Seit Beginn der Pandemie haben die Fälle von Diabetes Typ 1 deutlich zugenommen. Das zeigen derzeit mehrere Studien weltweit. Michael Hauschild ist Diabetes-Spezialist am Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) in Lausanne und sagt dazu: «Wir haben einen Anstieg der Fallzahlen im Jahr 2021, der auch 2022 noch anhält, in der pädiatrischen Endokrinologie und Diabetologie beobachtet.»
Eine US-Studie aus San Diego zeigt nach Pandemiebeginn in den Jahren 2020 und 2021 einen Anstieg von 57 Prozent an Diabetes 1 gegenüber 2019 bei Kindern. Die Fallrate während der Covid-19-Pandemie sei im einzigen Kinderkrankenhaus im Grossraum San Diego höher als erwartet gewesen, schreiben die Studienautorinnen um Bethany L. Gottesman.
Da stellt sich die Frage, inwieweit der Anstieg von Diabetes-Diagnosen mit einer Corona-Infektion zu tun hat. Untersucht hat das ein Forscherteam um Alan Kwan vom Cedars Sinai Smidt Heart Institute in Los Angeles und in einer Studie vergangene Woche auf «Jawa Network» publiziert.
Die Daten von Patienten, die zwischen März 2020 und Juni 2022 im Cedars-Sinai Health System in Los Angeles behandelt wurden, zeigen, dass sich das Risiko für Diabetes nach einer Corona-Infektion deutlich erhöht hat. «Das Diabetes-Risiko nach einer Covid-19-Infektion war bei ungeimpften Patienten höher als bei geimpften, was auf einen Nutzen der Impfung hindeutet», schreiben die US-Wissenschafter in ihrem Fazit. Unklar blieben nach Kwan allerdings die Ursachen, die zum Diabetesrisiko nach der Infektion beitragen
Michael Hauschild sagt, die Gründe für die Zunahme von Diabetes Typ 1 seien vielfältig. Die Häufigkeit von Typ-1-Diabetes nehme in allen Teilen der Welt zu. «Die Gründe dafür sind noch nicht genau bekannt, aber es gibt Wechselwirkungen zwischen Umweltfaktoren, dem Immunsystem und genetischen Faktoren.» Bei einem multifaktoriellen Geschehen sei es sehr schwierig, die Ursache eines Autoimmunprozesses für den einzelnen Patienten zu erfassen. Der bei Kindern häufigste Typ-1-Diabetes geht nach Hauschild mit einer immunbedingten Zerstörung der Insulin produzierenden Betazellen einher und erfordert eine lebenslange Insulin-Ersatztherapie.
«Für die Schweiz, wie auch auf europäischer Ebene, deuten die Zahlen auf einen Anstieg der Inzidenz von Typ-1-Diabetes bei Kindern um durchschnittlich drei bis fünf Prozent in den letzten Jahren hin.» Für die Schweiz gebe es derzeit keine Zahlen, die einen überdurchschnittlichen Anstieg seit 2020 belegen könnten, sagt der Diabetes-Spezialist vom CHUV.
Es sei möglich, dass das Risiko erhöht sei, nach einer Corona-Infektion Typ-1-Diabetes zu entwickeln. «Der Zusammenhang ist aber noch nicht belegt», sagt Michael Hauschild. Studien dazu seien in Arbeit. Auch über den in Alan Kwans Studie festgestellten positiven Einfluss der Covid-Impfung liegen für Hauschild noch zu wenig verlässliche Daten vor.
Kaum eine Veränderung wurde während der Pandemie bei der Zahl an diabetischer Ketoazidose festgestellt. Das ist eine schwerwiegende Stoffwechselentgleisung als Folge eines akuten Insulin-Mangels, die ein lebensgefährliches diabetisches Koma auslösen kann und dementsprechend notfallmässig behandelt werden muss.
Kommt es zu mehr Diabetes-Diagnosen müsste es auch mehr dieser Notfälle geben. Tatsächlich zeigen einige Studien, dass es aufgrund von verzögerten Diabetes-Diagnosen während der Pandemie zu mehr Ketoazidose-Fällen gekommen ist.
Um diese Fälle zu vermeiden, sei Früherkennung das Wichtigste. Anzeichen für möglichen Diabetes bei Kindern sind grosser Durst, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit und Gewichtsverlust. Wird Diabetes dann diagnostiziert, lassen sich der akute Insulin-Mangel und damit Ketoazidose vermeiden.