiserin auch gewesen sein mag, sie fühlte sich darin nie Zuhause.
Der schlimme Husten kam ihr also gerade recht. Man empfahl Sisi eine Kur auf Madeira und so unternahm die 23-jährige Kaiserin ihre erste Auslandsreise ohne ihren Gatten Franz Joseph.
Später beehrte sie Kleinasien und Nordafrika, Ungarn, Grossbritannien und immer wieder ihre Lieblingsinsel Korfu, auf der sie sich ein Schloss im pompejischen Stil erbauen liess – das Achilleion.
Sie sprach besser Griechisch als alle deutschen Königinnen im Lande und übersetzte sogar Shakespeare ins Neugriechische. Dauernd war sie irgendwohin unterwegs und dies zumeist ganz besonders flott, weshalb ihr die Einheimischen den Spitznamen «Die Eisenbahn» gaben.
Griechenland wurde das, was Wien ihr niemals war: eine Heimat. Gemeinsam mit ihrem griechischen Vorleser Christomanos und ihren Hofdamen kreuzte sie auf der Yacht Miramar tagelang das Mittelmeer. Bei stürmischer See liess sie sich am Schiffsdeck festbinden und erklärte Christomanos ihr wildes Treiben mit den Worten: «Ich thue dies wie Odysseus, weil mich die Wellen locken!»
Sisi liebte das Meer. Vielleicht darum suchte sie mit 51 Jahren eine Hafenkneipe auf, um sich dort in einem schäbigen Nebenzimmer einen blauen Anker auf das linke Schulterblatt tätowieren zu lassen.
Franz Joseph empfand die in die Haut seiner Gattin eingebrannte Tinte als «sehr originell und gar nicht so entsetzlich». Was er von Sisis zweitem, viel grösserem Motiv hielt, ist leider nicht überliefert.
Aber es musste ihrem guten Freund König Ludwig II. sehr gefallen haben. Denn vor dessen Fotoapparat posierte sie eines schönen Tages auf der Roseninsel im Würmsee (heute Starnberger See). Den von ihrem Kleid unbedeckten Rücken zu ihm gedreht, wo über dem kaiserlichen Gesäss ein Adler seine mächtigen Schwingen ausbreitete.
Ludwig verwahrte Sisis Geheimnis in seiner Brusttasche, stets trug er den Abzug bei sich.
Es war der Würmsee, in dem am 13. Juni 1886 seine Leiche schwamm. Ludwig war zuvor durch ein ärztliches Gutachten entmündigt worden. Zu sehr hatte er die Gemüter seiner Minister und die Staatskasse strapaziert – und so erklärte man ihn kurzerhand für «seelengestört» und «unheilbar».
Sein Verlust traf die Kaiserin schwer. Sie hatten sich nicht oft gesehen, aber ihre Eigentümlichkeiten vereinten sie. Beide waren menschenscheu und wehrten sich mit ihren ungestümen Charakteren gegen die Rollen, in die sie hineingeboren worden waren. Und sie teilten die Liebe zur Kunst, in Gedichten besangen sie einander als «Möwe» und «Adler».
Nun war der Adler tot und Elisabeth versuchte, dichtend über den Schmerz hinwegzukommen.
«Schliesslich, was ist wohl Verrücktheit?
Thoren gibt's genug und Narren;
Diese für verrückt zu halten,
Mag der Welt oft widerfahren.»
Drei Jahre später, am 10. September 1898, stiess der italienische Anarchist Luigi Luchenis eine spitze Feile direkt ins Herz der Kaiserin. Die Klinge war so klein, dass sie die Verletzung überhaupt nicht wahrnahm. Noch 10 Minuten lang ging sie weiter, dann brach sie zusammen.
Sisi wurde 60 Jahre alt. Doch Bilder existieren von ihren späteren Jahren keine. Mit 31 Jahren liess sie sich nicht mehr fotografieren. Als sie 41 wurde, durften keine Porträts mehr von ihr angefertigt werden. Und sobald sich ihr jemand näherte, zückte sie ihren Fächer und verbarg all die verräterischen Fältchen dahinter.
Sie hat dem Alter nicht erlaubt, sich über ihre Erinnerung zu legen. Und so sehen auch wir ihr royales Antlitz noch immer in jugendlicher Frische erstrahlen. Die Wangen rosig vom Ausritt durch den Morgentau, schielt sie durch ein verschmitztes Augenpaar in unsere von Tattoos übersäte Gegenwart.
...Arschgeweih 🦌 🤣🤣🤣
Ich wusste vom Anker auf dem Schulterblatt und dass es da noch ein weiteres Tattoo gegeben haben soll, aber was und wo war mir nicht bekannt.
Auch nach der Lektüre diverser Elisabeth Biographien nochmal was Neues erfahren, danke dafür 🙏🏼!
Und ihre Stellung hatte sie in einem System, auf dem es auf die Geburt drauf ankommt, nicht selber gewählt.
Von dem her kann ich den Anarchisten, der sie ermordet hat, auf eine Art ein klein wenig verstehen. Auf eine andere Art hat er sich damit aber genau so an das Geburtsprinzip gehalten, dass er selber wohl verabscheut hätte.